Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ist der Unterschied zwischen dem 8. Februar 1996 und dem 9. Februar 1996? Der Unterschied ist: Gestern stand hier der Parteivorsitzende der SPD und hat gesagt, mit dem Abbau von Steuern und Abgaben müßte es schneller vorangehen, viel schneller; unser Programm sei nicht ehrgeizig genug. Heute steht die SPD, was die Umsetzung dieses Vorschlags betrifft, auf der Bremse. Das nenne ich ein Kontrastprogramm innerhalb von 24 Stunden.
Gestern hat Lafontaine gemeint, es könne nicht schnell genug gehen, in bezug auf die Abgabenquote unter 40 Prozent zu kommen, nicht erst im Jahr 2000. Heute tritt die SPD auf ihrem gewohnten Platz auf die Bremse.
- Ich gebe zu: Es ist peinlich, auf das kurze Gedächtnis der Bevölkerung zu setzen.
Auf ein Rezept, wie man sparen kann, ohne Einschränkungen vornehmen zu müssen, warte ich noch. Das möchte ich einmal wissen, wie man Geld sparen kann, ohne etwas zurückzunehmen.
Was zurückgenommen wird - heute morgen ist ja ein Schreckgemälde gezeichnet worden -, ist ein Betrag von 300 Millionen DM, ein kleiner bescheidener Beitrag zum Sparen, der bei weitem die Notwendigkeiten, von denen Lafontaine gestern sprach, überhaupt nicht abdeckt.
Abstufung der Arbeitslosenhilfe.
- Meine Damen und Herren, ganz ruhig.
Jetzt gebe ich einmal ein Rätsel auf. Liebe Frau Lotz, Sie haben ja gerade die Abstufung attackiert, ja? - Ich habe Sie richtig verstanden?
- Dann lese ich Ihnen einmal vor:
Das für die Bemessung der Arbeitslosenhilfe maßgebende Arbeitsentgelt ist jeweils nach Ablauf von drei Jahren seit dem Ende des Bemessungszeitraumes nach § 157 Abs. 8 neu festzusetzen; dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.
Das ist Originalton des Gesetzentwurfes der SPD, eingebracht in diesem Bundestag. Haben Sie jetzt gegen sich gesprochen?
Das ist Ihr Gesetzentwurf. Wollen Sie den Zettel haben? Ihr Gesetzentwurf sieht die Überprüfung der Berechtigung des Bezugs der Arbeitslosenhilfe vor, so wie es das Gesetz auch jetzt schon vorsieht.
Jetzt frage ich Sie - ich überlasse das Urteil jedem selbst -: Ist die Einzelüberprüfung des Beziehers von Arbeitslosenhilfe im Hinblick auf seine arbeitsmarktpolitische Verwendbarkeit nicht sehr viel eher eine Taxiererei, die fast die Würde des Beziehers von Arbeitslosenhilfe beeinträchtigt? Ist eine pauschale Abstufung nicht humaner als eine Stigmatisierung auf Grund der Prüfung durch das Arbeitsamt, bei der herausgefunden werden soll, was er noch wert ist?
Welche Lösung ist näher an einer Stigmatisierung? Nach Ihrem Programm muß der Bezieher von Arbeitslosenhilfe sich beim Arbeitsamt melden,
und dann wird ein Sachbearbeiter des Arbeitsamtes ihn dahin gehend einschätzen, was er noch wert ist. Was ist schlimmer? - Sie sind so weltfern, daß Sie das Verfahren, das Sie vorschlagen, geradezu noch als fortschrittlich verteidigen.
Wenn heute morgen die Rechnung aufgemacht worden ist - das ist auch ein Beispiel für die himmli-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
sche Rechenkunst der SPD -, daß die Kommunen mit 500 Millionen DM durch das Gesetz belastet werden sollen, erwidere ich: Die ganze Abstufung bringt nur 300 Millionen. Wie wollen Sie da 600 oder 500 Millionen sparen?
Es ist richtig: Im Mittelpunkt dieses Gesetzes steht das Sparen, aber stehen auch die Hilfen. Davon haben Sie gar nicht geredet, nämlich von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, von Trainingsmaßnahmen. Und zwar handelt es sich um Trainingsmaßnahmen in zweierlei Hinsicht: Zum einen soll dem Langzeitarbeitslosen geholfen werden, wieder in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. Wer lange keiner Erwerbsarbeit nachgegangen ist, hat es häufig schwer, wieder zurückzufinden. Zum anderen hat er es ebenfalls schwer - auch dazu bekenne ich mich -, seine Arbeitsbereitschaft unter Beweis zu stellen. Denn, meine Damen und Herren, wer wie Sie das Recht auf Arbeit vertritt - als moralisches Recht vertrete ich es auch -, muß doch auch für eine Pflicht zur Arbeit sein. Wer auf die rechtliche Kategorie abhebt, müßte auf der anderen Seite auch geradezu eine Pflicht statuieren. Ich, da ich es nicht als rechtlichen Anspruch formuliere, bin auch nicht für einen rechtlich gefaßten Pflichtbegriff. Wer aber sagt, daß es in moralischer Hinsicht einen Anspruch auf Arbeit gibt, muß auch die Zumutbarkeit prüfen; er kann sich nicht nur eine Seite aussuchen.
- Nein, das machen wir erst mal zu Ende.
Jetzt fragen Sie mich mal: Was ist unwürdig daran, was ist unzumutbar, einen Arbeitslosenhilfebezieher auch bei Saisonarbeiten einzusetzen, ihm sogar noch ein paar Mark mehr zu seiner Arbeitslosenhilfe zu geben, diese aufzustocken, weil er mehr haben soll als der, der sich für eine solche Arbeit nicht zur Verfügung stellt? Wenn Sie das für unzumutbar halten, dann ist das eine Beleidigung der polnischen Arbeitnehmer, denen Sie das zumuten,
dann ist das eine eingebaute Verachtung von ausländischen Mitbürgern. Es kann nicht sein, daß wir sagen: Die Arbeitsplätze sind einem Deutschen nicht zuzumuten, einem Ausländer aber doch. Merken Sie nicht, daß darin geradezu eine Zweiklassengesellschaft,
ein geradezu nationalistisches Denken enthalten ist? Ob eine Arbeit zumutbar ist oder nicht, hängt nicht von der Nationalität des Arbeitslosen ab. Mensch ist Mensch - egal, ob er aus Polen oder aus Deutschland kommt.