Rede von
Volker
Rühe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Friedensvereinbarung für Bosnien-Herzegowina wird Schritt für Schritt umgesetzt. Die Abtretungsgebiete wurden planmäßig zum 3. Februar 1996 geräumt. Die Stationierung der internationalen Friedenstruppe IFOR ist fast abgeschlossen. Inzwischen befinden sich mehr als 58 000 Soldaten, darunter nahezu die geplante Zahl an deutschen Soldaten, im Operationsgebiet.
Selbst wenn sich damit die militärische Lage weitgehend stabilisiert hat, so ist doch der Friedensprozeß im früheren Jugoslawien politisch noch sehr brüchig. In Mostar ist es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die Entscheidung des EU-Administrators Hans Koschnick gekommen, die Verwaltungsstrukturen der Stadt neu zu ordnen. Damit ist für jeder-
Bundesminister Volker Rühe
mann deutlich geworden, wieviel Mißtrauen und Haß noch zwischen den verschiedenen Volksgruppen herrschen.
Ich glaube, wir sollten auch an dieser Stelle deutlich machen, daß Hans Koschnick nicht nur unsere Sympathie hat, sondern vor allen Dingen auch unsere Unterstützung für seine Politik, zu der es keine Alternative gibt.
Frieden - das wird an Mostar deutlich - kann letztlich nur aus dem Innern kommen; er kann nicht von außen erzwungen werden. Deswegen hat der Außenminister völlig zu Recht die kroatische Regierung in die Pflicht genommen. Kroatien hat im letzten Jahr militärische Entschlossenheit gezeigt. Man muß einräumen, daß das letztlich auch geholfen hat, Friedensverhandlungen herbeizuführen; denn zu diesem Zeitpunkt galt die Logik des Schlachtfeldes. Die Serben glaubten, alles auf dem Schlachtfeld ausmachen zu können. Herr Tudjman muß aber wissen, daß wir von ihm jetzt mindestens dieselbe Entschlossenheit für den Frieden verlangen.
Es ist immer leicht, Forderungen an andere zu stellen. Wahre Stärke zeigt sich darin, inwieweit man bereit ist, im eigenen Lager, gegenüber den eigenen Leuten, das heißt also: den Kroaten in Bosnien, den Frieden durchzusetzen.
Präsident Tudjman muß wissen, daß mit den Angriffen auf Herrn Koschnick
- hören Sie gut zu - die Autorität der Europäischen Union - und das ist nicht irgend jemand - in Frage steht und sich die Europäische Union dies nicht bieten lassen wird.
Meine Damen und Herren, Stabilität und friedliches Miteinander im früheren Jugoslawien wird es nur dann geben, wenn die Regierungen in der Region die geschlossenen Verträge umsetzen und all ihren Einfluß auf die Menschen ausüben, schließlich aufeinander zuzugehen, und die Bereitschaft wekken, wieder gemeinsam oder zumindest nebeneinander in diesem Teil der Welt zu leben.
Die Lösung territorialer Fragen ist dafür eine wichtige Grundbedingung. Dazu gehört auch das Problem Ostslawonien. Am 12. November 1995 hat die kroatische Regierung mit den kroatischen Serben einen Vertrag geschlossen, der auf die friedliche Wiedereingliederung Ostslawoniens unter kroatische Staatsgewalt zielt. Zur Umsetzung dieses Vertrages hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 15. Januar 1996 mit der Resolution 1037 entschieden, eine Übergangsadministration einzusetzen. Sie befindet sich zur Zeit im Aufbau und umfaßt eine zivile und eine militärische Komponente.
Belgien hat sich bereit erklärt, die militärische Führung zu übernehmen. Die militärische Hauptaufgabe, die Demilitarisierung der Region, ist innerhalb von 30 Tagen nach Herstellung der Einsatzbereitschaft zu erledigen. Das wird voraussichtlich im Mai oder Juni der Fall sein.
Vor allem in dieser kritischen Phase muß der UN-Verband im Notfall rasche Hilfe erhalten können. Der NATO-Rat hat deshalb beschlossen, Luftnahunterstützung und Unterstützung für einen eventuellen Notfallrückzug auf Anforderung durch IFOR bereitzustellen. Damit ist die Absicherung der Vereinbarungen für Bosnien-Herzegowina und Ostslawonien durch NATO-Luftstreitkräfte eine integrierte Militäroperation. Die UNO-Friedenstruppe in Ostslawonien hat damit Gewißheit, in brenzligen Situationen aus der Luft unterstützt und im Notfall beim Rückzug geschützt zu werden. Diese Unterstützung liegt auch im besonderen deutschen Interesse, nicht nur aus Gründen der Bündnissolidarität gegenüber Belgien, sondern auch deshalb, weil die Entwicklung in Ostslawonien unauflösbar mit dem Friedensprozeß in Bosnien-Herzegowina verbunden ist.
Der Erfolg aller bisherigen Bemühungen der Bundesregierung und der internationalen Staatengemeinschaft zur Stabilisierung der Region wäre ohne eine friedliche Lösung des Konflikts in Ostslawonien gefährdet. Luftoperationen über Bosnien-Herzegowina lassen sich von der möglicherweise kurzfristig erforderlichen Unterstützung für die UNO-Friedenstruppe in Ostslawonien nicht trennen.
Im Luftraum' des früheren Jugoslawien werden ständig Flugzeuge bereitgehalten, die im Notfall Luftnahunterstützung für IFOR gewähren können. Der jeweilige Einsatzort wird kurzfristig festgelegt, wenn sich die Flugzeuge bereits in der Luft befinden. Auf Grund der räumlichen Nähe sollen diese Flugzeuge bei Bedarf auch für die UNO-Friedenstruppe in Ostslawonien eingesetzt werden und würden dazu kurzfristig umdirigiert. Die Flugzeuge zur Luftnahunterstützung von IFOR werden regelmäßig auch durch deutsche Tornados begleitet und geschützt. Die Tatsache, daß deutsche ECR-Tornados Teil der Deckung aus der Luft sind, trägt nicht zuletzt dazu bei, daß es von Anfang an nicht zur Bedrohung von NATO-Flugzeugen vom Boden aus kommt.
Würden die Tornados ausschließlich für die IFORUnterstützung bereitstehen, müßten sie bei kurzfristig geforderter Unterstützung der UNO-Friedenstruppe in Ostslawonien in der Luft abdrehen und die Luftnahunterstützungsflugzeuge ohne Schutz weiterfliegen lassen.
Die Allianz wäre gezwungen, zusätzliche Flugzeuge bereitzustellen, die in einem solchen Fall den Schutz übernehmen müßten. Die deutschen Flugzeuge wären damit für die NATO insgesamt nur noch von eingeschränktem Wert. Die Allianz muß sich aber darauf verlassen können, daß sie die Flugzeuge, die gerade im Einsatz sind, auch wirklich einsetzen kann. Neben den Tornados sollen auch die Kräfte
Bundesminister Volker Rühe
bereitstehen, die im Rahmen von IFOR für die medizinische Evakuierung eingesetzt sind.
Die Bundesregierung hat beschlossen, mit den im Rahmen der multinationalen Friedenstruppe für Bosnien-Herzegowina eingesetzten ECR- und Aufklärungstornados auf Anforderung auch die Mission der Vereinten Nationen in Ostslawonien zu unterstützen. Außerdem sollen die erforderlichen und bereits in IFOR eingesetzten Kräfte für die medizinische Evakuierung bereitgestellt werden. Der deutsche Beitrag erfolgt im zeitlichen Rahmen unserer Beteiligung an der auf ein Jahr befristeten IFOR-Operation.
Mit dem, was die Bundesregierung beschlossen hat, reagieren wir auf eine konkrete Sachsituation. Wir sind nicht auf der Suche nach zusätzlichen Missionen, sondern der Antrag der Bundesregierung zeigt, daß wir uns strikt auf das beschränken, was von der Sache her geboten ist.
Ich darf mich dafür bedanken, daß es möglich war, in dieser Woche zügig zu beraten - ich glaube, das hat international große Beachtung gefunden -, und daß allem Anschein nach der große Konsens gewahrt werden kann. Ich kann aus meiner Begegnung mit den deutschen Soldaten in Jugoslawien heraus nur sagen: Es ist wichtig, daß sie gut ausgebildet worden sind. Es ist wichtig, daß sie optimal ausgerüstet worden sind. Aber das Wichtigste, das wir ihnen mitgegeben haben, ist die volle Unterstützung dieses Hauses, und ich freue mich, daß es dabei bleibt.
Vielen Dank.