Rede von
Adolf
Ostertag
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! In den letzten Tagen hörten wir wieder und wieder, daß die Bundesregierung die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen will. Seit 13 Jahren redet der Bundeskanzler davon - er hat das auch in den letzten Tagen und in seiner Neujahrsansprache gesagt -, daß der Abbau der Arbeitslosigkeit seine große Sorge sei. Aber seit 13 Jahren nimmt die Massenarbeitslosigkeit Jahr für Jahr zu.
Jetzt haben wir, amtlich bestätigt, mit nahezu 4,2 Millionen Menschen, die weder Brot noch Arbeit haben, wieder einen neuen Rekord. Dabei handelt es sich nur um die offizielle Zahl; rund 1,5 Millionen sind hinzuzuzählen, und viele Hunderttausend gehen gar nicht mehr zum Arbeitsamt, so daß wir sagen können: 6 Millionen Menschen suchen in diesem Land einen Arbeitsplatz.
Seit 13 Jahren streicht die Bundesregierung die Leistungen für Arbeitslose zusammen. Schönreden, gar nicht oder schlecht handeln - das ist letzten Endes Ihre Devise. In Wahrheit bekämpfen Sie seit 13 Jahren die Arbeitslosen und nicht die Massenarbeitslosigkeit.
Tatsächlich werden die Beitragszahler immer mehr zur Melkkuh dieser Regierung, und gleichzeitig werden sie um ihre Versicherungsansprüche gebracht.
In Wirklichkeit schieben Sie Ihre finanziellen Verpflichtungen erneut auf die Kommunen ab.
Dieses „Arbeitslosenhilfe-Bekämpfungsgesetz"
reiht sich in Ihre bisherige Demontage und Absenkung der Lohnersatzleistungen ein; es reiht sich ein in die Kappung der originären Arbeitslosenhilfe im sogenannten Asylbewerberleistungsgesetz, wie gestern beschlossen, und vorgestern wurden weitere Verschlechterungen im Arbeitsförderungsgesetz verabredet. - Es ist schon erstaunlich, Herr Günther, daß Sie als zuständiger Staatssekretär bei dieser Runde anscheinend gar nicht mehr dabeiwaren.
Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes soll gekürzt werden, ABM-Jobs sollen nur noch untertariflich bezahlt und arbeitsrechtsfreie Eingliederungsverträge, wie das so schön genannt wird, eingeführt werden. Das ist keine Reform, sondern ein arbeitsmarktpolitischer Offenbarungseid dieser Koalition.
Meine Damen und Herren, durch die IG-MetallInitiative Bündnis für Arbeit hat sich die Bundesregierung scheinbar bewegt und erklärt, jetzt müsse ernsthaft etwas geschehen. Bundesregierung, Gewerkschaften und Unternehmer müßten jetzt dafür sorgen, daß das Bündnis für Arbeit nicht nur in den Überschriften der Zeitungen stattfinde. - Daher verkündet die Regierung ihr „Programm für Stabilität, Aufschwung und mehr Beschäftigung in Deutschland", das 50 Punkte enthält, und das verwechselte anscheinend mein Vorredner, Herr Meyer, mit dem Bündnis für Arbeit.
Auf den ersten Blick soll glaubhaft gemacht werden, daß die Regierung damit ihren Beitrag zum Bündnis für Arbeit leistet, aber ich glaube, das ist weit gefehlt. Die Bundesregierung ist offensichtlich der Ansicht, neue Arbeitsplätze könnten nur dann entstehen, wenn der Sozialleistungsabbau weitergeht, auf breiter Front fortgesetzt wird und Einkommen und Vermögen in dieser Republik in der Tat noch ungleicher als bisher schon verteilt werden.
Meine Damen und Herren, das 50-Punkte-Programm gefährdet die soziale Stabilität und den gesellschaftlichen Grundkonsens und ist kein Beitrag zum Bündnis für Arbeit Das muß sorgfältig auseinandergehalten werden. Das haben auch die Gewerkschaften unmißverständlich gesagt. Bei meinem Vorredner und ebenso durch die Kurzintervention meines Kollegen Schwanitz
- Schwanhold - ist noch einmal deutlich geworden, daß man eben nicht auf Zeitungsenten und Pressestatements hereinfallen, sondern daß man in die Papiere hineinschauen sollte, Herr Meyer, um zu sehen, was dort steht. Und das Papier aus dem Kanzleramt sagt wohl nicht, daß die Gewerkschaften mit den Senkungen im Bereich der Arbeitslosenhilfe einverstanden sind.
Dieses „Arbeitslosen-Bekämpfungsgesetz" reiht sich in die Kette weiterer sozialer Grausamkeiten ein. Es ist keine Reform, sondern ein einseitiger Schritt
Adolf Ostertag
zum Sozialabbau und mit den Gewerkschaften nicht abgestimmt. Die Arbeitslosenhilfe soll letzten Endes zur Sozialhilfe werden. Das ist Ihr strategisches Ziel.
In der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf - ich weiß nicht, ob der Staatssekretär da war - haben das die von Ihnen benannten Sachverständigen nachhaltig und unmißverständlich unterstrichen.
Die praktischen Auswirkungen Ihrer Kürzungspolitik machen schon heute viele Arbeitslosenhilfebezieher zu Sozialhilfeempfängern. Zu Beginn dieses Jahres hatten wir mehr als 1 Million Arbeitslosenhilfeempfänger in der Bundesrepublik. Im Westen der Republik bekommen 76,7 Prozent der Arbeitslosenhilfeempfänger unter 1 200 DM monatlich; im Osten der Republik sind es 93,7 Prozent, die unter diesem Betrag liegen. Der Unterschied zu den Sozialhilfeempfängern ist noch, daß die Arbeitslosenhilfeempfänger davon ihre Miete zu zahlen haben.
Ihre Politik hat also schon dazu geführt, daß in der Tat immer mehr Arbeitslosenhilfeempfänger in die Armut abrutschen und ergänzende Sozialhilfe bekommen müssen; das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Die Kommunen müssen dafür aufkommen, und das ist auch das Ziel Ihrer Politik. Diese Kürzungsvorhaben der Regierung im Bereich der Arbeitslosenhilfe werden die Kommunen zusätzlich mit 1,5 Milliarden DM jährlich belasten. Dazu sollten einmal die Kommunalpolitiker aus Ihren Reihen etwas sagen.
Meine Damen und Herren, was von Ihren Vorschlägen zum sogenannten ArbeitslosenhilfeReformgesetz zu halten ist, machten auch die Sachverständigen am 6. Dezember 1995 sehr deutlich. Alle gesellschaftlich wichtigen Gruppen - die Kirchen, die Sozialverbände, die Gewerkschaften, der Städte- und Gemeindebund und auch der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit, der ja nun wahrlich keine Institution der Opposition ist - lehnen Ihre Vorschläge ab, und zwar in Bausch und Bogen.
Bei dieser Anhörung gab es in der Bewertung ein überzeugendes Bündnis gegen die Vorschläge der Regierung.
Es muß doch auch der Bundesregierung einleuchten, daß es sinnlos ist, Arbeitslose duch Absenkung der Unterstützungsleistungen unter Druck zu setzen, weil eben die Arbeitsplätze fehlen. Das ist das Problem, an dem angesetzt werden müßte, aber nicht mit einer Politik der Entsolidarisierung und zunehmenden Verarmung. Die Kirchen nannten Ihr Programm auch unchristlich; das sollten sich vor allem sich christlich nennende Parteien hinter die Ohren schreiben.
Diese Politik schwächt auch die Kaufkraft insbesondere derjenigen über eine Million Menschen mit ihren Familien, die am Rande des Existenzminimums leben und ihr gesamtes Einkommen für Dinge des täglichen Bedarfs ausgeben müssen. Wenn weitere Senkungen erfolgen, werden die Kaufkraft und damit auch die Konjunktur zusätzlich geschwächt. Dies aber paßt überhaupt nicht zu dem, was Sie hier von diesem Rednerpult aus immer wieder sagen.
Eines allerdings hat diese Regierung erreicht: Sie ist mittlerweile der Spezialist für unsoziale Kürzungsgesetze auf Kosten der Ärmsten in unserer Gesellschaft.
- Diesen Titel haben Sie, und den werden Sie auch nicht los, zumal Sie alles tun, um sich diesen Titel immer wieder aufs neue zu verdienen.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, Sie tragen letzten Endes auch die politische Verantwortung für das Heer der Arbeitslosen, für die 4,2 Millionen Menschen und ihre Familien. Vor den Konsequenzen drücken Sie sich, indem Sie einfach die Massenarbeitslosigkeit „kommunalisieren". Milliardenkosten werden auf die Kommunen als Träger der Sozialhilfe abgewälzt, und immer mehr Kommunen droht tatsächlich der finanzielle Kollaps. Aber das kümmert Sie offensichtlich nicht.
Die Verlagerung von finanziellen Problemen kann aber nicht zu deren Lösung beitragen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sprach von einer „Flickschusterei zu Lasten der Kommunen" . Mit dieser Politik des sozialen Kahlschlags gefährden Sie nicht nur die Stabilität des Fundamentes unseres Gemeinwesens, sondern letzten Endes auch das Fundament des so wichtigen sozialen Friedens in unserem Land.
- Ich sage das sehr bewußt!
Schauen Sie sich einmal die Städte in NordrheinWestfalen und anderen Ländern an - in einem Land, in dem das besonders problematisiert wird, haben wir ja auch bald Kommunalwahlen -, dann werden Sie erkennen, wie durch die Politik des Verschiebens der finanziellen Lasten die Kommunen gebeutelt worden und wie hoch die Sozialkosten in den letzten Jahren gestiegen sind. Auf das Doppelte und Dreifache! Das ist ein Faktum.