Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe, daß viele von Ihnen gerne nach Hause möchten. Das möchte auch ich gerne. Ich verstehe auch, daß manche nicht so gerne hören möchten, was ich jetzt zu sagen habe. Ich verstehe sogar, daß einige Kolleginnen und Kollegen nicht so gerne zu diesem Thema reden wollen, weil sie nicht so recht wissen, was sie sagen wollen.
Dennoch kann ich Ihnen diese halbe Stunde leider nicht ersparen. Ich möchte die Argumente, die hier zu sagen sind, Auge in Auge und in aller Spontaneität austauschen. Ich bin sehr gespannt, was Sie zu sagen haben, und kann nicht warten, bis ich das im Protokoll nachlesen kann.
Ich möchte mit einem Zitat beginnen. Sie werden sich vielleicht wundern, wenn Sie erfahren, von wem dieses Zitat ist.
Die ICE-Neubautrasse München-IngolstadtNürnberg
- also das Projekt, um das es heute geht -
durch das Altmühltal wäre ein Betonriegel mitten durch den größten Naturpark Deutschlands und würde das Altmühltal nach dem Bau des RheinMain-Donau-Kanals in einem weiteren Abschnitt unerträglich belasten.
Diese vernichtende Kritik äußerte der Eichstätter CSU-Landrat Konrad Regler 1985, und zwar kurz nachdem die Neubaupläne der Bundesbahn bekanntgegeben worden waren. Wenige Wochen später allerdings fielen er und alle anderen CSU- Kommunalpolitiker der Reihe nach wie die Dominosteine um. Die Bayerische Staatsregierung hat sie katholisch gemacht, und plötzlich waren sie alle glühende Anhänger und Befürworter dieses Projekts. Doch das war nur der Auftakt einer Geschichte endloser Merkwürdigkeiten.
Ich mache weiter mit August 1990. Da meldete nämlich der Bundesrechnungshof bereits zum erstenmal erhebliche Zweifel an der Wirtschaftlichkeit dieses Projekts an und bezeichnete statt dessen eine alternative Ausbaustreckenführung MünchenAugsburg-Nürnberg als die wirtschaftlichere Variante. Dennoch beharrten Bahn und Bundesregierung auf ihren Neubauplänen über Ingolstadt. Die Ausbaustrecke über Augsburg wurde schließlich sogar aus dem vergleichenden Raumordnungsverfahren im laufenden Verfahren zurückgezogen und nicht weiter verfolgt.
Ebenfalls 1990 hat die höchste bayerische Umweltbehörde, das Landesamt für Umweltschutz, die Planungen in der vorliegenden Form als nicht umweltverträglich eingestuft. Das hat das bayerische Umweltministerium nicht daran gehindert, ein Jahr später den Neubautrassenplänen zuzustimmen, allerdings unter der Maßgabe, daß der Köschinger Forst, ein riesiges zusammenhängendes Waldgebiet, auf voller Länge untertunnelt werden müsse. Heute wird auf die Einhaltung dieser Auflage kein Wert mehr gelegt. Man muß sich fragen, wozu dann eigentlich Auflagen in Raumordnungsverfahren formuliert werden, wenn sie nachher nach Gutdünken über den Haufen geschmissen werden können.
- Dieser Einwand ist sehr richtig und sehr ehrlich, aber dann kann man sich das ganze Theater im Raumordnungsverfahren sparen.
Im Mai 1994 hat sich der Bundesrechnungshof erneut zu Wort gemeldet und seine Kritik erneuert, indem er ausführte: „Politik und Bahn haben sich für die unwirtschaftlichere Variante entschieden."
Im März 1995 schließlich - im Abschlußbericht - modifizierte der Rechnungshof zwar seine Kritik, indem er die Kostendifferenz zwischen den beiden Planungen - Ingolstadt versus Augsburg - mit nur noch 720 Millionen DM bezifferte. Er distanzierte sich aber von der politischen Fehlplanung mit dem bemerkenswerten Satz - hören Sie genau zu! -, es handele sich hier offenbar um eine politische Entscheidung, die dann allerdings auch politisch verantwortet werden müsse.
Der Rechnungshof blieb trotzdem bei seiner abschließenden Aussage, die Streckenführung über Ingolstadt sei unwirtschaftlicher. Das hat das Bundeskabinett wiederum nicht daran gehindert, am 5. Juli dieses Jahres in einem Beschluß festzulegen: Die ICE-Strecke über Ingolstadt wird gebaut, und der Bau wird privat vorfinanziert.
Auch wenn der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG neuerdings die Bankkredite selbst akquirieren will, wie wir in den letzten Tagen gehört haben, bleibt für den Bund die Verpflichtung, nach der Fertigstellung des Projekts, also ab 2004, in 25 Jahresraten zu je 622 Millionen DM diese Strecke zurückzukaufen. Dadurch explodieren die Gesamtkosten letztendlich auf 15,6 Milliarden DM zu Lasten der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen von morgen. Es ist das teuerste Verkehrsprojekt, das in dieser Republik jemals geplant worden ist, teurer als der Transrapid. Deshalb verstehe ich kaum, warum so wenig Bereitschaft besteht, dieses Thema zu diskutieren.
Das betrifft auch die Haushaltsberatungen. Ich habe gehört, im Haushaltsausschuß habe es keine Rolle gespielt; im Verkehrsausschuß war es unter „ferner liefen". Ich verstehe das überhaupt nicht, denn über den Transrapid - was sehr richtig ist - haben wir sehr ausführlich diskutiert.
Horst Seehofer jedenfalls hat es verstanden - übrigens muß man dazu wissen: Horst Seehofer, Wahlkreis Ingolstadt -, seinem CSU-Häuptling Augenbraue ein 16-Milliarden-Geschenk unter bayerischen Spezeln abzuluchsen. Das Geschenk hat sogar seinen Niederschlag in einem Gesetz gefunden, nämlich im Bundeshaushaltsgesetz 1996, § 28 Abs. 2.
Daß es dabei nicht so ganz mit rechten Dingen zugegangen sein könnte, belegt ein Brief von Professor Dr. Ulf Häusler, Deutsche Bahn AG, Vorstand, an das Bundesverkehrsministerium vom 9. Mai dieses Jahres. Darin wird beklagt, daß der Bundesrechnungshof immer noch bei der Aussage bleibe, die
Albert Schmidt
Lösung über Augsburg erscheine ihm wirtschaftlicher. Und es heißt weiter: Dies sollte ausgeräumt werden. Ich zitiere weiter: „Wir würden es begrüßen, wenn Sie", also das Verkehrsministerium, „ihn", den Rechnungshof, „zu einer weiteren Anpassung seiner Haltung bewegen könnten." Das muß man sich mal reintun: Da wird ein Organ, das nach Art. 114 Grundgesetz richterliche Unabhängigkeit genießt, vom Vorstand der Bahn AG auf dem Umweg über das Verkehrsministerium genötigt, seine kritische Haltung aufzugeben. Ich finde, das ist - auf Bayerisch gesagt - eine Sauerei. Ich weiß, das ist kein parlamentarischer Ausdruck;
aber was hier gelaufen ist, war auch kein verfassungskonformer Vorgang.
Aber das ist noch nicht alles. Die Münchner Planer Vieregg & Rössler haben Ende 1994 im Auftrag der Bahn AG ein Gutachten zu einer verbesserten Augsburg-Variante erarbeitet. Und nun streitet die Bahn AG einfach ab, daß es diesen Auftrag je gegeben hat. Heute nachmittag ist wieder die Nachricht, von dpa verbreitet, über den Ticker gelaufen, daß es diesen Auftrag gar nicht gibt.
Ich habe hier den kompletten Werkvertrag zwischen der Deutschen Bahn AG, Vorstandsbereich Konzernentwicklung, Berlin, und der Beratungsfirma Vieregg & Rössler GmbH, Innovative Verkehrs- und Umweltberatung, vorliegen. Für die „genannten Dienstleistungen", die Erstellung von Unterlagen zu den genannten Städten, wird eine Vergütung von 42 000 DM berechnet. Datiert ist der Vertrag auf den 30. Dezember 1994; es folgen die Unterschriften.
Ich verstehe gar nicht, warum die Bahn für etwas bezahlt hat, was sie angeblich gar nicht in Auftrag gegeben hat. Warum diese dreiste Lüge? Die Antwort liegt auf der Hand: weil das Ergebnis dieser Studie dermaßen peinlich war, daß die Bahn dafür nicht einmal die Auftraggeberschaft übernehmen wollte. Es kam nämlich heraus, daß eine verbesserte Strekkenführung über Augsburg dazu führen würde, daß der Fahrzeitunterschied zwischen beiden Trassen nur noch 20 Sekunden beträgt.
Heinz Dürr hat gestern vor der IHK Augsburg immerhin eingeräumt, es handele sich noch um 15 Minuten Unterschied. Aber ob 20 Sekunden oder 15 Minuten - das rechtfertigt doch nicht eine gigantische Neuverschuldung in diesem Rahmen. Es geht doch hier nicht um Peanuts; es geht um eine Neuverschuldung, etikettiert als private Vorfinanzierung. Weil Waigel seine Haushaltslöcher nicht stopfen kann, ernennt er Herrn Dürr quasi zum Nebenfinanzminister, der das tun darf, was Waigel nicht tun darf, nämlich zusätzliche Kredite in Milliardenhöhe aufnehmen, die dann nicht in der offiziellen Haushaltsbilanz erscheinen.
In Wahrheit aber findet auch mit dem Rückkauf der Strecke nach 2004 keine Abzahlung statt, sondern nur eine Umschuldung; denn der Bund wird auch dann wieder auf den Kapitalmarkt gehen und die Summe Rate für Rate aufnehmen müssen.
Ich möchte zusammenfassen: Bei keinem anderen mir bekannten Verkehrsprojekt wurde dermaßen gelogen und gebogen, um eine bestimmte Planung durchzusetzen, die verkehrspolitisch, finanzpolitisch, ökologisch und wirtschaftlich unhaltbar ist. Wir schlagen deshalb in unserem Antrag vor, dieses Konzept ganz schnell zu vergessen und statt dessen ein Alternativkonzept aufzulegen. Wir wollen ja nicht eine ersatzlose Streichung, sondern einen Investitionseinsatz zugunsten der Schiene, aber wirtschaftlich und effizient.
Das bedeutet hier ganz konkret: erstens einen Ausbau der bestehenden Strecke München-Ingolstadt - es ist unstrittig, daß dort Kapazitätsprobleme existieren -, zweitens den beschleunigten viergleisigen Ausbau der Strecke Augsburg-München - auch das ist unstrittig eines der Nadelöhre der Nation -, drittens - das ist wichtig - einen optimierten ICE-gerechten Ausbau der bestehenden Strecke über Augsburg und viertens den Einsatz moderner Fahrzeugtechnik, also der Neigetechnik und ICEs der dritten Generation, sowie elektronischer Betriebsleittechnik. Dadurch ließen sich auch auf bestehenden Strecken ein erheblicher Fahrzeitgewinn und eine Kapazitätserhöhung erzielen.
Die Vorteile dieses Konzeptes liegen auf der Hand: Erstens ist es finanzierbar - es kostet nur einen Bruchteil dieser 16 Milliarden DM -, zweitens ist es schneller verfügbar, als wenn man völlig neu durch die Landschaft trassieren muß, weil die Strecken abschnittsweise in Dienst genommen werden können - auch so kann man Zeit kaufen -, und drittens würde es zu einer qualitativen Verbesserung im gesamten Netz führen und nicht nur eine Verringerung der Fahrzeit zwischen zwei Punkten bringen, was einer Minutenfuchserei der Fahrt zwischen zwei Metropolen gleichkäme. Das wäre ein Beitrag zu einem modernen und wirtschaftlichen Schienenausbau, wie wir ihn uns vorstellen.
Ich habe im Moment leider noch die Befürchtung, daß die wahren Modernitätsfeinde in der Bundesregierung sitzen.
Denn Sie halten an den überholten Plänen von 1985 fest und sind nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Sachstand heute anders ist, daß man heute anders planen, anders diskutieren, anderes einsetzen muß.
Gott sei Dank gibt es - das möchte ich abschließend noch sagen - in der Bahn AG auch Kräfte, die das inzwischen begriffen haben und etwas anderes wollen als diesen Wahnsinn der Ingolstadt-Trasse.