Rede von
Wolfgang
Bierstedt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum späten Abend noch etwas Interessantes. - Der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 sah gemäß Art. 10 Abs. 6 eine „Bestandsaufnahme des volkseigenen Vermögens" vor. Diese Aufgabe wurde mit Art. 26 Abs. 6 in den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands, Einigungsvertrag, vom 31. August 1990 übernommen.
Nach beiden Verträgen war vereinbart worden, daß nach Möglichkeit den Sparern in Ostdeutsch-
Wolfgang Bierstedt
land zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Umstellung im Verhältnis 2 : 1 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermögen eingeräumt werden kann.
In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der PDS zu diesem Thema teilt die Bundesregierung mit - ich zitiere -:
... war hierbei von der Erwägung getragen, daß nach der Verwendung des volkseigenen Vermögens für die Strukturanpassung der Wirtschaft und für die Sanierung des Staatshaushalts ein verteilungsfähiger positiver Rest verbleiben würde. Dies beruhte auf einer Fehleinschätzung der DDR über den Wert des volkseigenen Vermögens. Die Einschätzung hat sich im nachhinein angesichts der finanziellen Altlasten der DDR, der negativen Vermögensbilanz der Treuhandanstalt sowie des fortlaufenden Unterstützungsbedarfs der neuen Länder als offenkundig unzutreffend erwiesen. Damit ist die von den Vertragsparteien für die Inaussichtstellung von Anteilsrechten am volkseigenen Vermögen zugrunde gelegte Geschäftsgrundlage entfallen.
Interessant an dieser Behauptung ist, daß die Bundesregierung völlig vergessen hat, bei der Einführung der Währungs- und Wirtschaftsunion eine Bestandsaufnahme des DDR-Vermögens und damit eine DM-Eröffnungsbilanz anzufertigen. Denn nur auf dieser Basis könnte die Bundesregierung mit Recht behaupten, daß die DDR nur Schulden hinterlassen habe.
Und so wurden aus dem Bestandsvermögen der ostdeutschen Länder, aus einem Anfangskapitalbestand der Unternehmen von 584 Milliarden DM zum 30. Juni 1990 laut Statistischem Bundesamt - nachzulesen im Jahresgutachten 1995/96 der Fünf Weisen - auf wundersame Weise 256 Milliarden DM Verluste. Diese Summe soll sich 1999 auf 360 Milliarden DM Erblast vergrößern.
Meine Damen und Herren, das bedeutet, daß es bei der Privatisierung der DDR-Volkswirtschaft der Treuhand gelungen ist, fast 1 Billion DM zu verschleudern - wahrlich eine gigantische Leistung! Wo ist denn dieses Geld abgeblieben? Ist Frau Breuel dafür belangt worden? - Mitnichten! Sie wurde bei der Auflösung der Treuhand Ende 1994 für ihre gute Arbeit gelobt und ausgezeichnet. - Daß dieses Lob allerdings nur von einer Seite kam, ist überhaupt nicht verwunderlich. - Sie ist dafür ausgezeichnet worden, daß eine große Umverteilung von Ost- nach Westdeutschland stattgefunden hat, daß eine große Enteignung in Ostdeutschland durchgeführt worden ist und daß es gelungen ist, eine ganze Volkswirtschaft zu liquidieren. Dabei wurden nebenbei noch 6 Millionen Arbeitsplätze vernichtet.
Bei der Privatisierung mußten Verluste übrigbleiben, um eben diesen oben genannten Anspruch der ehemaligen DDR-Bürger nicht befriedigen zu müssen. Deshalb wurden riesige Vermögen verschleudert und Betriebe samt Immobilie für 1 DM verhökert. Zu beachten ist dabei, daß nicht ein ehemaliger DDR-Bürger einen solchen Betrieb oder eine solche
Immobilie für 1 DM erwerben konnte. Tatsache ist, daß lediglich 5 Prozent des industriellen Sachvermögens - meist in Form von MBO-Unternehmen - bei ostdeutschen Bewerbern verblieben, und dies zu meist weniger günstigen Verkaufsbedingungen, als sie Konzernen und Einzelpersonen aus den alten Bundesländern geboten wurden.
Hier waren viele Raffkes, Betrüger, Abzocker und Nieten in Nadelstreifen am Werk, die nur eines im Sinn hatten: bei dieser Privatisierung einer gesamten Industrie ihr Schäflein ins Trockene zu bringen. Gerechterweise muß ich natürlich auch erwähnen, daß es eine Vielzahl von ehrlichen Geschäftsleuten gegeben hat, die sich bemüht haben, in den neuen Bundesländern Fuß zu fassen und sich am Aufbau zu beteiligen.
Die Privatisierung war mit einer Welle spekulativer Geschäfte und krimineller Aktivitäten zu Lasten des Vermögens der DDR und damit der Menschen in den neuen Bundesländern verbunden. Das reicht von unrechtmäßigen Beraterhonoraren über Bestechungsgelder bis zur bewußten Ausplünderung solider Unternehmen um mehrstellige Millionenbeträge.
Es ist natürlich verständlich, daß bei dem Verkauf einer ganzen Volkswirtschaft Marktmechanismen wirken. Diese sind von der Bundesregierung völlig außer acht gelassen worden. Dazu gehören:
Erstens. Massenverkäufe - das weiß jeder Kaufmann - verursachen ein Überangebot mit entsprechendem Preisverfall.
Zweitens. Die unerwartete En-gros-Offerte, die in keinem Verhältnis zur Nachfrage stand, wurde noch künstlich eingeengt. Ausländischen Investoren wurde in den ersten eineinhalb Jahren der Zugang zu den wichtigsten Kaufobjekten beschränkt. Das drückte die Preise weiter nach unten.
Drittens. Die rigide Privatisierung, ohne gezieltes Engagement der Regierung, zum Erhalt oder zur Erschließung von Märkten führte zur Entwertung von Produktionsvermögen, für das sich selbstredend keine Käufer fanden. Deshalb wurden Schleuderpreise von 1 DM pro Objekt und Immobilie angeboten, und willige Käufer wurden mit einem stattlichen Bakschisch in Form von gewaltigen Investitionszuschüssen belohnt. Diese Politik führte dazu, daß die Eigentümer privatisierter Unternehmen die Treuhand-Nachfolgeorganisationen noch heute als melkbare Kuh betrachten und den Staat mit dem drohenden Verlust der übriggebliebenen Arbeitsplätze erpressen.
Viertens. Das Ritual, den Käufern Arbeitsplatz- sowie Investitionszusagen abzuverlangen, Strafen im Falle der Nichteinhaltung anzudrohen, blieb bei den Bietern nicht ohne kaufmännische Reaktionen: Ihr Risiko stellten sie dem Verkäufer, also der Treuhand, in Rechnung und schmolzen den Kaufpreis um eventuelle Pönalen ab.
Fünftens. Das gleiche passierte, wenn gekaufte Betriebe mit ökologischen Altlasten oder Altkrediten behaftet waren. Auch hier hielten sich die Käufer bei
Wolfgang Bierstedt
der Treuhand mehr als schadlos. Diese sprang mit großzügigen Verlustübernahmen in die Bresche.
Sechstens. Mindereinnahmen kamen auch dadurch zustande, daß die Investoren sich ihr Portfolio kaum selbst zusammenstellen konnten, sondern Unternehmen nur im Stück kaufen mußten, was vom Prinzip her vernünftig war. Sie waren jedoch nur bereit, für das zu zahlen, was sie für ihren Zweck benötigten. Den „Rest" nahmen sie gnädig mit, allerdings zum Nulltarif.
Die Treuhand hat sich selber unter Druck gesetzt, damit Fehler gemacht, diese auch eingestanden, aber keine Konsequenzen aus dieser miserablen Politik gezogen. Der Gipfel des Zynismus ist dann erreicht, wenn die Bundesregierung sich heute hinstellt und behauptet, die nicht erreichten Einnahmen aus der Privatisierung beruhten auf einer Fehleinschätzung der alten DDR. Damit ist der Schwarze Peter wieder an der richtigen Stelle. Das Nachsehen haben die Bürger in den neuen Bundesländern.
Mit der durchgeführten Privatisierung wurde praktisch das gesamte Volk der neuen Bundesländer enteignet. Das hat wesentlich zu dem bestehenden Frust in der ostdeutschen Bevölkerung beigetragen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn dadurch das Zusammenwachsen außerordentlich erschwert ist.
Die ehemalige Präsidentin der Treuhand, Frau Birgit Breuel, formulierte es etwas salopper: „Nach Abzug der DDR-Staatsschulden - die betrugen, wie jeder weiß, 1990 28 Milliarden DM - müssen die Überschüsse der Treuhand an die Bürger der ehemaligen DDR verteilt werden. Überschüsse sind nicht da, also wird nichts verteilt." Frau Breuel hat das Klassenziel erreicht. Ihre Feststellung veranlaßte den Bürgerrechtler und Pfarrer Schorlemer zu der Aussage: „Wir hatten gedacht, daß nach der Wende aus Staatseigentum Volkseigentum und nicht Westeigentum wird."
Meine Damen und Herren, so wie das produktive Vermögen verschleudert wurde, wurde nach dem gleichen Prinzip das Barvermögen der ehemaligen DDR verschleudert. So wurde zum Beispiel die Berliner Stadtbank AG für nur 49 Millionen DM von der Berliner Bank AG geschluckt, obwohl das Altkreditvolumen dieser Bank zum Kaufzeitpunkt 11,5 Milliarden DM betrug. Die Bundesregierung versteckt sich hinter dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis des Käufers und behauptet, dieser riesige Brocken baren Geldes sei in die Erwägungen zur Kaufpreisbildung einbezogen worden.
Der Bundesfinanzminister fand auch diesen Deal völlig rechtens. Das ist um so verwunderlicher, als doch unser Finanzminister ständig über Mangel an Geld zur Finanzierung der vielen Sozialleistungen klagt. Deshalb läßt Herr Waigel keine Gelegenheit aus, den Arbeitslosen, den Sozialhilfeempfängern und Sozialhilfeempfängerinnen in Deutschland die letzten Groschen aus der Tasche zu ziehen. So sieht die Umverteilung von unten nach oben in Deutschland aus.
Aber das eben genannte Beispiel ist nur eines von vielen Gaunerstücken infolge des Wiedervereinigungsprozesses. Neben der Berliner Stadtbank AG wurden alle weiteren DDR-Banken und -Sparkassen für ein Butterbrot verkauft. Auf Fragen zu diesen „Supergeschäften" verweigerte die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 6. November 1995 durch ihren Staatssekretär Professor Faltlhauser jegliche Antwort. Es handele sich hier um sogenannte Share deals. Was auch immer man darunter verstehen möge, die Wahrheit war es in jedem Fall nicht. Wieder wurde so gehandelt, um die Ostdeutschen von jeder Teilhabe fernzuhalten. Es gebe nichts zu verteilen. Nur so kann man die Schuldenlüge aufrechterhalten.
Meine Damen und Herren, ein weiteres Problem: Zur Abwicklung von Altschulden ehemaliger DDR- Betriebe wurden die Zinsbelastungen so in die Höhe getrieben, daß der wirtschaftliche Aufbauprozeß in den neuen Bundesländern beeinträchtigt wurde und noch heute beeinträchtigt wird. Rechnet man die generell zu niedrige Eigenkapitalausstattung dieser neuen Unternehmen hinzu, wird deutlich, daß sich ein sich selbst tragender Aufschwung nur schwer entwickeln kann. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß sich viele ostdeutsche Betriebe mangels Kapitals nicht auf deutschen, geschweige denn auf ausländischen Märkten behaupten können. Als Folge rollt eine beispiellose Pleitewelle auf diese Unternehmen zu.
Angesichts des desolaten Zustandes der ostdeutschen Wirtschaft betrachten wir es als Hohn, wenn die Bundesregierung auf die Große Anfrage der Gruppe der PDS unter Punkt 2, Seite 3, antwortet:
Verschiedene parlamentarische Initiativen der Gruppe der PDS/Linke Liste bzw. der PDS, die die Erstellung einer Bilanz des ehemaligen „volkseigenen" Vermögens und die teilweise Erstattung des bei der Währungsumstellung „reduzierten" Betrages zum Ziel hatten, sind gescheitert.
Damit werden wir uns nicht ohne weiteres abfinden. Nach unserer Auffassung gibt es in dieser Angelegenheit noch einen großen Aufklärungsbedarf. Gerade auch aus diesem Grund wird die PDS trotz des nur genehmigten Beraterstatus im 2. Untersuchungsausschuß „DDR-Vermögen" mitarbeiten, um Quellen von DDR-Vermögen und Ursachen ihrer Veruntreuung aufzuklären.
Ich danke.