Rede von
Prof. Dr.
Martin
Pfaff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der 1. Januar 1996 sollte ein ganz besonderer Termin, ein ganz besonderes Datum werden, ein Datum, das mit Symbolen behaftet war, und manche würden sagen, ein Datum, das in die Geschichte der Gesundheitspolitik eingehen sollte. Denn am 1. Januar sollte die Welt der Budgetierung, die die wirtschaftlich arbeitenden Krankenhäuser bestraft und die weniger wirtschaftlich arbeitenden belohnt, zu Ende gehen. Am 1. Januar sollte die neue Welt der Fallpauschalen und Sonderentgelte, die Leistung entlohnen sollen, eingeleitet und eingeläutet werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Realität sieht doch ganz anders aus: statt Strukturgestaltung mehr Kostendämpfung! Statt Stetigkeit und Selbststeuerung eine Gesetzgebungsflut von seiten der Regierungskoalition! Und statt Überschaubarkeit ein betriebswirtschaftliches Chaos! Das, Herr Bundesminister, haben vor allem Sie zu verantworten.
Die Tatsachen sprechen eigentlich für sich. Es gibt kein Krankenhaus in Deutschland, das heute, am 19. Januar - nicht nur am 1. Januar -, ein wirklich abgestimmtes, angepaßtes, prospektives Budget hätte
- nein, kein einziges -, auf dessen Grundlage es verbindlich planen könnte. Es gelten nur die Fortschreibungen der Vergangenheit, aber nicht die prospektiven Budgets unter neuen Bedingungen. Das ist das erste, was ich anmahnen muß, Herr Bundesminister.
Zum zweiten. In mehr als zwei Dritteln aller Länder wissen die Krankenhäuser heute noch immer nicht, welche Punktwerte sie für die Fallpauschalen und für die Sonderentgelte bekommen werden.
Dr. Martin Pfaff
Auch das liegt im hohen Maße in Ihrer Verantwortung. Wenn ich die „Hohe Schule der gesundheitspolitischen Kunst" des Herrn Bundesministers charakterisieren darf, dann sage ich: Handwerklich mangelhaft! Politisch unverantwortlich! Und für die Krankenhäuser nicht tragbar! Das ist die Situation bei der heutigen Beratung.
Die Folgen für das Gesundheitswesen insgesamt gehen leider aber über den Krankenhausbereich hinaus; denn wenn die Steuerung im Krankenhausbereich versagt, dann wird dies auf alle anderen Bereiche ausstrahlen. Das heutige Gesetz, aber auch die anderen Gesetzeswerke, die sich in der Planung befinden, lassen nicht erkennen, daß Sie das alte Denken in Sektoren wirklich verlassen hätten.
Sie fordern Veränderungen für den Krankenhausbereich; Sie fordern Veränderungen für den ambulanten Bereich - aber Sie vernachlässigenden die Tatsache, daß das Kernstück der nächsten Reformstufe in sektorübergreifenden Konzepten bestehen muß: Die Frage, was für eine Patientin bzw. für einen Patienten die richtige Behandlung ist, unabhängig von dem Sektor, diese zentrale Frage lassen Sie unbeantwortet. Eine solche sektorübergreifende Gesamtverantwortung lassen Sie in Ihren Konzepten nicht erkennen.
Das trifft für dieses Gesetz zu. Es trifft übrigens auch für das andere Gesetz zu, das wir in wenigen Wochen beraten werden.
Da werden sich viele Menschen zu Recht fragen: War das alles? War das das berühmte Gesundheitsstrukturgesetz im Krankenhausbereich? War das der Fortschritt, den wir mühsam erkämpfen wollten? Waren diese Reformen wirklich nötig?
Beginnen wir doch mit der Ausgangslage. Es gibt keinen Zweifel, daß das Krankenhaus in Deutschland eine ganz wichtige, eine zentrale Funktion wahrzunehmen hat - als Auffangbecken für viele ungelöste Probleme unserer Gesellschaft. Es gibt auch keine Zweifel, daß dies auf sehr wirtschaftliche Art mit einem sehr hohen technischen Standard und mit einer sehr hohen Produktivität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschieht. Im übrigen sind wir im internationalen Vergleich hinsichtlich des Ressourcenverbrauchs, also der Krankenhausausgaben pro Kopf oder des Anteils der Krankenhausausgaben am Volkseinkommen, im Mittelfeld plaziert.
Das können also nicht die Gründe für die Reform gewesen sein. Nein, es gab Gründe für Reformen, und es gibt sie weiterhin. Nur sagt das heutige Gesetz der Regierungskoalition leider sehr wenig darüber aus.
Der erste Grund: die mangelnde Transparenz im Leistungsgeschehen. Kein Sektor - das Krankenhaus ist neben anderen Dingen auch ein Wirtschaftssektor - könnte überleben, wenn nicht bekannt wäre, wie die Fixkosten und die variablen Kosten sind: Für das Krankenhaus heißt das, was die Kosten einer Operation sind und was speziell die Hüftoperation von Frau Meier gekostet hat. Deshalb brauchen wir mehr Transparenz, richtig!
Der zweite Grund: Fehlsteuernde Anreize der tagesgleichen Pflegesätze führen zu Verweildauern, die im internationalen Vergleich zu lang sind, Auch richtig!
Der dritte Grund: Die mangelnde Verzahnung zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich ist ein ganz großes Problem spezifisch für unser System. Auch das sollte angegangen werden; darüber hinaus die ungebührlich langen Verweildauern.
Noch ein wichtiger Punkt für das heutige Gesetz: Im internationalen Vergleich, liebe Kolleginnen und Kollegen, lagen wir in Deutschland über Jahrzehnte mit bei den Schlußlichtern, wenn es um das Verhältnis von Pflegepersonen zu anderen im Krankenhaus Tätigen ging. Dies zu beseitigen war eine der Zielsetzungen der Pflege-Personalregelung, die Sie heute aussetzen wollen.
Nun fragt man sich natürlich: Warum denn diese kritische Haltung, wenn doch auch die SPD ein Konsolidierungsgesetz, ein Stabilisierungsgesetz für dieses Jahr vorsieht? Ich möchte das kurz begründen. Es war geplant, daß die Budgetierungsphase auslaufen sollte. Und ich sagte schon: Die Budgetierung bestraft natürlich all diejenigen, die sich wirtschaftlich verhalten, und belohnt diejenigen, die dies nicht tun, weil für die letzteren auf einem höheren Sockel die Fortschreibung erfolgt. Dies war gerade nur deshalb übergangsweise akzeptabel, weil am 1. Januar 1996 die Fallpauschalen und die Sonderentgelte als leistungsgerechte Finanzierung eingeführt werden sollten.
Nun wissen wir - da kommt der Sündenfall, Herr Bundesminister -, daß die Bundespflegesatzverordnung 1995 den Kriterien, die uns und allen, die sich für Fallpauschalen und Sonderentgelte aussprechen, in Lahnstein vorschwebten, nicht gerecht wird. Sie geht von Ist-Kosten aus; es werden also die verzerrten Strukturen der Vergangenheit fortgeschrieben. Zum zweiten war die Auswahl der Fälle nicht repräsentativ. Drittens gehen Sie von falschen Verweildauern aus, so daß die steuernde Wirkung der Pflegesatzverordnung nicht im erhofften Umfang eintreten wird, da die Fallpauschalen und Sonderentgelte eher noch kostensteigernd wirken werden.
Nur 25 Prozent des Leistungsgeschehens werden nach den letzten Informationen, die mir vorliegen, über Fallpauschalen abgedeckt, weitere 5 Prozent über Sonderentgelte.
Dr. Martin Pfaff
Wo bleibt die leistungsgerechte Honorierung im Januar 1996? Es ergibt doch nur einen Sinn, wenn 70, 80 Prozent und nicht 25, 30 Prozent über Fallpauschalen abgegolten werden!
Für diese Umsetzung haben Sie, Herr Minister, die Verantwortung zu tragen. In einer Situation, in der ein Restbudget besteht, gibt es starke Anreize, Kosten von den Sonderentgelten zu den Fallpauschalen zu verschieben. Die Wirkung ist klar: Die Verweildauer wird verkürzt, die Fallzahlen werden steigen, und der Trend zur Spezialisierung wird fortgeführt werden.
Die Pflegesatzverordnung enthält kein Instrument der Mengensteuerung, kein ausreichendes Instrument zur Qualitätssicherung. Krankenhausvergleiche, die früher eher möglich waren, werden erst im Jahr 1998 möglich sein. Das heißt, die Bundespflegesatzverordnung hat die Möglichkeit, aus dem Leistungsgeschehen zu lernen, sogar verschlechtert! Ich wäre ja nicht so kritisch, wenn man wenigstens eine Mechanik hätte, um aus dem Leistungsgeschehen zu lernen und die Fallpauschalen anzupassen. Nichts dergleichen!
Wenn ich das zusammenfasse, dann sage ich, daß die Sofortbremsung, die Sie hier vorsehen, eigentlich weiterhin diejenigen bestraft, die in ihrem Bemühen, dieses Gesetz umzusetzen, rationalisiert haben,
und die Unwirtschaftlichen belohnt.
Ähnliche Wirkungen bei der Pflege-Personalregelung: Diejenigen Krankenhäuser, die bereits ihren Personalbestand aufgestockt haben, können damit recht gut leben. Wie sieht es aber mit den Krankenhäusern aus, die von dieser Regelung sparsam und sorgfältig Gebrauch machen? Sie werden auch in Zukunft Probleme haben.
Deshalb diskutieren wir in unseren Reihen - die Diskussion geht noch weiter, auch über die heutige Entscheidung über unseren Gesetzentwurf hinaus - intelligente und flexible Formen der sektoralen Budgetierung, beispielsweise ein System, bei dem die Krankenhäuser, die wirtschaftlich gearbeitet haben, Zuschläge bekommen, und die Krankenhäuser, die unwirtschaftlich waren, nicht noch für diesen höheren Sockel belohnt werden.
Das ist ein Ansatz, der eigentlich die Gesamtausgabenhöhe nicht erhöht.
Zum zweiten: Ist es denn wirklich so problematisch, die Pflege-Personalregelung einfach um ein weiteres Jahr zu strecken? Was würde es denn beitragssatzmäßig bedeuten? Ich habe es einmal - „Pi mal Daumen" - umgerechnet. Es würde bedeuten, daß für die cirka 3 000 Stellen, die im Jahr 1996 zusätzlich geschaffen werden könnten, ein Beitragssatzeffekt von etwas mehr als einem Zehntel eines Beitragssatzpunktes anfallen würde.
Herr Minister, wenn ich mich erinnere, mit welcher großartigen Nonchalance Sie den Ärzten noch vor einigen Wochen - vor Weihnachten wohlgemerkt -850 Millionen DM zugedacht haben, dann frage ich mich: Ist es nicht angemessen, daß den Frauen und Männern, die im Krankenhaus wirklich schweren Dienst leisten, eine weitere Anerkennung, eine weitere Unterstützung zukommt?
Herr Bundesminister, ich hatte Anfang letzten Jahres gesagt: Wenn Sie so weitermachen, sehen wir uns nicht in Lahnstein, sondern in Philippi wieder. Ich habe vor zwei Tagen gehört, daß der Redakteur einer bekannten Wochenzeitschrift, nachdem diese meine Prognosen über die Beitragssatzentwicklung im letzten Jahr abgedruckt hatte, mit Ihnen eine Wette „um eine Flasche edlen Whiskys" eingegangen ist, die Sie mittlerweile verloren haben, Herr Bundesminister. Ich befürchte nur, daß Sie mehr verlieren werden, daß wir alle sehr viel mehr verlieren werden, wenn wir dies nicht ernst nehmen. Deshalb sage ich, Herr Bundesminister: Ihr Philippi ist viel näher, als Sie meinen.