Rede von
Günter
Verheugen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die heutige entwicklungspolitische Debatte ist eine willkommene Gelegenheit, noch einmal sehr grundsätzlich über die Ergebnisse, Ziele und Perspektiven unserer Entwicklungspolitik zu reden. Ich will nicht verschweigen, daß die Tatsache, daß diese Debatte mehrfach verschoben worden ist, schließlich auf den späten Abend, und damit wiederum unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet, auch ein Zeichen dafür sein kann, daß die Entwicklungspolitik auch in diesem Haus nicht den Stellenwert hat, den wir ihr eigentlich gerne einräumen möchten und den sie auch verdient.
Entgegen den tatsächlich erkennbaren globalen Entwicklungen erleben wir einen schleichenden Bedeutungsverlust der Entwicklungspolitik in den Industriestaaten. Ich glaube, das hat zwei Ursachen.
Die erste Ursache ist rein außenpolitischer Natur. In der Zeit der Blockkonfrontation gab es eine jenseits der eigentlichen Entwicklungspolitik liegende Legitimation für Entwicklungszusammenarbeit. Das haben die Entwicklungspolitiker selber nie gerne gesagt und zugegeben. Das ist aber ein Faktum.
Die zweite Ursache ist, daß die weltwirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre die großen Industriestaaten sehr stark dazu gebracht haben und wahrscheinlich auch bringen mußten, sich auf ihre eigenen Probleme zu konzentrieren. Denken Sie nur daran, was Deutschland in den letzten fünf Jahren an zusätzlichen Aufgaben übernommen hat, die auch beachtliche finanzielle Auswirkungen haben, zum Beispiel die Finanzierung der deutschen Einheit, die oft eine Rolle spielt, aber auch die für uns naheliegenden, vitalen Leistungen, die bei der Hilfe der Transformation in den ehemaligen kommunistischen Staaten erbracht werden müssen. Das konnte nicht ohne Auswirkungen auf das bleiben, was in der übrigen Welt geschieht.
Ich erinnere mich gut daran, daß schon 1990 und 1991 Staatsoberhäupter schwarzafrikanischer Länder besorgt gefragt haben: Werden wir diejenigen sein, die am Ende für die deutsche Einheit zahlen müssen?
Günter Verheugen
Werden wir diejenigen sein, die für euer Bemühen zahlen müssen, Osteuropa rasch an die Standards Westeuropas heranzuführen? Werden wir an den Rand gedrängt und marginalisiert? - Eines wird man zugeben müssen: Die weltpolitische, auch die wirtschaftliche Marginalisierung Afrikas südlich der Sahara hat geradezu erschreckende Ausmaße angenommen.
Deshalb ist es an der Zeit, noch einmal ganz deutlich zu sagen, daß dieser Tendenz entgegengewirkt werden muß, weil sie von Grund auf falsch ist und weil sie unsere eigenen Interessen schädigt.
Entwicklungspolitik ist in Wirklichkeit das einzige wirksame Instrument, das wir haben, um präventiv zu wirken, wenn es darum geht, die erkennbaren und die erkannten globalen Risiken zu bekämpfen. Diese globalen Risiken sind in den letzten Jahren wahrlich nicht geringer geworden. Ich nenne als Stichworte das unkontrollierte, vielleicht auch unkontrollierbare Bevölkerungswachstum, die Umweltzerstörung und Verelendung, diesen Teufelskreis von Bedingungen, die sich gegenseitig verstärken und verschärfen.
Das hat ja dazu geführt, daß die Welt in den letzten Jahren nicht etwa friedlicher geworden ist, sondern mehr und mehr Konflikte ausbrechen. Wenn man genau hinschaut, sieht man hinter den Konflikten, die uns auch hier im Deutschen Bundestag so oft und so dramatisch beschäftigt haben, in der Regel ökonomische und soziale Ursachen.
Es ist schwer zu akzeptieren, wie leicht es auch uns hier fällt, notwendige Mittel für das zur Verfügung zu stellen, was man militärische Nachsorge der Konfliktbewältigung nennen könnte, während das, was politische Vorsorge in der Konfliktbewältigung ist, dahinter zurückstehen muß. Das krasse Mißverhältnis etwa des Aufwands für die ergebnislos gebliebene internationale Militäroperation in Somalia gegenüber dem, was insgesamt an Entwicklungszusammenarbeit in Afrika geschieht, ist geradezu auffällig und in meinen Augen wirklich obszön und nicht tolerabel.
Wir wollen die Entwicklungspolitik nicht als ein Instrument der nationalen Außenpolitik verstehen. Das wäre ein Fehler. Aber sie muß verstanden werden als ein ganz wesentlicher Faktor, als eine Komponente der Außenpolitik der Industriestaaten. Es geht eben um mehr als um Projekte in einzelnen Ländern. Es geht darum, einen Beitrag zu leisten, um weltweit die drei großen Sicherheiten, die die Menschen brauchen, zu realisieren. Was sind das für drei Sicherheiten? Die eine ist die Sicherheit vor Gewalt und äußeren Angriffen. Die zweite ist die Sicherheit vor Kriminalität, vor Willkürherrschaft und Unrecht. Und die dritte ist soziale Sicherheit, Schutz vor den großen Lebensrisiken.
Es liegt auch in unserem wohlverstandenen Interesse, dafür zu sorgen, daß auf diesen Feldern nicht eine immer krasser werdende Ungleichheit auftritt, die sich letztlich auch in politischen und eines Tages vielleicht sogar in militärischen Konflikten entladen muß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das bedeutet für uns, daß die Entwicklungspolitik ernstgenommen werden muß als eine politische Querschnittsaufgabe, die aus dem engen ressortbezogenen Denken herausgelöst werden muß. Es kann nicht angehen, daß ganz wesentliche Bereiche, die für die Entwicklung der Welt so entscheidend sind wie die Umweltpolitik, wie die Bevölkerungspolitik, wie die Sozialpolitik in unserem Regierungssystem und auch in unserer Parlamentsarbeit an anderer Stelle behandelt werden als dort, wohin sie gehören, nämlich in der Entwicklungspolitik. Entwicklungspolitik muß einen breiteren Ansatz haben, und dafür muß auch die entsprechende administrative und organisatorische Vorkehrung getroffen werden.
Was die langfristige Zielsetzung angeht, so kann es keinen Zweifel daran geben, daß die Vielzahl von Projekten, die wir finanzieren - seien es öffentliche Projekte, seien es Projekte über Nichtregierungsorganisationen, deren verdienstvolles Wirken man unbedingt loben muß -, noch nicht ausreicht, um die notwendigen langfristigen Strukturveränderungen auch zu garantieren. Ein einzelnes Projekt verändert eben noch nicht Entwicklungstendenzen. Ein einzelnes Projekt verändert keine Strukturen, sondern die Strukturen werden ganz anderswo verändert, nämlich dort, wo die Entscheidungen über das Weltwirtschaftssystem fallen, dort, wo die Entscheidungen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds fallen, dort, wo die großen internationalen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen organisiert werden. Dort fallen die Strukturentscheidungen, und diese Entscheidungen müssen nach unserer festen Überzeugung viel stärker unter dem Gesichtspunkt einer Entwicklungsstrategie gesehen werden. Den Ländern des Südens muß es möglich gemacht werden, eine viel mehr aus eigener Kraft entwickelte, langfristig stabile Entwicklungsstrategie durchzusetzen.
In dem Zusammenhang möchte ich sehr unterstreichen, was der Kollege Feilcke in seinem Beitrag gesagt hat, nämlich daß dazu ganz unbedingt die Lösung der Schuldenproblematik gehört. Wenn wir nicht dafür sorgen, daß die ärmsten Länder der Welt aus der Schuldenfalle, in der sie sind - ob durch eigene Schuld oder nicht, will ich hier gar nicht untersuchen, aber jedenfalls unter tatkräftiger Mitwirkung aller möglichen Regierungen und Institutionen in der Welt -, herauskommen, dann sind alle Entwicklungsanstrengungen vergeblich,
weil das, was möglicherweise an positiven Veränderungen erreicht wird, aufgefressen wird durch das,
Günter Verheugen
was in die reichen Industriestaaten zurückgezahlt werden muß.
Ich möchte Sie noch auf einen wichtigen Punkt aufmerksam machen, der vielleicht ein bißchen wehtut, ohne den es aber auch nicht gehen wird. Wir sind fest davon überzeugt, daß eine glaubwürdige Entwicklungspolitik auch die Bereitschaft zu Veränderungen in unserem eigenen Verhalten und Reformbereitschaft im eigenen Land voraussetzt. Es wird nicht funktionieren, insbesondere von den ganz großen Entwicklungsländern eine ökologisch verantwortbare, ressourcenschonende Entwicklungsstrategie zu verlangen, wenn wir selber nicht bereit sind, ein Beispiel zu geben, daß es funktioniert.
Wenn wir selber nicht schonend mit den Ressourcen umgehen, wenn wir selber nicht einen erkennbaren Beitrag dazu leisten, daß durch die umweltschädigenden Einflüsse unsere Produktionen drastisch zurückgehen, dann werden die anderen sagen: Warum verlangt ihr von uns, was ihr selber seit langer Zeit tut und worauf ihr euren Wohlstand gründet?
Meine Damen und Herren, das Ziel einer Entwicklungsstrategie, wie wir sie uns vorstellen, ist nicht, irgendwo ein vorzeigbares Prestigeobjekt zu finanzieren, das man dann besichtigen kann, wenn man ein Land besucht, sondern das Ziel ist viel, viel schwieriger. Es geht darum, in den Entwicklungsländern Potentiale zu bilden, die sie selbst befähigen, eine langfristige und stabile Entwicklung voranzutreiben. Das bezieht sich auf den Bildungsbereich. Das bezieht sich auch auf den ökonomischen Sektor. Das bezieht sich aber auch - das möchte ich als letztes sagen - ganz ausdrücklich auf das politische System.
Der Herr Bundesminister weiß, daß die Frage der Konditionalisierung von Entwicklungszusammenarbeit zwischen uns gar nicht besonders strittig ist, daß es in jedem Fall sinnvoll erscheint, solche politischen Systeme zu unterstützen und ihnen wirklich zu helfen, die Demokratisierung, die Achtung von Menschenrechten, die Rechtsstaatlichkeit und eine stabile soziale und marktwirtschaftliche Ordnung in ihrer Politik verwirklichen zu können. Ich denke, daß Maßnahmen, die dazu geeignet sind, demokratische, politische Systeme herbeizuführen und zu schaffen, gar nicht furchtbar teuer sein müssen und daß in diesem Feld, auch mit den bescheidenen Mitteln, die zur Verfügung stehen mögen, noch mehr geschehen kann. Ich glaube, daß die Wirkungen von Mitteln, die eingesetzt werden, um Potentiale in den Entwicklungsländern selbst zu schaffen, letztlich größer sein werden als die Wirkungen, die wir erreichen, wenn wir in großem Umfang Geld oder Warentransfer in diese Länder leisten.
Ich glaube, daß wir in Wahrheit bei all diesen Fragen in diesem Hause nicht sehr weit auseinander sind. Ich hoffe, daß diese Debatte das zeigen wird.
Meine Fraktion hat einen 20-Punkte-Katalog zur Neuorientierung der Entwicklungspolitik vorgelegt. Wir bitten Sie, diesen Katalog ernst zu nehmen und nicht einfach beiseite zu legen, weil er von der Opposition kommt. Er ist ein ernstgemeintes und ernsthaftes Angebot zur Zusammenarbeit in einem Politikfeld, das unserer Meinung nach eine immer größere Bedeutung erlangen wird.
Danke schön.