Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß die Debatte heute morgen zunächst einmal gezeigt hat - das ist positiv -, daß das ganze Haus der Meinung war, daß die erste Stufe der Pflegeversicherung alles in allem gelungen ist und daß wir eine Menge für die Menschen, die in ihrer häuslichen Umgebung gepflegt werden, erreicht haben.
Daß wir uns darin einig sind, ist schon viel wert; denn bei der vorhandenen dauerhaften Kritikbereitschaft in der öffentlichen Meinung ist es gut, daß man sich darüber einig ist.
Ich füge hinzu: Das beste Kompliment für die Pflegeversicherung, das ich mir vorstellen kann, ist die Tatsache, daß die Zahl der Heimunterbringungen für pflegebedürftige Menschen in diesem Land abgenommen hat. Dies ist der schlagendste Beweis dafür, daß uns die häusliche Pflege gelungen ist.
Ich sehe das nicht nur aus Kostengründen so - zu Hause ist es billiger als im Heim -, sondern auch deshalb, weil ich aus vielen Gesprächen, die ich in meinem Wahlkreis und anderswo, auch in Alteneinrichtungen, geführt habe, weiß, daß es sich die allermeisten alten Menschen wünschen, daß sie, wenn sie pflegebedürftig werden und es eben geht, in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können. Das ist der große Wunsch. Daß wir es erreicht haben, daß sich jetzt immer mehr Familienangehörige die Pflege zu Hause zutrauen, halte ich für eine ganz tolle Sache.
Meine Damen und Herren, es gibt einen weiteren Punkt, der uns alle eigentlich ein wenig zufrieden stimmen sollte, insbesondere wenn ich an die Diskussionen über die Finanzen anderer sozialer Sicherungssysteme denke: Wir können jetzt nach einem guten halben Jahr seit der Einführung der ersten Stufe sagen, daß die Finanzsituation der Pflegeversicherung stabil ist. Wir haben ein Plus in Höhe von 5 Milliarden DM in der Pflegeversicherung. Aber wie umstritten war es in diesem Haus, als es CDU und F.D.P. durchgesetzt haben, zunächst drei Monatsbeiträge einzufordern, um einen Sockel aufzubauen, und erst dann Leistungen zu erbringen? Damals haben die SPD und andere davon geredet, wir würden die Leute ausnehmen. Seien wir froh, daß wir, CDU und F.D.P., das damals so durchgesetzt haben.
Ein weiterer Punkt ist, daß der finanzielle Sockel sicherlich eine Voraussetzung ist, um etwas beruhigter in die zweite Stufe der Pflegeversicherung gehen zu können.
Vertrauen in die Pflegeversicherung hängt auch damit zusammen, daß wir sie finanzierbar gestalten, und zwar sowohl mit Blick auf die Beiträge als auch auf die Ausgabenseite dieser Versicherung. Deswegen sehe ich überhaupt keinen Grund, lieber Kollege Andres, jetzt anzufangen zu glauben, wir könnten die Rücklagen in der Pflegeversicherung verfrühstücken und unter die Leute bringen, weil das immer schöner ist, als zu sagen: Bestimmte Dinge gehen nicht. Wir haben allen Grund, weiterhin äußerst vorsichtig mit dem Geld der Pflegeversicherung umzugehen.
Nur so ist es zu verstehen, daß wir uns in der Koalition veranlaßt sahen, in einem anderen Gesetz, zu dem wir gestern eine Anhörung durchgeführt haben, zu sagen: Wir nehmen den Bereich der Behindertenwohnheime und -einrichtungen aus den Leistungen der Pflegeversicherung heraus. Hier geht es um 140 000 Menschen. Selbst wenn wir den Vorschlag der Behindertenverbände, 20 Prozent der Kosten pauschal zu zahlen, weil sich schwer abgrenzen läßt, was Pflege und was Eingliederungshilfe in den Wohnbereichen der Behinderten ist, umsetzen, geht es um eine Belastung der Pflegeversicherung mit immerhin über 1 Milliarde DM pro Jahr.
Das müssen wir ganz klar sehen. Nach dem, was wir wissen, und nach den Einschätzungen des Ministeriums ist es nicht möglich, auch dies noch mit den Beiträgen in Höhe von 1,7 Prozent - das macht ja nur eine ganz bestimmte Summe aus; mehr ist nun einmal in dem Topf nicht drin - zu finanzieren.
Für mich war wichtig, daß gestern selbst die Vertreter der Behindertenverbände, die diese Regelung natürlich nicht für richtig halten, gesagt haben, daß sich für den einzelnen betroffenen Behinderten in einer solchen Einrichtung durch die Zahlung von 1 000 DM aus der Pflegeversicherung in der Regel an seiner persönlichen Lebenssituation überhaupt nichts ändern würde.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Menschen würden nach wie vor auf hohem Standard betreut, und sie wären trotz der Zahlung dieser 1 000 DM, wenn wir sie über die Pflegeversicherung gewähren würden, immer noch auf Eingliederungshilfe bzw. Sozialhilfe angewiesen. Von daher halten wir dies für umsetzbar, weil es ein klar umgreifbarer Kreis ist. Es
Karl-Josef Laumann
macht uns zwar keinen Spaß; aber es geht darum, daß wir einen Kuchen nicht zweimal verteilen können.
Ein weiterer Punkt ist - der Kollege Andres hat darauf hingewiesen - die Entscheidung in bezug auf die Behandlungspflege. Dabei gibt es sehr wohl Gründe; ich will sie Ihnen ganz offen nennen. Wenn wir die Behandlungspflege als Pflegeleistung im Rahmen der gesetzlichen Krankenkassen verankert hätten - wofür ich im Grunde war -, dann hätte das bedeutet, daß die gesetzlichen Krankenkassen etwa 2,4 Milliarden DM dafür hätten aufwenden müssen. Ich glaube, auch die Gesundheitspolitiker in den anderen Fraktionen wissen, wie eng zur Zeit das finanzielle Korsett der Krankenkassen ist. Das wissen wir alle.
Wir hätten bei den Krankenkassen, wenn ich es richtig verstanden habe, nicht die Möglichkeit gehabt, die Zahlungen nur auf die Einrichtungen für Pflege zu begrenzen. Vielmehr hätten wir dann auch die Behandlungspflege in anderen Bereichen zahlen müssen, zum Beispiel in den Kindergärten für behinderte Kinder, in den Behindertenwerkstätten, in denen eine Behandlungspflege notwendig ist, und in den Einrichtungen der Behindertenhilfe. Das hätte insgesamt 2,4 Milliarden DM ausgemacht. Ich gebe zu: Das hätte zwar eine weitere Entlastung im Bereich der Sozialhilfe bedeutet, die heute überall dort Trägerin der Behandlungspflege ist. Wenn wir es über die Pflegeversicherung für den eingegrenzten Kreis der Pflegebedürftigen finanzieren, entstehen Kosten in Höhe von 800 Millionen DM für die Pflegeversicherung.
Meine Damen und Herren, wenn Sie wollen, daß wir in den Bereichen, die ich vorhin aufgezählt habe, von einer steuerlichen Finanzierung der Behandlungspflege auf eine beitragsfinanzierte Form der Behandlungspflege umsteigen, dann hören Sie bitte mit den Reden von zu hohen Lohnnebenkosten auf. Denn mit einer solchen Regelung würden Sie die Finanzierung voll in die Beiträge der arbeitenden Menschen in diesem Lande drücken.
Desweiteren müssen wir sehen, daß für die Menschen, die auf stationäre Pflege angewiesen sind, im Schnitt 2 800 DM bzw. 2 500 DM - so haben wir es in das Gesetz geschrieben - zur Verfügung stehen. Fachleute sagen, daß der Betrag für die Behandlungspflege in einer Plegeeinrichtung im Schnitt 170 DM im Monat pro Pflegebedürftigen beträgt. Natürlich wird bei Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung der Anteil, der über die Sozialhilfe gezahlt wird, etwas kleiner. Aber 170 DM sind eben 170 DM; man kann sie nur einmal ausgeben. Wir haben die Hoffnung, mittelfristig den Betrag von 2 800 DM bzw. 2 500 DM nach oben hin verändern zu können, wenn es Reserven bei den Einnahmen in der Pflegeversicherungskasse gibt.
Viel wichtiger ist jedoch der Punkt der Investitionskosten. Man braucht sich über die Behandlungspflege nicht aufzuregen; schließlich geht es bei den
Investitionskosten um viel mehr Geld. Dabei unterhalten wir uns über Summen zwischen 200 DM und 800 DM, ja sogar 900 DM. Die 170 DM sind schon schlimm genug, weil sie von der Pflegeversicherung getragen und von dem insgesamt zur Verfügung stehenden Betrag abgezogen werden müssen; Herr Andres, da gebe ich Ihnen recht. Aber wenn die 800 DM, die 700 DM oder 600 DM bleiben, dann können wir unser gemeinsames Anliegen, einen Menschen, der sein Leben lang als Facharbeiter, als Schreiner, Maurer oder Schlosser gearbeitet hat - in der Regel haben diese Menschen heute gut 2 000 DM Rente -, mit den Leistungen Rente plus Pflegeversicherung aus der Sozialhilfe herauszuholen, nicht verwirklichen.
Deswegen hier mein eindringliches Werben: Länder, haltet euch bitte daran, daß von den 11 Milliarden DM, die die Pflegeversicherung bei der Sozialhilfe für euch einspart, zumindest ein Teil in Investitionen fließen soll, damit wir das Ziel, diese Menschen aus der Sozialhilfe herauszuholen, erreichen!
Meine Damen und Herren von der SPD und allen anderen Fraktionen, überlegen Sie doch einmal, was es praktisch bedeutet, wenn wir die Investitionskosten nicht bekommen. Ich nehme wieder das Beispiel eines Arbeitnehmers. Der bleibt dann in der Sozialhilfe. Sein Betriebsleiter, der immer an der Versicherungspflichtgrenze entlang verdient hat, kann andererseits mit seiner relativ hohen Rente und den Leistungen der Pflegeversicherung das Altenheim allein bezahlen. Der Facharbeiter aber hat sein Leben lang Beiträge gezahlt, und am Ende bleibt er in der Sozialhilfe. Das können wir doch wohl nicht allen Ernstes für richtig halten.
Deswegen müssen wir uns in dieser Frage bewegen. Für mich persönlich entscheidet sich bei dieser Frage ganz klar, ob wir die zweite Stufe so in Kraft setzen können oder nicht, weil wir nämlich, wenn wir die zweite Stufe in Kraft gesetzt haben, den letzten Knüppel gegen die Länder in dieser Frage aus der Hand gegeben haben. Für mich ist das ein ganz wichtiger Punkt.
Meine Damen und Herren, vielleicht zum Schluß noch ein Satz zur Kompensation. Ich meine, wir sollten nicht so tun, als ob wir neue soziale Leistungen - die zweite Stufe der Pflegeversicherung ist eine neue soziale Leistung - in der heutigen Zeit - das galt genauso für die erste Stufe - ohne Einsparungen an anderer Stelle verantworten könnten.
Ich stehe dazu: Wir müssen das an anderer Stelle einsparen und kompensieren.
Daß wir die Kompensation jetzt nicht in dem vorliegenden Gesetzentwurf regeln, hat ganz einfach mit folgendem zu tun: Wir alle wissen, daß wir, um unsere Sicherungssysteme stabil zu halten - überall im
Karl-Josef Laumann
Haus, an jeder Seite dieses Hauses wird doch heute gesagt, wir könnten die Steuern und Abgaben nicht immer weiter erhöhen -, sowieso in den nächsten Wochen und Monaten zu sehr vielen Einsparungen in diesem Staat kommen müssen. Daher ist es sicherlich sinnvoll, keine gesonderte Kompensation für die Pflege zu machen, sondern sich dieses zusammen anzuschauen. Denn ich bin der Meinung, daß wir überall dort, wo es eben verantwortlich und möglich ist, egal an welcher Stelle, unbedingt noch Geld einsparen müssen. Bei dem, was wir den Menschen zumuten, müssen wir sicherlich relativ weit gehen. Mir ist es aber allemal wichtiger, daß wir dort Einschnitte vornehmen, wo es verantwortbar ist, um die Grundsubstanz unserer sozialen Sicherungssysteme, auch die der Pflegeversicherung, auf Dauer finanzierbar zu halten.
Schönen Dank.