Rede von
Horst
Sielaff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Naturschutz und Landwirtschaft sind existentiell aufeinander angewiesen.
Sie sind von Natur aus keine Gegner. Eine Vielzahl der erhaltenswerten Ökosysteme ist durch landwirtschaftliche Nutzung entstanden und daher auf ihren Fortbestand angewiesen. Die Landwirtschaft hat also eine besondere Verantwortung.
Falsche Rahmenbedingungen, Unwissenheit und eine teilweise gefährlich verengte Ideologie haben die Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten zum Mitschuldigen an Umweltschäden gemacht - leider, Herr Hornung. Die Bereitschaft zum Umdenken und zur Übernahme der Verantwortung ist aber da. Dafür brauchen wir allerdings eine Politik, die dieser besonderen Verantwortung gerecht wird.
Bewertet man sowohl die aktuelle Agrar- als auch die Naturschutzpolitik im Hinblick auf ihre Hauptziele, so müssen beide aus sozioökonomischer als auch ökologischer Sicht aus folgenden Gründen als völlig ineffizient bezeichnet werden.
Erstens. Die landwirtschaftlichen Einkommen und die Lebensqualität im ländlichen Raum sinken, weil kulturelle und infrastrukturelle Angebote hier seit Jahren auf dem Rückzug sind.
Zweitens. Das Versorgungsziel ist zwar bei fast allen landwirtschaftlichen Produkten übererfüllt, trotzdem besteht eine hohe Abhängigkeit von Rohstoff-, Energie- und Futtermittelimporten.
Drittens. Obwohl ein Umdenken vielerorts eingesetzt hat,
schreitet die Schädigung unserer Lebensgrundlagen in vielen Bereichen fort. In der Landwirtschaft ging im Zusammenhang mit der EU-Agrarreform von 1992 die Anbauintensität zurück und damit auch der Aufwand an Dünger und Pflanzenschutz. Herr Minister Borchert und der Deutsche Bauernverband ziehen ja seitdem durch das Land und verkünden je nach Tagesform Rückgänge bei Stickstoff und Phosphor von zwischen 30 und 60 Prozent.
Horst Sielaff
Diese Entwicklung ist allerdings schon wieder rückläufig; der Düngerverbrauch ist leider wieder angestiegen.
Viertens. Heute sind dank erster Erfolge der EU- Agrarreform die Interventions- und Lagerbestände bei Rindfleisch, Butter und Getreide nahezu erschöpft. Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, daß in den vergangenen Jahren als Folge der Überschußproduktion Exporterstattungen in Milliardenhöhe gezahlt wurden. Das hatte nicht nur schlimme Folgen für die hiesigen Agrarmärkte, sondern erst recht für die vieler Entwicklungsländer.
Was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist eine integrierte Agrar- und Naturschutzpolitik. Es muß mit der Einteilung in Schutz- und Schmutzgebiete und mit einem Naturschutz „unter der Käseglocke" auf einem oder zwei bis drei Prozent der Staatsfläche Schluß sein.
Das Leitbild einer modernen, der Zukunft zugewandten Agrarpolitik muß der umweltverträgliche und bodenabhängig wirtschaftende Betrieb sein, der seine Tiere artgerecht hält. Die Ökologisierung der Landbewirtschaftung ist ein fester Bestandteil sozialdemokratischer Agrarpolitik.
Voraussetzung für eine solche integrierte Politik ist: Wir müssen Rahmenbedingungen für landwirtschaftliche Betriebe schaffen, damit die auch unter den meisten Landwirten völlig unstrittigen Erfordernisse des Naturschutzes mit den ökonomischen Zielen des einzelnen Bauern in Einklang gebracht werden können.
Der Landwirt muß darüber hinaus aus eigenem Interesse umweltverträglicher wirtschaften; denn sonst hat er keine Zukunft.
Anreizorientierte Strategien verschiedener Umwelt- und Naturschutzprogramme haben es möglich gemacht, naturschützerische Ziele relativ konfliktfrei auf landwirtschaftlichen Flächen umzusetzen. Der rote Faden, der sich in Zukunft durch die gesamte landwirtschaftliche Förderungspolitik ziehen muß, sollte heißen: Geld gegen ökologische Leistungen, die über die sogenannte gute fachliche Praxis hinausgehen. Da, meine Damen und Herren auch der Regierungskoalition, sind wir eindeutig für Ausgleich und Förderung der Landwirte.
Die Forderung „Geld gegen Leistung" sollte zum Beispiel auch für die sogenannten flankierenden Maßnahmen gelten, die im Zuge der EU-Agrarreform beschlossen wurden. Die Bundesregierung ist mit dem hehren Anspruch angetreten, sich - so steht es jedenfalls in den vollmundigen Broschüren - an „konkreten Umweltzielen" zu orientieren. Da diese flankierenden Maßnahmen allerdings finanziell miserabel ausgestattet sind, können sie nur die ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen des sich verschärfenden Strukturwandels abmildern. Ein einziges einsames Prozent aller Mittel dieses Programms sind für umweltrelevante Maßnahmen vorgesehen - ein ökologisches Feigenblatt, leider nicht mehr!
In diesem Zusammenhang muß allerdings auch die Auswahl der Förderkriterien in den verschiedenen Bundesländern kritisiert werden. Es kann einfach nicht angehen, daß ein Landwirt, der nach den Kriterien des ökologischen Landbaus wirtschaftet, als Förderprämie nur 50 DM bis 100 DM mehr erhält als jemand, der sich am sogenannten integrierten Landbau orientiert, im Grunde also nur das betreibt, was heute bereits gute fachliche Praxis sein sollte.
Der integrierte Anbau wurde vom Berufsstand und auch von einigen industriellen Verbänden mit großem Getöse nach vorne gepuscht.
Er ist aber weitgehend zu unverbindlich, um einen wirklichen Qualitätsmaßstab darzustellen. In dieser Einschätzung, meine Herren von der F.D.P.
- der Zwischenruf kam von einem Herrn -, stimme ich mit der Landwirtschaftskammer Rheinland überein. Der integrierte Anbau ist ein guter Einstieg, kann aber in der heutigen Form nicht schon das Ziel sein.
Was wir wollen, ist eine umweltverträgliche Landwirtschaft auf der gesamten bewirtschafteten Fläche.
Meine Damen und Herren, ökologische und soziale Kriterien müssen gerade angesichts der Osterweiterung der EU und der stärkeren Öffnung des Agrarmarktes für andere Länder fester Bestandteil der Agrarpolitik werden; das spielte heute vormittag in der Diskussion über die EU-Politik eine Rolle.
Nur so können die weitere Zerstörung von Lebensräumen für Menschen, Tiere und Pflanzen und die Freisetzung von klimarelevanten Gasen in größerem Umfang als unbedingt nötig vermieden werden. Nur so kann auf landwirtschaftlichen Flächen entscheidend zur Erhaltung der biologischen Vielfalt beigetragen werden. Nur so kann die Konzentration der Bewirtschaftung in begünstigten Regionen und die gleichzeitige Aufgabe von immer mehr Betrieben in den benachteiligten Regionen, verbunden mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und Lebensqualität, verhindert werden.
Horst Sielaff
Mit uns wird es keine intensiven Agrarinseln auf bevorzugten Flächen, wie es manchmal diskutiert wird, geben;
denn nur so, meine Damen und Herren, kann der Gedanke einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft, die der Garant für eine sinnvolle Balance von Nährstoffzufuhr und Nährstoffabfuhr innerhalb eines Betriebes und einer Region ist, Wirklichkeit werden.
Es hat bereits verschiedene vielversprechende Versuche gegeben, das Miteinander von Landwirten, Naturschützern, Wissenschaft und Politik herzustellen. Einer dieser Versuche kommt aus RheinlandPfalz.
Es handelt sich hierbei um die sogenannten Mainzer Thesen, die noch zu Zeiten des Ministers Karl Schneider, zusammen mit Klaudia Martini als Umweltministerin, entstanden sind. Sie enthalten, wie ich meine, sowohl die richtige Situationsanalyse als auch die passenden Handlungsempfehlungen.
Manches war sicherlich noch nicht ausdiskutiert. Der Ansatz aber war verdienstvoll und richtig.
Herr Heinrich, Ihr Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium Rheinland-Pfalz, Herr Eymael,
hat gesagt, er wolle die jetzige Agrarpolitik auf Basis dieser Thesen fortführen.
Wir warten darauf, daß dies sichtbar wird, meine Damen und Herren.
Leider haben die Landwirte auf diese Vorschläge eher panisch reagiert und sich von ihren teilweise rückwärtsgewandten Verbandsvertretern schrecken lassen. Unser Vorschlag zur Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes - das hat Frau Mehl deutlich gesagt - bezieht die Landwirtschaft mit ein und ist nicht gegen sie gerichtet.
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend noch einige Bemerkungen zu dem machen, was hier gesagt wurde. Zunächst zu dem Beitrag von Frau Glücklich. Vielleicht springen wir zu kurz, Frau Glücklich, aber wir springen wenigstens und machen klare Aussagen.
Ich erinnere daran, wie sich in den letzten Jahren das Umwelt- und das Agrarministerium in der Frage des Schutzes unserer Natur gegenseitig blockiert haben und nichts zustande brachten.
Außer den Ankündigungen seit 9 Jahren haben wir nichts Konkretes auf den Tisch bekommen.
Meine Damen und Herren, es ist doch bezeichnend, wenn ich auf die Regierungsbank schaue und sehe, daß vom Agrarministerium heute niemand in dieser, wie ich meine, auch für die Landwirtschaft wichtigen Debatte anwesend ist.
Man kommt zu dem Eindruck, daß das Agrarministerium wiederum die Politik des leeren Stuhles praktiziert.
Da sieht man, Frau Umweltministerin, welchen Stellenwert der Agrarminister Ihrer Arbeit zumißt. Hier wird deutlich, daß Herr Borchert für das Klientel Landwirtschaft zuständig ist und dort das erzählt, was man hören möchte, und die Umweltministerin für die Umweltverbände zuständig ist und dort erzählt, was man dort hören will.
Aber ein gemeinsames Programm der Regierungskoalition liegt bis jetzt nicht vor. Wir sind gespannt, wie es weitergeht mit den Ankündigungen, die heute wieder gemacht worden sind. Dies ist leider ein Armutszeugnis für die Regierungskoalition.
Vielen Dank.