Rede von
Angelika
Beer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kolbow, allein die Tatsache, daß bei dieser wichtigen außenpolitischen Entscheidung, die heute vom Bundestag getroffen werden muß, der Bundesminister der Verteidigung die Debatte eröffnet, zeigt, daß es ein Stück dieser Salamitaktik ist und daß die Bundesregierung ein umfassendes Sicherheitsproblem allein auf den militärischen Aspekt zu verkürzen versucht. Ich sage einmal an die Adresse des Herrn Außenministers: Es wäre endlich an der Zeit gewesen, sich nach den Angriffen gegen Koschnick vor das Parlament zu stellen und sich persönlich bei Herrn Koschnick zu bedanken und gleichzeitig Herrn Tudjman öffentlich zu kritisieren.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei dem beabsichtigten Tornado-Auftrag für Ostslawonien handelt es sich um eine doppelte Ausweitung des Auftrages der Bundeswehr. Es ist die regionale Ausdehnung auf ein anderes Staatsgebiet, und es ist eine substantielle Ausdehnung, Luftnahunterstützung bei einem Notfallabzug zu geben. Das ist ein Kampfauftrag.
Dieses Vorhaben entspricht traditionell militärischem Denken. Glaubt man der Lageanalyse, die uns auch vom Bundesverteidigungsministerium gegeben wurde, dann besteht keine militärische Notwendigkeit für den Einsatz. Nein, es besteht eine politische Notwendigkeit zu agieren, die im Bereich des Auswärtigen Amtes liegt und die in diesem zivilen Punkt wieder nicht erbracht wird. Es besteht die Gefahr einer Militarisierung des Friedensprozesses, wenn versäumt wird, den bisher betretenen Weg der versäumten Chancen jetzt endlich zu verlassen und politische Alternativen zu nutzen. Das würde bedeuten, vor allen Dingen auf Kroatien Druck auszuüben, damit das Ostslawonien-Abkommen vertragsgerecht umgesetzt wird. Es gibt die Mittel, dies umzusetzen - dies steht in unserem Antrag -, und zwar im politischen Bereich: die Vorbereitung für Sanktionsandrohungen und -umsetzungen und die EU zu ermuti-
Angelika Beer
gen, der Bevölkerung eine Perspektive der Wiederaufnahme und des Aufbaus zu geben, statt wieder nur mit militärischen Drohgebärden einen Prozeß zu riskieren,
und das zu einem Zeitpunkt, wo wir alle merken, daß die zivile Implementierung von Dayton hinterherhinkt, zu einem Zeitpunkt, wo jetzt, da wir in die Wiederaufbauphase in Ex-Jugoslawien finanzieren müssen, wieder nur Abschreckungsstrategien für den worst case gebastelt werden.
Ich will auch noch erklären, warum wir diese Kritik hier so scharf betreiben. Es sind die 200 Polizisten angesprochen worden. Es ist ein Skandal, daß in dem Moment, in dem unterhalb der militärischen Ebene Hilfe notwendig ist, in dem Zusagen gemacht worden sind, der interne Konflikt der Bundesregierung über eine Finanzierung dafür sorgt, daß diese Hilfe nicht gegeben wird.
Sie betreiben eine Grauzonenpolitik und Sie sorgen dafür, daß die zivilen Aufbaumaßnahmen nicht in Gang kommen. Es ist doch Fakt, daß der zivile Friedensdienst, der von vielen Hilfsorganisationen vorbereitet wird, von Ihnen weder politische noch finanzielle Unterstützung bekommt. Ihr Planungschaos in der Bundesregierung geht soweit, daß Hilfsorganisationen nicht einmal mehr wissen, an wen sie sich im Kabinett wenden sollen. Dieser administrative Wildwuchs ist ein Punkt, den wir nicht bereit sind zu akzeptieren. Herr Kollege Rühe, es ist eine humanitäre Verantwortung und Verpflichtung, den Menschen dort zu helfen. Das sind Probleme, die Sie selber eingestehen. Es geht hier doch nicht nur um die Gefährdung der Soldaten, sondern auch um die Gefährdung jener Flüchtlinge, die zurückgeführt werden sollen. Wo sind die Bemühungen, endlich ein ziviles Minenräumprogramm für Bosnien zu entwikkeln? Wo sind die Gelder dafür? Wir alle wissen doch: Ohne eine Rückführung der Flüchtlinge wird es zumindest keine demokratische Wahl geben können.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluß:
Wir sind nicht bereit, die politische Verantwortung Deutschlands für Ex-Jugoslawien auf eine militärische Diskussion zu reduzieren. Wir sehen die Verantwortung im zivilen Konfliktmanagement, müssen aber feststellen, daß die Bundesregierung nur noch
in der Lage ist, über militärische Aspekte zu diskutieren. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.