Rede von
Marina
Steindor
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bringen heute unseren Gesetzentwurf zur Streichung des ICD 10 ein. Für uns hat die ad hoc anberaumte Expertenanhörung des Gesundheitsausschusses deutlich gezeigt, daß eigentlich niemand so genau wußte, was im GSG verabschiedet worden ist.
Als Universalinstrument für Abrechnungstransparenz, Epidemiologie und Qualitätssicherung ist diese Kodierung unbrauchbar. Was da erfaßt wird, ist Datensalat, der den Versicherten schadet.
Die Proteste aus der Ärzteschaft, von Datenschützern und Patienteninitiativen haben Sie, Herr Bundesminister, und auch Sie, Frau Staatssekretärin, dazu gezwungen, zu handeln. Sie spielen seitdem zusammen mit der Regierungskoalition mit uns so eine Art Hase-und-Igel-Spiel.
Denn immer dann, wenn sich im Parlament etwas regt, ruft Ihr Ministerium: Wir sind schon da! Wir haben alles schon geregelt! - So spricht ein Staatssekretär vor der Anhörung im Gesundheitsausschuß mit dem Datenschützer und hat alles geregelt. Und vor der Einbringung unseres Gesetzentwurfes in dieses Hohe Haus hat die Selbstverwaltung schon einen Rahmenvertrag abgeschlossen, und zwar mit dem Segen des Bundesministeriums für Gesundheit, das auch noch die Datenschutzaspekte koordinieren will.
Mit dem GRG und dem GSG ist eine Vorhaltegesetzgebung zur Computerisierung des Gesundheitswesens in Gang gesetzt worden. Sie reicht von der Chipkarte über den IDC 10 bis zum Datenaustausch und den Abrechnungsmodi. Wir sind der Auffassung, daß die datenschutzrechtlichen Probleme nicht gelöst sind. Trotz der Beschwichtigungsrhetorik der
Krankenkassen und des Bundesgesundheitsministeriums sehen wir den Schutz sensibler Daten der Versicherten nicht gewährleistet.
Wir sehen auch nicht, daß die gesamte Kassenärzteschaft ihren Spitzenfunktionären im Umgang mit dem ICD 10 folgt. Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ist wegen juristischer Mängel im Schriftsatz abgewiesen worden. In der Sache ist keine Entscheidung getroffen. Ich glaube auch nicht, wie Herr Schorre im „Ärzteblatt" schreibt, daß die Sache vom Tisch ist.
Immer wieder wird behauptet, daß die Lehren aus dem Volkszählungsurteil gezogen worden seien. Ich kann nicht erkennen, daß die Krankenkassen überhaupt genügend Problembewußtsein hinsichtlich der Daten entwickeln, die in ihren Rechnern stecken. Bei einer kassenübergreifenden Auswertung, für die es bereits Modellprojekte gibt, besteht die Möglichkeit, Daten fast der ganzen bundesdeutschen Bevölkerung mit Angaben über Gehalt, Lebensumstände und Krankengeschichte in den Rechnern zusammenzuführen.
Für Computerspezialisten ist es durchaus möglich, in diese Rechner hineinzukommen und die Daten zu repersonalisieren.
Die Kassen haben ein Eigeninteresse an den Daten, ebenso die Wissenschaft und die Politik. Die Kassen erwarten, daß ihnen die Versicherten, was den Schutz ihrer Daten betrifft, blind vertrauen. Dabei können sie in der Tat in der Öffentlichkeit nicht ausreichend darstellen, was sie an Datensicherungsmaßnahmen überhaupt vorgenommen haben. Sie versuchen, Politikerinnen und Politiker, die sich ernsthaft mit Datenschutzproblemen auseinandersetzen, sofort der Kollaboration mit der Ärzteschaft, die sich der Transparenz entziehen und sich nicht in die Karten schauen lassen will, zu bezichtigen. Das ist meiner Meinung nach eine etwas sehr pervertierte Form der alten Klassenkampfrhetorik.
In den Fachblättern ist die Debatte sehr hitzig geführt worden. Ich möchte meine Einbringungsrede zu unserem Gesetzentwurf
mit einem Zitat von einem politisch doch sehr unverdächtigen Wissenschaftsjournalisten des Fachorgans
„Ärztezeitung", Herrn Dr. Kubitscheck, abschließen:
Wenn es jemals im Gesundheitswesen einen zwingenden Grund gab, den zivilen Gehorsam zu verweigern, dann ist dieser Zeitpunkt jetzt gekommen. Der ICD 10 sollte sowohl aufgrund der Unmöglichkeit eines wirksamen Datenschutzes als auch aufgrund der wissenschaftlich wertlosen Datenbasis weder in einer abgespeckten noch
Marina Steindor
möglicherweise umbenannten Version eingeführt werden.
Wir wollen den ICD 10 streichen.