Rede von
Ulrike
Mehl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende eines Europäischen Naturschutzjahres ist es wohl angebracht, einmal Revue passieren zu lassen, wie es um den Naturschutz bestellt ist.
Das letzte Europäische Naturschutzjahr liegt nun schon 25 Jahre zurück. Immer mehr Menschen engagieren sich vorwiegend in Naturschutzorganisationen für die Erhaltung unserer natürlichen Reichtümer. Das läßt zwar hoffen; es ist aber nicht mehr so viel Natur übrig, und die Vernichtung und Zerschneidung der Lebensräume geht unvermindert weiter. 3 bis höchstens 5 Prozent der Fläche der Bundesrepublik sind noch natürliche oder naturnahe Lebensräume bzw. Biotope. Die Hoffnung auf das Engagement darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Naturschutz trotz gestiegenen Bewußtseins noch immer in der Defensive ist. Wir alle, die wir uns im Naturschutz engagieren, sind ständig gezwungen, neue Argumente für dessen Nützlichkeit und Existenzberechtigung zu finden; denn bisher haben wir es noch nicht geschafft, von unserem gewohnten Gewinndenken Abstand zu nehmen. Wenn sich das Gewinndenken auf eine intakte Natur und Umwelt bezöge, wäre das in Ordnung. So ist es aber eben nicht.
Das wird an einem Beispiel, nämlich an der Waffenerprobung im schleswig-holsteinischen Wattenmeer, deutlich. Hier werden Granaten durch das Watt im Nationalpark geschossen, obwohl dies ein hochsensibler Lebensraum ist und es durchaus andere Erprobungstechniken gibt. Es gibt überhaupt keine Argumente dafür, dort auf den Naturschutz weiter zu schießen, zumal es mindestens fünf weitere europäische Staaten gibt, die solche Erprobungen machen und dafür andere Techniken haben; die haben nämlich kein Watt.
Ich meine, diese Länder sollten sich endlich einmal zusammentun und mit umweltverträglichen Techniken proben, jedenfalls nicht im Wattenmeer.
Eigentlich sollten wir im Jahre 1995 längst begriffen haben, daß die Menschen Teil der Natur sind. Die intakte Natur ist unsere unverzichtbare Lebensgrundlage. Sauberes Wasser, gesunde Luft, lebende Böden sind Teile des sensiblen Gleichgewichts zwischen den vielen Arten und Lebensräumen. Das alles muß nicht nur von uns, sondern für uns - man muß fast sagen: vor uns - geschützt und wiederhergestellt werden.
Spätestens bei den inzwischen eingetretenen großen wirtschaftlichen Schäden durch Naturzerstörung - hier nenne ich nur das Thema Hochwasserschäden - müßte bei jedem das Alarmlämpchen geleuchtet haben. Ein deutlicheres Zeichen, daß uns im Naturschutz das Wasser bis zum Hals steht, kann es kaum noch geben.
Aber solche menschengemachten Katastrophen führen nur zu Reparaturmaßnahmen, die im übrigen auch bald keiner mehr bezahlen kann. Diese Diskussion werden wir möglicherweise wieder im nächsten Frühjahr haben.
Es muß statt dessen zu einer umfassenden Naturschutzstrategie führen, die aber fehlt. Wie ist es sonst zu erklären, daß Nutzungsinteressen - ob Bauern, Verkehr, Landwirtschaft, Tourismus oder Erholung - wieder nach Planungsbeschleunigung oder finanziellem Ausgleich verlangen und damit das zarte Pflänzchen Naturschutz plattzudrücken drohen? Erst wenn es massive finanzielle Anreize gibt, wird auch außerhalb von Naturschutzkreisen über Sinn und Zweck der Erhaltung der biologischen Vielfalt nachgedacht.
Genau deshalb wird die Konvention zur biologischen Vielfalt in der Öffentlichkeit hauptsächlich unter ökonomischen Gesichtspunkten hinsichtlich der Nutzung der Genressourcen wahrgenommen; oder verkürzt: Artenschutzkonvention - immerhin wenigstens das, denn dann kommt das Wort wenig-
Ulrike Mehl
stens vor. Wenn wir aber nicht vom reinen Nützlichkeitsdenken Abschied nehmen, sind wir gezwungen, zu hoffen, daß sich der Milliarden Dollar schwere Markt mit pharmazeutisch nutzbaren Naturstoffen möglichst schnell weiter entwickelt. Solange Gewinne in Aussicht stehen, besteht wenigstens Interesse, diese natürlichen Vorkommen erhalten zu wollen. Aber das ist schon der blanke Zynismus.
Es kann und darf nicht ausschließlich um Genressourcen einzelner Arten gehen, vielmehr muß Naturschutz heute ökosystemaren Zusammenhängen gerecht werden. Genau das ist das Problem. Die Ökologie reagiert in eigenen Rhythmen, die immer weniger zu den menschengemachten Rhythmen unserer Wirtschaft passen. Obwohl wir wissen, spätestens seit dem Brundtland-Bericht, daß Wachstum ökologische Grenzen hat, tun wir alles, eben dieses Wachstum auf Kosten der Natur zu beschleunigen.
Mit dieser Entwicklung geht eine hochgradige Spezialisierung des Wissens einher, und gleichzeitig verlieren wir das Verständnis und Wissen für das Ganze, für die Sensibilität des Zusammenspiels einzelner Teile. Dieses allgemeine Phänomen spiegelt sich im Naturschutz haargenau wider.
Um es noch einmal klarzumachen: Naturschutz ist nicht ein zusätzlicher Nutzungsanspruch an die Landschaft. Naturschutz ist vielmehr eine Querschnittsaufgabe für alle.
Wir müssen begreifen, daß eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen nur auf dem Erhalt der Natur aufgebaut werden kann. In Wirklichkeit klaffen theoretisches Wissen und aktives Handeln weit auseinander. Internationale Verträge und gesetzliche Vorgaben dürfen nicht zum Selbstzweck verkommen, sondern müssen neue Wege eröffnen, und dies nicht auf dem Papier, sondern in der Praxis. Die Wege, die von der Bundesregierung aufgezeigt werden, gleichen nach meinem Eindruck eher einem Kreisverkehr mit Abzweig in eine Sackgasse.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zum Naturschutz ist das beste Beispiel. Auf unsere konkreten Fragen antwortet sie folgendes: Dies alles sei im Umweltbericht der Bundesregierung und im Bericht der Umsetzung der Konvention über die biologische Vielfalt beantwortet.
Schaut man da nach, erfährt man, daß die Konvention ratifiziert ist, der Rest im Bundesnaturschutzgesetz geregelt ist, das noch nicht novelliert ist, und im übrigen die Länder zuständig sind. Damit ist die Bundesregierung, glaube ich, am Ende ihrer Weisheiten.
Offenbar freut sich die Bundesregierung schon selber auf ihren Gesetzentwurf des Bundesnaturschutzgesetzes, weil sie nach neun Jahren der Ankündigung desselben immer kraftvoller auf die Inhalte der nicht vorhandenen Novellierung hinweist.
Schon 1986 wurden die Forderungen der SPD zum Naturschutzgesetz mit dem Argument abgelehnt, daß eine baldige umfassende Novellierung geplant sei. Nun hat uns der Kollege Friedrich bei der Haushaltsberatung im November dieses Jahres gesagt, Herr Töpfer habe in seiner Amtszeit ja bereits alles angekündigt, was anzukündigen sei, und Frau Merkel könne nun gar nichts mehr ankündigen, sondern sie wolle umsetzen. Frau Merkel, darauf sind wir äußerst gespannt.
- So ist es, das hat er ja auch bestätigt. Außerdem hat er noch bemerkt, daß Herr Stoiber, der heute morgen hier auch geredet hat, erklärt habe, nun könne man ein Gesetz auch novellieren; mit Frau Merkel könne man das machen, es komme allerdings auf die Inhalte an. Darauf warten wir ganz gespannt.
Wir haben die notwendigen Änderungen des Naturschutzgesetzes in unserem Gesetzentwurf zum drittenmal klar formuliert. Ich will die Schwerpunkte des Gesetzentwurfs noch einmal nennen:
Erstens. Wir wollen den Schutz der Natur auch - nicht nur, aber auch - um ihrer selbst willen.
Zweitens. Wir wollen auf mindestens 10 Prozent der Landesfläche Vorrang für den Naturschutz. Es stehen heute nur knapp 2 Prozent der Landesfläche unter Naturschutz. Außerhalb von Wäldern gibt es insgesamt noch 3 bis 5 Prozent natürliche oder naturnahe Lebensräume. Wir brauchen diese Vorrangflächen auch zum Aufbau des europaweiten Biotopverbundsystems „Natura 2000".
Drittens. Das Verhältnis von Land- und Forstwirtschaft zum Naturschutz wird neu geregelt. Die sogenannte Landwirtschaftsklausel, die besagt, daß die Land- und Forstwirtschaft den Zielen des Gesetzes dient, wird gestrichen. Statt dessen wollen wir die Landwirtschaft zur umweltschonenden Bewirtschaftung umsteuern. Wir brauchen die Landwirtschaft als wichtigsten Partner für den Naturschutz, weil sie bundesweit über 50 Prozent der Fläche bewirtschaftet.
Eine nachhaltige, also umweltverträgliche Landwirtschaft, die Düngemittel gezielter ausbringt, den Pestizideinsatz auf ein Minimum reduziert und das Klima insbesondere durch eine flächengebundene Tierhaltung weniger gefährdet, können wir nur erreichen, wenn die Milliardenbeträge für die heutige Landwirtschaft nur noch auf der Grundlage ökologischer Vorgaben vergeben werden.
Es ist völlig unmöglich, daß der Naturschutz mit seinen kargen Mitteln nun für das bezahlen soll, was die vollen Geldtöpfe der EU vorher ruiniert haben.
Ein Instrument dafür, an die Landwirtschaft Ausgleichszahlungen für Sonderleistungen für den
Ulrike Mehl
Naturschutz zu leisten, kann der Vertragsnaturschutz sein. Aber es ist eben nur ein Instrument. Es muß daneben auch möglich sein, Flächen für den Naturschutz auf unbegrenzte Dauer zu sichern und zu entwickeln und eicht nur auf der Ebene eines 10 oder 15 Jahre dauernden Pachtvertrages.
Bei einer Reihe von Gebieten ist der Flächenankauf unverzichtbar. Darum muß sich der Bund im Rahmen der Förderung von Großschutzgebieten mit gesamtstaatlicher Bedeutung auch weiterhin an Flächenankäufen beteiligen.
Eine Änderung der Förderrichtlinie für diese Großschutzgebiete darf die Geldmittel des Bundes nicht zu einer neuen Subvention für die Landwirtschaft machen. Wir brauchen auch den Flächenankauf. Allein der Vertragsnaturschutz kann das nicht erreichen.
Großschutzgebiete dürfen nicht auf Dauer am Tropf des Vertragsnaturschutzes hängen.
Wir müssen neue Wege finden, wie wir der Landwirtschaft flächendeckend zu einer umweltverträglichen Wirtschaftsweise verhelfen können, aber nicht zu Lasten des Naturschutzes. Ich gehe darauf jetzt nicht näher ein, weil mein Kollege Sielaff in seinem Redebeitrag dies noch einmal aufgreifen wird.
Viertens. Wir wollen eine flächendeckende Landschaftsplanung zur Absicherung des Naturschutzes in der Raumordnung und Landesplanung. Aufgabe der Landschaftsplanung ist es, die konkurrierenden Nutzungsansprüche an die Natur miteinander sinnvoll zu vereinen. Die Abwägung findet also bereits im Landschaftsplan statt und nicht erst danach in den weiteren Bauleitplanungen. Sie ist nicht nur als schlichte Naturschutzplanung anzusehen.
Fünftens. Die Regelung bei Eingriffen in Natur und Landschaft soll auf den Grundwasserschutz, den Schutz des Bodens und der Luft und die stofflichen Einwirkungen erweitert werden. Ist ein Ausgleich nicht möglich, müssen Ersatzzahlungen mit Zweckbindung für den Naturschutz geleistet werden. Im übrigen ist eine Erfolgskontrolle vorgesehen. Man weiß aus der Praxis, daß man gelegentlich hinschauen muß, um zu erfahren, was aus den Planungen geworden ist.
Sechstens. Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU, kurz FFH-Richtlinie, zum Aufbau eines europaweiten Biotopverbundes wird umgesetzt. Diese hätte schon bis Juni 1994 umgesetzt sein müssen. Aber da diese Rechtsgrundlage nach wie vor fehlt, haben die Länder auch noch keine Gebiete gemeldet. Schon deshalb ist die Bundesregierung gezwungen, das Naturschutzgesetz zu novellieren. Wenn wir keine völlige Zersplitterung des Naturschutzrechtes wollen, wie sie uns im Artenschutz droht, muß die Umsetzung der FFH-Richtlinie im Naturschutzgesetz auf jeden Fall verankert werden. Wir haben das in unserem Entwurf getan.
Siebtens. Wir haben eine neue Schutzkategorie „Biosphärenreservat" eingeführt. Zum einen soll dem Gedanken des großflächigen Naturschutzes Rechnung getragen, zum anderen aber einer umweltverträglichen Nutzung von Natur und Landschaft Vorschub geleistet werden.
Achtens. Wir haben eine jährliche Berichtspflicht der Bundesregierung vorgesehen und den Ländern empfohlen, eine entsprechende Regelung in ihre Ländergesetze aufzunehmen.
Neuntens. Wir führen die seit Jahren zu Recht geforderte Verbandsklage ein; denn in einer Zeit, in der immer mehr Menschen darüber mitreden wollen, welche Planungen und Vorhaben um sie herum beabsichtigt sind und wie sie gestaltet werden sollen, kann es nur richtig sein, betroffene Gruppen so früh wie möglich an den Verfahren zu beteiligen.
Es muß ihnen die Verantwortung übergeben werden, im Zweifelsfall gegen eine Maßnahme klagen zu können. Die immer wieder aufgestellte Behauptung, Öffentlichkeitsbeteiligung sei der Grund für zu lange Verfahrensdauer, ist schlicht falsch. Es gibt keinerlei Beleg dafür, daß durch Ausschluß der Öffentlichkeit Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren schneller laufen würden. Wer seine Landesentwicklung und -planung im Sinne einer breiten Akzeptanz in der Bevölkerung durchsetzen will - wir reden ständig von Mediationsverfahren, insbesondere im Umweltbereich -, der kommt mit der Öffentlichkeitsbeteiligung besser zum Ziel und zu besseren Lösungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte es nun doch noch wahr werden, daß die Bundesregierung eine Gesetzesnovelle vorlegt, dann freue ich mich schon auf die Diskussion.
Ich hoffe, Frau Merkel, daß Sie sich dann als Vorkämpferin für den Naturschutz entpuppen werden. Dies können Sie bereits in Ihrem eigenen Wahlkreis Rügen probieren, wo die Mehrheit im Kreistag beabsichtigt, Nutzung und Schutz der Natur unter einen Hut zu bringen.
Ich fordere Sie auf, sich dort als oberste Naturschützerin für eine beispielhafte Zusammenführung von Ökonomie und Ökologie mit Nachdruck einzusetzen.
Mit dem Gesetzentwurf der Bündnisgrünen hätte ich mich nun auch gerne auseinandergesetzt. Aber die Kolleginnen und Kollegen hatten ihr Gesetz schneller auf der Tagesordnung des Bundestages, als sie es beschlossen haben. Deshalb werden wir uns dann in den laufenden Beratungen damit auseinandersetzen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einen anderen Aspekt zur Notwendigkeit der Naturerhaltung einbringen. Edward O. Wilson, Biologieprofessor an der Harvard-Universität in Cambridge und Vorkämpfer für den Erhalt der Artenvielfalt, unterstreicht in sei-
Ulrike Mehl
nem jüngsten Buch „Der Wert der Vielfalt", daß die Menschen eine unbewußte Neigung zur Nähe der übrigen Lebensformen haben. Dazu zähle auch die Sehnsucht nach der Wildnis, in der der Mensch neue Lebenskraft sucht und der der Mensch ursprünglich entstammt.
Er sagt weiter, daß es viele Anzeichen dafür gibt, daß der Verlust der biologischen Vielfalt nicht nur unser physisches, sondern auch unser geistiges Wohlbefinden gefährdet. Wilson endet damit, folgendes festzuhalten:
Ziel einer dauerhaften ökologischen Ethik wird es sein, nicht nur die Gesundheit und Freiheit unserer Art, sondern auch den Zugang zu der Welt zu bewahren, in der der menschliche Geist entstanden ist.
Um das zu schaffen, brauchen wir eine umfassende Strategie. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten! Warten wir nicht bis zum nächsten Europäischen Naturschutzjahr - vielleicht in 25 Jahren!
Vielen Dank.