Rede von
Joachim
Poß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich habe eigentlich erwartet, daß Sie etwas zu den F.D.P.-Forderungen sagen und auch zu der Gespensterrede von Herrn Thiele. Ist es so, daß jetzt die gesamte Bundesregierung die Abschaffung der Gewerbesteuer und des Solidaritätszuschlages bis 1999 will, also all die Vorschläge, die sich auf 60 Milliarden DM aufaddieren? Jeder weiß doch - ich sage das auch Herrn Westerwelle, der gerade hinausgeht -, daß die neue F.D.P.-Führung finanzpolitisch durchgeknallt ist.
Es gibt kein Medium, das nicht feststellt, daß der Gipfel der Unseriosität und der Unverfrorenheit durch die F.D.P. erreicht ist. Und dann sagen Sie kein Wort zu diesem Abenteurertum! Da hätten Sie doch wirklich die Empörung, die Sie der SPD gegenüber sozusagen verschwendet haben, aufbringen können, Herr Minister.
Was gilt denn in dieser Regierung? Das muß hier und heute in der steuer- und finanzpolitischen Diskussion klargestellt werden. Es ist richtig, daß die Entwicklung des Lohnsteueraufkommens und des Aufkommens aus der veranlagten Einkommensteuer die Erstattung berücksichtigen muß. Das ändert aber nichts daran, daß der Trend stimmt. Das muß nämlich Jahr für Jahr gemacht werden.
Selbst wenn man dann die veranlagte Einkommensteuer ganz aus der Betrachtung herausnimmt, bleiben die Fakten äußerst aufschlußreich: Die Einnahmen aus Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Vermögensteuer sind von insgesamt 76,7 Milliarden DM in 1989 auf 70,6 Milliarden DM in 1995 zurückgegangen. Das heißt, der Anteil der Unternehmensteuer am Gesamtsteueraufkommen ist von 14,3 Prozent in 1989 auf 8,7 Prozent in 1995 zurückgegangen. Und das bei einer 52prozentigen Steigerung des Gesamtsteueraufkommens!
Dagegen ist der Anteil der Lohnsteuer - auch unter Berücksichtigung der Erstattung - in den letzten Jahren deutlich angestiegen und hat eine neue Rekordhöhe in der Geschichte der Bundesrepublik erreicht.
Darüber müßten Sie einmal sprechen, Herr Waigel und Herr Thiele. Das ist nämlich Ihre Verantwortung; Sie haben das so weit kommen lassen.
Sie tragen die Verantwortung für diesen Negativrekord. Das sind die Fakten. Und wenn Sie diese Fakten nicht glauben wollen, dann empfehle ich Ihnen, wirklich den Beitrag von Herrn Mundorf zu lesen. Als konservativer Publizist nimmt er es ja mit den Fakten sehr genau.
Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, daß endlich dem Grundsatz „Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, nach gleichem Maß und einfachen Regeln" entsprochen wird. Das sind die grundlegenden Anforderungen an eine gerechte Einkommenbesteuerung. Von diesen Grundsätzen ist unter Ihrer Verantwortung das Einkommensteuerrecht immer weiter entfernt worden. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen Welten. Immer öfter ist zu hören, daß nur noch die Dummen Steuern zahlen.
Fast täglich lesen wir in der Presse über Steuerflucht und Steuerhinterziehung, über legale und illegale Steuerumgehung. Arbeitnehmer, die Lohnsteuer zahlen, tragen die volle Steuerlast. Für die anderen gibt es unzählige Gestaltungsmöglichkeiten, um die Steuerlast zu verringern. Dafür haben Sie, Herr Waigel, die finanzpolitische Führungsverantwortung in der Bundesrepublik Deutschland. Sie müssen gemeinsam mit den Ländern dagegen etwas unternehmen.
Joachim Poß
Es ist nicht so, daß Sie da aus der Verantwortung sind. Lesen Sie einmal die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zu Ihrer Verantwortung.
Wenn wir nicht Einhalt gebieten, wird unsere Gesellschaft zunehmend in zwei Gruppen gespalten werden: eine Gruppe mit sozialen Problemen und eine andere Gruppe mit Steuerabzugsproblemen. Das hält keine Gesellschaft auf Dauer aus.
Deswegen müssen wir jetzt mit einer Reform der Einkommenbesteuerung anfangen. Gerade vor dem Hintergrund des Bündnisses für Arbeit müssen auch die psychologischen Voraussetzungen in unserer Gesellschaft geschaffen werden, um zu einer neuen Anstrengung zu kommen.
Unser Einkommensteuerrecht verstößt formell und materiell gegen die steuerliche Gerechtigkeit.
Aber der Bundeskanzler Helmut Kohl hält Theo Waigel für einen guten Finanzminister.
Es ist ungerecht, wenn Arbeitnehmer mit mittlerem Einkommen eine höhere Grenzbelastung tragen als Bezieher hoher Einkommen. Es ist ungerecht, wenn Bezieher hoher Einkommen ihre Steuerschuld selbst gestalten und im Extremfall auf Null reduzieren können. Es ist ungerecht, wenn die Arbeitnehmer mit mittleren Einkommen immer stärker zur Kasse gebeten und zum Hauptfinanzier des Staates werden. Es ist ungerecht, wenn die verschiedenen Einkünfte ungleich behandelt werden.
Wir fordern, daß Veräußerungsgewinne vollständig erfaßt und Spekulationsfristen verlängert werden.
Wir haben einen Dschungel an Vorschriften. Es gibt keine wirksamen Kontrollen, weil die Finanzverwaltung dies entweder nicht mehr leisten kann oder weil gesetzliche Regelungen dem entgegenstehen.
Ohne Kontrolle verkommt die Steuer zur Spende. Hier muß der Gesetzgeber dringend Abhilfe schaffen. Deshalb brauchen wir eine gerechte und einfache Einkommensteuer. Eine progressive Einkommensteuer ist das Herzstück einer gerechten Steuerlastverteilung. Die Steuerlast muß konsequent an der Leistungsfähigkeit ausgerichtet werden. Die Sensibilität der Bürger, ob es dabei gerecht zugeht, ist deshalb besonders ausgeprägt. Wir täten gut daran, meine Damen und Herren, mit gleicher Sensibilität der wachsenden und, wie ich meine, zum Teil auch verständlichen Verdrossenheit entgegenzuwirken. Es müßte unser gemeinsames Anliegen sein, die Einkommensteuer wieder stärker an den tragenden Grundsätzen einer gerechten Besteuerung auszurichten.
Schon seit Jahren unterhält Herr Uldall die Öffentlichkeit mit seinen Vorschlägen zur Einkommensteuer. Was die grundsätzliche Zielrichtung angeht, da sind wir mit Herrn Uldall noch einer Meinung; wir haben aber festgestellt, daß Herr Uldall in seiner Fraktion ein einsamer Rufer geblieben ist; denn seine Fraktion greift seine Vorschläge nicht auf.
Sind diese Vorschläge mit einem Stufentarif seiner Fraktion nicht weitgehend genug? Oder sind sie sozial unvertretbar? Oder reißen sie zu große Finanzlöcher?
Und der Bundesfinanzminister will nur eines: Er
will eine Reform verschieben, und zwar in das nächste Jahrtausend. Sehen Sie in das Aktionsprogramm der Bundesregierung,
da steht es schwarz auf weiß drin. Jedenfalls soll vor der nächsten Bundestagswahl überhaupt nichts laufen, und das lehnen wir ab.
Die F.D.P. will vor allem am 24. März ihre Haut retten, und deshalb verspricht sie das Blaue vom Himmel.
Mit unserem Antrag wollen wir ein Signal setzen. Wir wollen die Aufgabe jetzt angehen, noch in diesem Jahr. Wir sind es den Bürgern nämlich schuldig. Bundesregierung und Gesetzgeber müssen handeln, wenn Mißstände drohen oder eingetreten sind, und nicht erst, wenn sie vom Bundesverfassungsgericht dazu verurteilt werden.
In jeder Steuerdebatte fordert der Bundesfinanzminister Steuervereinfachungen, aber seit Jahren tut er das Gegenteil.
Der Bundesfinanzminister hat in der Finanz- und Steuerpolitik ohne Konzept gehandelt. Er hat das Einkommensteuerrecht verwüstet; er hat es mißbraucht für wahltaktische, für partei- und für koalitionspolitische Winkelzüge.
Der Bundesfinanzminister, meine Damen und Herren, hat im deutschen Steuerrecht ein Chaos angerichtet.
Wir fordern deshalb eine umfassende Reform der Einkommensteuer, die noch in diesem Jahr in Angriff genommen werden muß.
Joachim Poß
Bürger und Finanzverwaltung sollen frühzeitig Klarheit über bevorstehende Änderungen erhalten.
Bei den Zinseinkünften schreit die Ungerechtigkeit zum Himmel. Wir schlagen Ihnen vor: Lassen Sie uns gemeinsam dieses Thema anpacken und eine Lösung finden, bevor ein neuer Spruch aus Karlsruhe fällig ist! Das ist die Gestaltungsaufgabe der Politik, hier muß der Finanzminister seiner Verantwortung endlich einmal gerecht werden. Er muß endlich für verfassungsgemäße Kontrollen sorgen.
Steuerliche Sonderregelungen und Ausnahmen müssen beseitigt werden. Nur dort, wo eine individuell verminderte Leistungsfähigkeit Sonderregelungen erfordert, dürfen sie bestehenbleiben. Sie sollen aber in einen Abzug von der Steuerschuld umgewandelt werden. Lenkungsnormen müssen zielgerichtet auf wenige Bereiche konzentriert werden: auf die Förderung von Forschung und Entwicklung, auf die Förderung von Umwelttechnologien, auf den Bereich der Bildung.
Innerhalb der verschiedenen Einkommensgruppen müssen die Lasten wieder gerechter verteilt werden.
Untere und mittlere Einkommen sind von dieser Bundesregierung übermäßig belastet worden. Ich erinnere an die Finanzierung der deutschen Einheit über die Erhöhung der Lohnnebenkosten. Dies war eine bewußte und gewollte Entscheidung der Bundesregierung gegen alle fachlichen Warnungen.
Die Folgen Ihrer falschen Steuer- und Finanzpolitik können Sie jeden Monat an den Insolvenzen- und den Arbeitslosenzahlen ablesen.
Wenn alle Einkunftsarten gleichmäßig erfaßt und Sonderregelungen abgebaut werden, dann können die Steuersätze deutlich verringert werden. Was auch nicht wieder geschehen darf: Es liegen Urteile des Bundesverfassungsgerichts vor, aber die Bundesregierung handelt einfach nicht, entweder weil sie sich nicht entscheiden kann oder weil sie sich aus wahltaktischen Gründen nicht entscheiden will.
Wir müssen uns darüber im klaren sein: Wenn wir eine umfassende Reform der Einkommensteuer angehen, dann war der Abbau steuerlicher Sonderregelungen im Rahmen des Jahressteuergesetzes 1996 nur ein kleiner Schritt. Nur wenn wir die Vergünstigungen der verschiedenen Gruppen gleichzeitig beschneiden und auf Klientelbedienung keine Rücksicht nehmen, kann dies gelingen. Die F.D.P. muß zu dem Thema nun wirklich schweigen. Sie fordert ständig Subventionsabbau, und wenn es darauf ankommt, kneift sie, weil sie ihre Klientel nicht treffen will.
In diesem Jahr haben wir schwierige Themen in der Steuer- und Finanzpolitik zu besprechen und zu klären. Auch dabei geht es um Fragen der steuerlichen Gerechtigkeit, um soziale Ausgewogenheit und um die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Einen Vorgeschmack über die Zerstrittenheit der Koalition - wenn es um konkrete Entscheidungen geht - haben wir durch das Hin und Her über den Solidaritätszuschlag schon bekommen.
Wie war das denn Anfang Januar, Herr Waigel, mit Ihren Auskünften aus dem Finanzministerium, es gäbe noch keine gesicherten Zahlen zu der F.D.P.-Forderung, und dann wurden eine Woche später im Finanzausschuß Zahlen vorgelegt? Das war doch ein Hin und Her. Was sagt denn Ihr ehemaliger Staatssekretär Faltlhauser? Das kann er doch wohl nicht ernst gemeint haben, der Theo, es gebe doch überhaupt keinen Beleg dafür, daß die Länder 3 Milliarden DM hinblättern sollen. Bleiben Sie doch endlich einmal seriös! Widerstehen Sie diesen Klientelwünschen der F.D.P., sonst verspielen Sie noch den letzten Rest, den Sie vielleicht hie und da an Glaubwürdigkeit haben mögen.
Die Koalition wird doch nur noch von dem Wunsch zusammengehalten, die Landtagswahlen am 24. März 1996 halbwegs zu überstehen. Daß die F.D.P. keine Skrupel hat, in die Länderkassen zu greifen, ist klar; denn sie ist inzwischen aus den meisten Landtagen hinausgeflogen. Der Bundesfinanzminister hat einen engen Freund, den Herrn Stoiber, der ihm seine Grenzen aufgezeigt hat. Die Bundesregierung versucht schon wieder, die Wähler zu täuschen, genau wie dies der Bundeskanzler 1990 gemacht hat.
Vor der Wahl hieß es: keine Steuererhöhungen. Nach der Wahl haben Sie die größte Steuererhöhung aller Zeiten beschlossen. Das war eine Lüge, das ist eine Lüge, und das bleibt Lüge. Genau das versuchen Sie jetzt wieder.
Das wichtigste Thema in diesem Jahr ist die neue Regelung der Vermögen- und der Erbschaftsteuer. Wer wie der Bundesfinanzminister und auch Teile der Koalition eine ersatzlose Abschaffung der Vermögensteuer fordert, hat jegliches Gespür für steuerliche Gerechtigkeit und für Solidarität verloren.
Das Thema Vermögensteuer ist nicht, wie Sie es darstellen, primär eine Frage der Steuervereinfachung, nein, bei der Vermögensteuer geht es primär um eine verteilungspolitische Frage.
Von einer ersatzlosen Abschaffung der Vermögensteuer, wie sie von Ihnen gefordert wird, profitieren nur die großen Vermögensinhaber.
Die Inhaber kleiner und mittlerer Vermögen - ich nenne als Hausnummer einmal einen Betrag bis zu einer Million - profitieren eben nicht von einer Abschaffung der Vermögensteuer, denn diese Vermö-
Joachim Poß
gen wollen und müssen wir nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ohnehin von der Vermögensteuer freistellen. Nur diejenigen, die oberhalb dieser Freistellung liegen, also die Inhaber höherer Vermögen, profitieren von einer Abschaffung. Nur für die wollen Sie eine milliardenschwere Vergünstigung. Sie verschleiern das unter dem Deckmantel der Steuervereinfachung.
Ihr zweites Argument für eine ersatzlose Abschaffung der Vermögensteuer ist die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts einer hälftigen Teilung der Erträge. Hier legen Sie das Urteil in einer Weise aus, die meines Erachtens unzulässig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die hälftige Teilung vorgegeben, ohne verteilungspolitische Aspekte zu berücksichtigen, und zwar mit der Begründung, verteilungspolitische Aspekte seien nicht Gegenstand des Verfahrens. Das heißt, das Bundesverfassungsgericht erkennt ausdrücklich an, daß eine Belastung der Erträge auch über die hälftige Teilung hinaus verfassungskonform ist, wenn steuerliche Verteilungswirkungen gewollt sind.
Wenn Sie die Abschaffung der Vermögensteuer über höhere Schulden finanzieren wollen - siehe F.D.P.-Forderung - profitieren die hohen Vermögen gleich zweifach:
Erstens. Sie zahlen keine Vermögensteuer mehr. Zweitens. Sie verdienen zusätzlich Zinsen aus der höheren Staatsverschuldung. - Auch dies ist ein Beleg für Ihre Skrupellosigkeit, wenn es darum geht, Ihrer Klientel Vorteile zu verschaffen.
Nächstes Thema, Herr Westerwelle: Sie wollen die Gewerbekapitalsteuer abschaffen. Nun wissen Sie und wissen wir, welche Kreise aus der Wirtschaft diese Abschaffung betreiben. Es sind nicht die kleinen Handwerksmeister oder die kleinen Betriebe, nein, es sind die Großunternehmen, die hinter diesem Vorschlag stehen und die von einer solchen Abschaffung besonders profitieren. Sie haben sich hier voll instrumentalisieren lassen und betreiben eine Politik gegen die Interessen des Mittelstandes.
Großunternehmen werden entlastet; Klein- und Mittelbetriebe - sie in erster Linie stellen bei uns Arbeitsplätze bereit - werden belastet, weil Sie die Abschreibungsbedingungen verschlechtern wollen.