Rede von
Dr.
Sabine
Bergmann-Pohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über die Diagnoseverschlüsselung von Patientendaten hat sich in den letzten Wochen leider darauf konzentriert, wieder einmal das Schreckgespenst vom Datenmißbrauch in Großbuchstaben an die Wand zu malen. Auch wer zur Gesundheitspolitik wie Pontius Pilatus zum Glaubensbekenntnis gekommen ist, hat dabei kräftig mitdiskutiert. Nicht immer stand der Ei-
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
fer der Diskussion in einem angemessenen Verhältnis zur Sachkunde.
- Herr Möllemann, ich habe nicht ausdrücklich Sie gemeint.
In der Begründung zum Gesetzentwurf der Grünen wird der ganze Unsinn, den man bei den vielen Diskussionen zu diesem Thema gehört hat, noch einmal fein säuberlich aufgelistet, bis zu der albernen Behauptung, daß der ICD 10 keinen Code für die Grippe enthalte. Aus dieser Verlegenheit, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, kann ich Ihnen hier sofort helfen: Frau Steindor, es ist der Code J 06.9. Schreiben Sie es sich bitte auf. Bei genauerem Hinsehen hätte sich vielleicht schon dieser Irrtum vermeiden lassen können.
Eine genauere Beschäftigung mit dem gesamten Komplex hätte noch abenteuerlichere andere Behauptungen vermeiden können, vor allem die der angeblichen Verfassungswidrigkeit der Diagnoseverschlüsselung nach ICD 10.
Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Verfassungsbeschwerden von Ärzten gegen die gesetzlichen Regelungen zur Diagnoseverschlüsselung gar nicht erst zur Entscheidung angenommen.
Im Unterschied zu den Autoren dieses Gesetzentwurfs der Grünen haben sich die drei Richter der Zweiten Kammer des Ersten Senats des Verfassungsgerichts mit den Fakten und mit den gesetzlichen Regelungen des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs eingehend befaßt. Die Feststellungen der Richter zur Verfassungsmäßigkeit der Diagnoseverschlüsselung lesen sich wie eine Stellungnahme zu den Begründungen des Gesetzentwurfes der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Eine Ohrfeige, Frau Steindor, folgt der anderen.
Dem Vorwurf, der ICD-Schlüssel verletze das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Patienten und Ärzten und sei verfassungswidrig, erteilen die Richter eine Absage.
Eine Absage erteilen sie auch den vorgebrachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Verschlüsselungspflicht.
Genauso deutliche Worte haben sie auch zum Vorwurf eines mangelnden Schutzes vor dem Mißbrauch von Daten gefunden. Der Datenzugriff sei zweckbezogen. Darüber hinaus sei Vorsorge gegen eine zweckwidrige Verwendung getroffen worden. Der Vorwurf, der Schutz von Daten sei nicht gewährleistet, bricht also in sich zusammen.
Ein weiteres Beispiel für die Ignoranz, die den Autoren dieses Gesetzentwurfs die Feder geführt hat, ist die Behauptung, die Kodierung nach dem ICD-10-
Schlüssel sei für die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Arztpraxen irrelevant. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung könne genausogut wie bisher mit der Klartextdiagnose durchgeführt werden.
Frau Steindor, so etwas kann man nur behaupten, wenn man sich mit den Zielen der Diagnoseverschlüsselung überhaupt nicht auseinandergesetzt hat. Die Verfassungsrichter haben sich damit auseinandergesetzt. Sie haben darauf hingewiesen, daß der Zweck darin bestehe - ich zitiere -,
den Krankenkassen die Prüfung und Feststellung von Leistungsansprüchen ihrer Mitglieder, den Kassenärztlichen Vereinigungen die Prüfung und Feststellung von Honoraransprüchen der Vertragsärzte zu ermöglichen.
Deutlicher kann man es nicht sagen.
Was den Verfassungsrichtern einleuchtet, stößt aber ganz offensichtlich bei den Experten der Grünen auf Verständnisschwierigkeiten, daß es nämlich absolut unstimmig ist, auf der einen Seite das gesamte Abrechnungsverfahren der Krankenkassen mit den Leistungserbringern auf elektronische Datenträger umzustellen und zugleich für einen Teil dieser Abrechnungsdaten, nämlich die Diagnosen, an dem herkömmlichen Verfahren der individuellen und zum Teil ausführlichen Diagnosebeschreibungen im Klartext festhalten zu wollen.
- Ja.
Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, zu dessen Beruf ein gesundes Mißtrauen in die Sicherheit von Daten gehört, hat sich zu Sinn und Zweck der Diagnoseverschlüsselung ganz klar geäußert. Ich zitiere auch hier:
Bislang wurden die Diagnosen, mit denen die abgerechneten Leistungen als notwendig begründet wurden, frei formuliert. Die dabei von Arzt zu Arzt verschiedene Wortwahl führte zu einer geringen Transparenz und schloß automatisch Verfahren zur Unterstützung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen aus.
Eigentlich sollte das denen zu denken geben, die den Datenschutz wie eine Monstranz vor sich hertragen und vor lauter Eifer eine genaue Analyse des Vorhabens aus dem Blick verlieren.
Da taugt auch die gute Absicht als Entschuldigung für eine fehlerhafte Lektüre der entsprechenden Passagen im Sozialgesetzbuch nicht mehr. Wer nein sagt, sollte ein gut begründetes, ein überzeugendes Nein sagen können. Der Gesetzentwurf der Grünen ist weder begründet noch überzeugend. Er geht - gerade auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeitsprülung - in eine falsche Richtung.
Wenn man diesem Entwurf folgt, dann bliebe es nämlich bei der unwirksamen Wirtschaftlichkeitsprüfung wie bisher, obwohl die Ärzte selber Änderungen für dringend notwendig halten.
Die von den Ärzten geforderte qualitative Weiterentwicklung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen steht und fällt aber damit, daß dafür eine tragfähige Datenbasis zur Verfügung steht. Bisher war diese Datenbasis zwar vorhanden, aber sie war sozusagen begraben in Tonnen von Papier, von Abrechnungsbelegen,
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
die in den Kellern der Krankenkassen vermoderten. Jetzt sollen diese Daten für die Steuerungsaufgaben verfügbar gemacht werden, die die Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen zu erfüllen haben.
Selbstverständlich muß dabei der Datenschutz gewährleistet sein. Darum hat sich das Bundesgesundheitsministerium auch in den letzten Jahren mit äußerster Sorgfalt bemüht,
und zwar in nahtloser Abstimmung mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Die Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts bestätigen das.
Deshalb: Wir brauchen keinen Nachhilfeunterricht im Datenschutz, erst recht nicht von selbsternannten Lehrern, die sich dabei ertappen lassen, selber das Handwerkszeug nicht zu beherrschen, das sie anderen beibringen wollen.
Ich danke Ihnen.