Rede von
Dr.
R. Werner
Schuster
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn einer eine Reise tut, dann kann er in der Regel etwas berichten.
Wir waren im Sommer zusammen in Niger und in
Kamerun,
und die Betroffenen werden sich daran erinnern, daß die Reiseerlebnisse beeindruckend waren, aber sie haben auch nachdenklich gemacht.
Was lag näher, als bei der Vorbereitung dieser Reise ein Buch von einer kamerunischen Schriftstellerin zu lesen, Axelle Kabou, „Weder arm noch ohnmächtig " .
- Das kann doch sein, Frau Eid, daß Sie einmal einen Schritt schneller sind.
Das Buch „Weder arm noch ohnmächtig" liest sich erstens sehr spannend und beschreibt in eindrucksvoller Form das Versagen der schwarzen Eliten, macht zweitens aber auch den Anteil der weißen Entwicklungszusammenarbeit an der Verführung deutlich. Die Autorin fordert deswegen auf, daß sich die Afrikaner selbst für ihre Entwicklung engagieren sollen. Dieses Beispiel, meine Damen und Herren, stellt für mich die Frage nach der Nachhaltigkeit unserer Entwicklungszusammenarbeit in den Mittelpunkt.
Wir beraten heute den Zehnten Bericht zur Entwicklungspolitik. Er enthält viele Zahlen und bietet einen guten Überblick. Er ist eine Fleißarbeit und insofern zu loben. Aber das zentrale Thema der Nachhaltigkeit führt nicht nur technisch ein Schattendasein - es umfaßt nur drei Seiten -, sondern ich habe auch den Eindruck, Herr Minister Spranger, es könnte symptomatisch für das Bewußtsein in Ihrem Hause sein.
Wie aktuell das Problem der Nachhaltigkeit ist, haben wir auf genau dieser Reise erlebt. Wir haben auf dieser Reise Projekte gesehen, die beispielhaft waren: grassroots-orientiert, frauenorientiert, mit partizipativem Charakter, mit einer Zusammenarbeit zwischen GTZ, KfW und DED. Aber wir haben genauso neu begonnene Großprojekte gesehen, die vorhersehbar zu „weißen Elefanten" werden. Insofern, Herr Minister, habe ich kein Verständnis für Ihre hier demonstrierte zufriedene Selbstgefälligkeit.
Was heißt eigentlich „Nachhaltigkeit"? Sie bedeutet, daß, wenn wir uns mit unseren Maßnahmen zurückziehen, nach deren Auslaufen vor Ort selbsttätig ein Entwicklungsprozeß weitergehen muß. Nachhaltigkeit bedeutet, daß unsere Maßnahmen sich in eine Strategie einfügen, die auf Dauer tragfähig, ökonomisch produktiv, sozial gerecht, umweltverträglich und menschenwürdig ist. Das sind die berühmten fünf Sterne aus dem entwicklungspolitischen Gesetz der SPD.
Nachhaltigkeit stellt den Menschen oder seine Gruppe in den Mittelpunkt. Entwicklungsmaßnahmen, die die Menschen vorhersehbar überfordern, können von daher nicht nachhaltig sein. Nicht der Mittelabfluß darf entscheidend sein, sondern die Aufnahmekapazität der Betroffenen. Das heißt für uns Entwicklungspolitiker: Wir müssen lernen, unsere Partner nicht zu überfordern. Herr Wonneberger, bei aller Wertschätzung: Ich glaube, wir hätten mit Arun III unsere Partner überfordert und ein von vornherein nicht nachhaltiges Projekt finanziert.
Meine herzliche Bitte ist, die Alternativen, die wir zu diesem Projekt vorschlagen, ernsthaft prüfen zu lassen.
Dr. R. Werner Schuster
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß Nachhaltigkeit von vielen Faktoren abhängig ist. Auf einige haben mein Kollege Herr Verheugen und meine Kollegin Frau Adler hingewiesen, als sie auf die Rahmenbedingungen zu sprechen kamen. Aber auch in den vorliegenden Anträgen von SPD, Grünen und CDU/CSU ist auf diese externen Faktoren hingewiesen worden. In meinem Beitrag möchte ich mich auf einen Aspekt beschränken, auf die Einflußfaktoren, die wir auf nationaler Ebene haben, wo wir also nicht auf den anderen schielen können, sondern wo wir selber, Herr Spranger, etwas ändern können. Das sind fünf Punkte.
Der eine ist die in den schon mehrfach angesprochenen Memorandumsvorschlägen von 1994 enthaltene Bündelung der entwicklungspolitischen Zuständigkeiten bei Ihnen. Damit kein Mißverständnis entsteht - leider ist niemand vom Außenamt da -: Wir wollen nicht das BMZ als Ersatzaußenministerium. Darum geht es nicht. Vielmehr wollen wir nach Know-how und nach den Methoden trennen. Wenn wir gemeinsam reisen, formuliere ich das mit meinem Freund Tappe immer so: Das Auswärtige Amt repräsentiert die Macht und ist für die internationalen Rahmenbedingungen verantwortlich, und das BMZ repräsentiert das Geld und ist für die Förderung der Zivilgesellschaft in dem Entwicklungsland verantwortlich. Warum ist es nicht möglich, meine Damen und Herren, mit abgestimmten und verteilten Rollen zusammenzuarbeiten? Das Spektakel der F.D.P. vom Januar dieses Jahres war eher karnevallike als ernsthafte und seriöse Politik.
Ein zweiter Punkt: Wir brauchen eine Umstrukturierung Ihres Ministeriums, Herr Minister, zu einem Querschnittsministerium. Das heißt, wir müssen von der „Projektitis" wegkommen. Sie müssen Kraft freibekommen, um die politische Steuerung wirklich wahrzunehmen und vor allem den Politikdialog in den Entwicklungsländern führen zu können. Das bedeutet, Sie müssen an die Vorfeldorganisationen delegieren, und diese wiederum müssen in den Entwicklungsländern delegieren. Das, meine Damen und Herren, habe ich einem CDU-Papier entnommen.
Herr Spranger, könnte es sein, daß die Pinger-Truppe progressiver als die Spranger-Truppe ist?
Ein dritter Punkt: die Länderkonzepte. Die ersten Ansätze hierzu, Herr Minister, sind richtig. Nur ist meine Frage: Ist es nicht vernünftiger, die Länderkonzepte im ersten Schritt im jeweiligen Entwicklungsland mit den Betroffenen im Sinne eines Politikdialogs erarbeiten und erst im zweiten Schritt in Bonn überarbeiten zu lassen?
Oder im Bereich des Einzelplans 23: Warum trennen wir eigentlich die FZ, die TZ und die PZ sauber nach Titeln, obwohl wir wissen, daß diese Bereiche in den Ländern vor Ort eigentlich kooperativ zusammenarbeiten? Wäre es nicht viel sinnvoller, Länderbudgets mit Wettbewerb der Vorfeldorganisationen einzurichten? Auch hier, Herr Pinger, sehe ich in Ihrem Antrag deutlich mehr Zukunft als in dem Zehnten Bericht von Herrn Spranger.
Oder: Müssen wir nicht anfangen, Prioritäten zu setzen? 50 Prozent unseres Etats sollten für Armutsbekämpfung, für Hilfe zur Selbsthilfe im engeren Sinne ausgegeben werden. Das ist Ihre Forderung, Herr Pinger. Das ist unsere Forderung. Das ist nur leider nicht Ihre Forderung, Herr Spranger, schon gar nicht Ihre Realität.
Viertens. Wir brauchen eine Entwicklungsverträglichkeitsprüfung. Sie wissen selber, wie häufig Sie von Ihren Kollegen Herrn Borchert, Herrn Rexrodt und Herrn Waigel konterkariert werden.
Nur, Herr Spranger, dann muß man kämpfen und darf nicht einfach wegtauchen. Das Vorbild für eine solche Entwicklungsverträglichkeitsprüfung hätten wir methodisch im Bereich der Umweltverträglichkeitsprüfung. Wir müssen politisch nur wollen.
Fünfter Punkt: externe Evaluierung. Leider ist bei der Entwicklungszusammenarbeit die richtige Buchführung nach wie vor wichtiger als eine nachhaltige Wirksamkeit unserer Mittel. Ich will nicht falsch verstanden werden: Eine Kontrolle durch den Bundesrechnungshof ist notwendig; das sieht man am Beispiel DEG. Diese formale Kontrolle darf aber nicht zu Lasten der eigentlichen Aufgabenerfüllung gehen.
Wie Sie wissen, meine Damen und Herren, gibt es Ansätze dafür in der GTZ, in der MW, bei der DED, bei den Kirchen und den NROs. Das aber sind interne Versuche; sie sind vor allem nicht trägerübergreifend.
Notwendig wäre unseres Erachtens erstens eine verbindliche, operationalisierbare Definition dessen, was Nachhaltigkeit eigentlich heißt, zweitens, dies in Form eines überprüfbaren Kriterienkatalogs darzulegen, und drittens eine unabhängige Überprüfung unserer Maßnahmen sofort nach deren Beendigung und möglichst noch einmal fünf Jahre später, um zu sehen, ob dieser Prozeß wirklich fortgedauert hat.
Eine derartige, trägerübergreifende Evaluation hätte den Vorteil, daß die beteiligten Vorfeldorganisationen miteinander redeten und lernen würden, warum wir in dem einen Fall erfolgreich, in dem anderen Fall erfolglos sind. Das wäre doch etwas.
Eine Reform der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in diesem Sinne, schnell und professionell, ist, so meine ich, Herr Spranger, überfällig. Sie wissen selber: Die Erwartungen an die Bundesrepublik steigen. Wir kommen gerade aus Südafrika; Frau Eid hat das ausgeführt. Natürlich haben diese Länder viele Erwartungen an uns. Wenn wir redlich sind, wissen wir selber, daß das Finanzvolumen auch in Zukunft weit unter 0,7 Prozent bleiben wird.
Wenn dies aber so ist, meine Damen und Herren, dann stehen wir als Parlamentarier gegenüber der deutschen Öffentlichkeit und den Steuerzahlern unter einem Legitimationsdruck. Wir müssen nachwei-
Dr. R. Werner Schuster
sen, wofür wir EZ-Mittel ausgeben und daß wir sie effizient und wirksam einsetzen. Diesen Herausforderungen sollten vor allem wir Entwicklungspolitiker uns offensiv stellen; denn wir tragen letztlich die Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung.
Daß dies keine Utopie sein muß, beweisen viele positive Beispiele, die wir auf unseren Reisen gesehen haben. Meine herzliche Bitte ist, daß diese positiven Beispiele von nachhaltiger Entwicklung nicht die Ausnahme bleiben, sondern die Regel werden.
Ich bedanke mich.