Rede von
Waltraud
Lehn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die SPD-Fraktion will die Stabilität der Krankenkassenbeiträge.
- Richtig. - Es ist deshalb keine Frage, daß gespart werden muß. Es ist aber sehr wohl eine Frage, wo und wie gespart werden soll.
CDU/CSU und F.D.P. offenbaren mit dem, was sie hier heute vorlegen, eindeutig, daß sie überhaupt nicht in der Lage sind, ein Gesamtpaket, das dringend erforderlich wäre, auf den Weg zu bringen.
Für diese Salamitaktik der Koalition gibt es zwar keine guten Gründe, aber sehr eindeutige Erklärungen. Wenn diese Taktik nämlich aufginge, den von der Zustimmung des Bundesrates abhängigen Krankenhausbereich vorab zu regeln, wäre danach der Weg für sie frei, beim zustimmungsfreien Teil ohne Hemmungen - ohne Scham sowieso - die bekannten Koalitionsforderungen anzugehen,
wie zum Beispiel mittelbare Leistungsausgrenzungen, höhere Patientenzuzahlungen, Eintrittsgelder der Patientinnen und Patienten für die medizinische Versorgung.
Letztlich würde auch nicht vor den bekannten Forderungen der F.D.P. und des CDU-Wirtschaftsflügels nach dem Ausstieg der Arbeitgeber aus der paritätischen Beitragsfinanzierung haltgemacht. Damit wäre das Ende der solidarisch finanzierten Krankenversicherung ohne jede Frage eingeleitet. Aber eine Krankenversicherung, bei der die persönlichen finanziellen Mittel des einzelnen Patienten über den Zugang zu medizinischen Leistungen entscheiden, wird es mit uns nicht geben.
Meine Damen und Herren, wir machen auch nicht bei dem - zugegeben kläglichen - Versuch der Koalition mit, von eigenen Fehlern abzulenken, auf die Herr Pfaff vorhin bereits aufmerksam gemacht hat, und den Krankenhäusern allein die Verantwortung für Fehlentwicklungen im Gesundheitsbereich aufs Auge zu drücken.
Erst recht widersprechen wir ausdrücklich Ihren Vorstellungen, die Ursachen von Unwirtschaftlichkeit in Krankenhäusern den dort beschäftigten Schwestern und Pflegern aufs Auge zu drücken.
- Wer schreit, hat nicht unbedingt immer recht.
CDU/CSU und F.D.P. wollen die Pflege-Personalregelung gänzlich aussetzen. So einfach geht das nicht. Die Pflege-Personalregelung ist eine leistungsbezogene Personalbemessung, das heißt, die Personalstellen im Pflegebereich werden auf genau beschriebenen Grundlagen von Minutenwerten ermittelt.
Diese Grundlagen wurden von Experten beraten und vorgelegt und hier beschlossen. Die Pflege-Personalregelung hat sich ohne jede Frage als ein geeignetes Steuerungsinstrument erwiesen. Niemand, auch niemand von Ihnen, ist aufgestanden und hat gesagt, daß wir hier eine Korrektur der qualitativen Sicherstellung der Pflege einleiten müßten. Auf dem Tisch liegt allerdings Ihre Absicht, die vierte Stufe der Pflege-Personalregelung nicht umzusetzen,
und dies allein aus fiskalischen Gründen.
Wenn aber nicht die Qualität, sondern die Quantität das Problem ist, muß man die Lösung auch bei den quantitativen Vorstellungen suchen. Sie wollen hingegen etwas zurücknehmen, was man inhaltlich sowohl in der Vergangenheit als auch derzeit für unstreitig hält.
Wenn man sich bei der Pflege-Personalregelung als Teil des Gesundheitsstrukturgesetzes in der Menge geirrt hat, wenn man geglaubt hat, 13 000 Stellen würden ausreichen - 20 000 haben wir inzwischen, und weitere 6 000 oder 7 000 könnten dazukommen -, dann könnte das dazu führen, daß ich
Waltraud Lehn
Herrn Minister Seehofer zwei Fragen stelle. Allerdings würde ich sie ihm wirklich nur stellen, wenn ich auf eine ehrliche und offene Antwort hoffen könnte.
Ich würde erstens fragen: Wollen Sie wirklich, daß wir - wie vor Inkrafttreten der Pflege-Personalregelung - in Europa wieder das Schlußlicht im Verhältnis von Patient und Patientin zu Schwester und Pfleger bilden? Zweitens würde ich fragen: Ist es wirklich Ihre Überzeugung, daß die notwendige Kostenbegrenzung im Krankenhaus auf dem Rücken von Patientinnen und Patienten und auf dem Rücken des Pflegepersonals ausgetragen wird?
Weil ich, wie gesagt, auf entsprechende Antworten nicht hoffen kann und „Blödsinn" in der Tat eine Bemerkung, aber keine Antwort ist und weil ich eine solche Antwort nicht erwarte - dafür wird die F.D.P. schon sorgen, solange sie es jedenfalls noch kann -, hier unsere Antwort:
Die qualitätsgerechte Pflege der Patienten und Patientinnen darf nicht ernsthaft gefährdet werden. Deshalb darf das bisher in diesem Bereich Erreichte auch nicht rückgängig gemacht werden.
Bereits jetzt gibt es personelle Engpässe, und eine Minderung der Qualität wird eine Flucht aus der Pflege verstärken. Jeder Angriff auf den Wert der Pflege - daß das als Angriff verstanden wird, müßten doch selbst Sie, die Sie vielleicht bisweilen noch Stellungnahmen von Betroffenen lesen, inzwischen kapiert haben -, jede Verschlechterung der Patientenversorgung ist nicht nur unangemessen, sie ist auch falsch.
Die Pflegenden in den Krankenhäusern leisten viel. Ihre physische und auch ihre psychische Belastung ist überdurchschnittlich groß. Niemand kann den Eindruck haben, daß sie unterbeschäftigt sind, und niemand geht doch her und sagt, sie irrten auf den Fluren umher und wüßten nicht, was sie tun sollen.
Wenn also der Stellenzuwachs größer ist, als er eingeschätzt wurde, dann hat hier die Realität die Theorie eingeholt. So ist das manchmal.
Dem muß man dann entweder Rechnung tragen, oder man muß die Realität verändern. Die CDU/CSU und die F.D.P. wählen nun eine dritte Variante. Sie ignorieren die Realität. Aber das ist dann ihr Problem. Zu Recht können Sie sich aufregen, wenn das
aufgedeckt ist. Das würde mir auch nicht gefallen, aber ich müßte es mir anhören.
Richtig ist es, mehr Wirtschaftlichkeit zu fordern und Überkapazitäten im Krankenhaus abzubauen. Das wird auch nicht ohne Auswirkungen auf den Stellenbereich bleiben. 8 000 Betten allein in Nordrhein-Westfalen - jeder kann sich ausrechnen, was das, auch auf Stellen bezogen, ausmacht. Die Lösung liegt nicht darin, die Qualität der Pflege anzugreifen.
- Es ist interessant zu hören, daß Sie die Qualität der Pflege angreifen wollen.
Lassen Sie mich bitte auf folgendes zu sprechen kommen. Grundsätzlich falsch ist es, ein Gesundheitswesen in Sektoren aufzuteilen. Es ist fachlich falsch, aber ich meine, es ist auch politisch falsch. Wenn Sie hier gerade angesprochen haben, die AOK habe gesagt, daß die Budgetierung etwas ganz Wunderbares sei, so muß ich hinzufügen: Die gleiche AOK hat im gleichen Zusammenhang gesagt, es müsse aber auch ein Gesamtkonzept her.
Wer ein Gesundheitswesen will, das kranken Menschen hilft und nutzt, wer ein Gesundheitswesen will, das weder zu Lasten der Patientinnen und Patienten noch zu Lasten der in diesem Bereich Beschäftigten geht, der muß dieses Gesundheitswesen als Gesamtheit betrachten, und er muß vor allem entsprechend handeln. Wer sich nur auf den stationären Bereich einigt - lassen Sie uns in diesem Punkt einander nichts vormachen -, der hat den kleinsten koalitionsinternen Nenner gewählt, der gleichzeitig wohl auch der größte koalitionsinterne Nenner ist.
Ich war vorhin fast geneigt, bei der Entschuldigung der beiden erkrankten Gesundheits- „ experten" aufzustehen und zu fragen, ob die Botschaft von Herrn Seehofer, die heute morgen in der Presse zu lesen war, ihnen derart auf den Magen geschlagen ist. Ich habe das allerdings unterlassen.
Wir finden hier den zweiten Grund der von Ihnen gewählten Salamitaktik. Ein Einzelgesetz nach dem anderen durchzusetzen ist nicht nur politisch falsch.
Man gewinnt außerdem zunehmend den Eindruck, daß der Gesundheitsminister - vielleicht muß man demnächst, um im Bild der Salamitaktik zu bleiben, weil das anscheinend beherrschend ist, vom Dauerwurstminister sprechen - bei der Vielzahl von Einzelregelungen den Überblick über die Gesamtproblematik längst verloren hat.
Der Spagat zwischen Kostendämpfung und Qualitätssicherung ist schwierig. Die F.D.P. setzt auf die Amerikanisierung des Gesundheitswesens nach dem Motto: Wer im Gesundheitsbereich arbeitet und
Waltraud Lehn
nicht daran verdient, ist selber schuld. Oder: Wer gute Qualität in der Versorgung haben will, der soll dafür bezahlen. - Die Freidemokraten streben nach einer Grundversorgung für alle und Wahlleistungen für diejenigen, die sie bezahlen können.
In diesem Zusammenhang muß man, so denke ich, auch darauf hinweisen, daß sich hinter der vielfach zitierten Überschrift „mehr Wettbewerb im Krankenhaus" jedenfalls auf seiten der F.D.P. nichts anderes verbirgt als die Absicht, den Krankenhäusern zum Wohle der F.D.P.-Klientel ein Standbein abzuhacken.
Eine der Äxte, die hier ins Spiel gebracht werden, heißt Praxiskliniken. Anstatt bestehende gute Strukturen zu sichern, wird ein zusätzlicher und, so sage ich, sinnloser Bereich geschaffen, der sich nur als lukratives Projekt für Investitionsgesellschaften lohnt.
Die Gesundheit ist kein Konsumgut, das der Versicherte auf dem freien Markt kauft, wie zum Beispiel ein Auto. Würden allein marktwirtschaftliche Prinzipien zur Grundlage unseres Gesundheitswesens, sähe es bald so aus, daß sich die einzelnen Patienten auf Grund ihrer finanziellen Möglichkeiten die Leistungen kaufen und nicht mehr auf der Basis des medizinisch Notwendigen versorgt werden.
Meine Damen und Herren, mehr als die Scheibchenpolitik läßt die Zerstrittenheit zwischen CDU/ CSU und F.D.P. wohl nicht mehr zu. Die Kosten für diese Stückelei werden die Versicherten und die Patienten zu zahlen haben. Ich denke, das können und werden wir nicht hinnehmen. Sie wären gut beraten, über die Art Ihrer Vorgehensweise - gar nicht einmal so sehr über jeden Ihrer Vorschläge -, nämlich Dinge auseinanderzuziehen, die zusammengehören, noch einmal gründlich nachzudenken. Sie zahlen einen verflixt hohen Preis dafür, daß Sie unfähig sind, sich mit der F.D.P. zu verständigen.