Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, daß heute deutlich geworden ist, daß die Position, die wir, die SPD, in der Frage der Währungsunion haben,
Heidemarie Wieczorek-Zeul
ausdrücklich vom bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber - offensichtlich gegen die F.D.P. - unterstützt worden ist.
Im übrigen möchte ich folgendes anmerken. Heute ist die Debatte, in der der Deutsche Bundestag der Regierung die Positionen zur Regierungskonferenz für das nächste Jahr, in dem Maastricht überprüft werden soll, mitgeben will. Nach dem, was ich heute morgen gehört habe, habe ich den Eindruck, daß sich noch nicht einmal die Regierungsparteien untereinander einig sind, was eigentlich als Auftrag mitgegeben werden soll.
Das läßt einen Böses befürchten, denn wenn in so zentralen Fragen wie der Währungsunion zwischen CSU und F.D.P. - das ist in dem Disput eben ja deutlich geworden - so unterschiedliche Auffassungen sind, muß man sich fragen, welche Linie nachher vertreten wird.
Der zweite Punkt. Es ist noch eine weitere Situation deutlich geworden. Eigentlich ist alles - Herr Stoiber hat es diplomatisch ausgedrückt - eine immanente Kritik an der Verhandlungsweise von Herrn Hoyer in der Reflexionsgruppe gewesen, in der er für die Bundesregierung saß.
Drittens. Er hat gesagt - das ist schon immer die Position der SPD gewesen -: Die Fehler, die die Bundesregierung bei Maastricht gemacht hat, dürfen sich nicht wiederholen. Aber ich sage Ihnen: Die Regierungsparteien sind jedenfalls heute nicht gewillt - das wird sich nachher auch in der Abstimmung zeigen -, der Bundesregierung konkrete Weisungen für die Verhandlung bei der Regierungskonferenz mitzugeben, weil sie offensichtlich alles offenlassen wollen.
Damit ist die Gefahr sehr groß, daß folgendes wieder eintritt: Die Bundesregierung verhandelt im stillen Kämmerlein; sie konfrontiert die Bevölkerung mit den Ergebnissen, und der nächste Frust in der Bevölkerung ist vorbereitet. Das darf sich nicht wiederholen, liebe Kolleginnen und Kollegen. So darf die Bundesregierung nicht weiter verhandeln.
Wenn man der Debatte heute morgen die ganze Zeit gefolgt ist, so kann man ganz gut feststellen - Sie haben das wahrscheinlich genauso empfunden wie ich -: Bundeskanzler Kohl hat durchaus - wenn auch nicht mit der notwendigen Leidenschaft - europäisches Wollen deutlich gemacht. Das Problem seiner Europapolitik und damit unsere zentrale Kritik ist, daß er ein Konzept der Europapolitik hat, das immer noch von der Vergangenheit ausgeht, als würde es reichen, wenn sich europäische Regierungs- und Staatschefs untereinander verschwören und etwas verabreden. Europapolitik ist nicht mehr die traditionelle Außenpolitik von Konrad Adenauer und anderen. Sie ist Innen- und Gesellschaftspolitik.
Der Bundesregierung fehlt jedes Konzept, wie eine solche gesellschaftliche Vision am Ausgang dieses Jahrhunderts tatsächlich sein sollte.
Es gibt eine historische Aufgabe am Ausgang dieses Jahrhunderts, dieses Jahrtausends. Sie wissen: Im letzten Jahrhundert und zu Beginn dieses Jahrhunderts haben Gewerkschaften und Sozialdemokratie den Sozialstaat durchgesetzt. Es ist bei allem, was heute an Nachdenklichem gesagt worden ist, eine Binsenweisheit deutlich geworden: Der Nationalstaat ist unter vielen Gesichtspunkten nicht mehr ausreichend steuerungsfähig. Die Erkenntnis und die Perspektive für das Ende dieses Jahrhunderts ist: Wir werden den Sozialstaat in unserem eigenen Land nicht bewahren können, wenn wir nicht alles unternehmen, damit er auf europäischer Ebene auf- und ausgebaut wird.
Das muß die Perspektive sein, sonst wird in jedem unserer Länder durch die Globalisierung das weiter abgeräumt, was in diesem Bereich schon ins Rutschen gekommen ist.
- Ja, aber ich ziehe eine ganz andere Schlußfolgerung daraus. Eine Währungsunion ohne die Sozialunion bringt - an dieser Stelle hat Herr Stoiber etwas Richtiges gesagt - die Europäische Union zum Platzen,
weil sie in letzter Konsequenz - das hat der Kollege Norbert Wieczorek vorhin angesprochen - die realen Probleme bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Probleme von Menschen nicht einbezieht. Die Sozialunion muß die Ergänzung zur Währungsunion sein.
Ohne das hat Europa keine wirkliche Chance, sich weiterzuentwickeln.
Das heißt auch, die Europäische Union auf Vollbeschäftigung zu verpflichten. Das heißt auch, daß das Sozialprotokoll in den Vertrag einzugliedern ist. Da muß es eben so sein, daß Arbeitsschutz und Mitbestimmung, daß Ausbildungsplätze für Jugendliche, Sozialversicherungspflicht für bisher ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse und die Entsenderichtlinie verwirklicht werden. Es muß endlich Schluß sein mit den Einstimmigkeitsabstimmungen in sozialpolitischen Fragen im Ministerrat. Sonst werden Großbritannien und die Regierung Kohl jeden sozialpolitischen Fortschritt in der Europäischen Union blockieren. Dann wird sich Europa eben nicht weiterentwikkeln können.
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Da ist jetzt eine Differenz ganz deutlich. Stoiber und andere sprechen von Subsidiarität. Meine Befürchtung ist - der Binnenmarkt existiert -: Alles, was jetzt an sozialpolitischen Elementen neu geschaffen werden soll, wird unter das Verdikt „Subsidiarität" gerechnet und nicht verwirklicht. Das ist eine Konsequenz, die für die Weiterentwicklung fatal wäre.
Vor allem gehört zu einer Sozialunion und zu einem europäischen Sozialstaat, daß die Gleichberechtigung von Frauen auch auf dieser Ebene eine verpflichtende Aufgabe staatlichen und überstaatlichen Handelns ist.
Die Bundesregierung - das habe ich in einer anderen Debatte schon gesagt - will offensichtlich alles abräumen, was in diesem Bereich an Gleichberechtigung bisher im Vertrag verankert ist. Wir sagen: Wenn Sie die Gleichstellung von Frauen aus dem Vertrag oder aus den anderen europäischen Entscheidungen herausziehen, reduzieren Sie in der Tat Europa auf ein Europa der Händler, der Exporteure und der Agrarier. Wir sind der Meinung, Europa ist auch eine Chance für Frauen, wenn dafür gesorgt wird, daß aktive Beschäftigung und Förderung für Frauen in dem Vertrag verankert werden und damit vor allen Dingen auch nationale Politik zugunsten der Frauengleichstellung verwirklicht wird.
Von Frau Nolte hat da niemand etwas zu erwarten. Frau Nolte, wer sich auf der EU-Ebene hergibt, auch das geringste Programm, das die Bundesrepublik Deutschland 10 Millionen DM im Jahr zur Frauengleichstellung gekostet hätte, noch zu halbieren, der hat den Namen Frauenministerin nicht verdient, wenn er auf diese Art und Weise den Frauen in den Rücken fällt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt völlig unterschiedliche gesellschaftspolitische Konzeptionen von der Weiterentwicklung Europas. Deshalb wird es auch heute kontroverser als in früheren Debatten. Die konservativen Parteien dieses Hauses - das haben sie heute noch nicht so richtig rausgelassen - wollen natürlich Europa faktisch zu einer traditionellen militärischen Supermacht entwickeln.
Dabei tauchen interessante Differenzen etwa auch zwischen CDU/CSU und F.D.P. auf. Ich empfehle Ihnen: Schauen Sie sich alle die Empfehlungen bzw. den Bericht des Europaausschusses dazu an. Die Frage, wozu die Militärstruktur neben der NATO
dienen soll, ist von allen bisher nicht beantwortet worden.
Vor allen Dingen kommt dazu, daß CDU/CSU wollen, daß zukünftig mit Mehrheit entschieden werden kann, daß Militäreinsätze unter dem Titel „Europäische Union" laufen und wir sie auch noch finanzieren sollen. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Erstens braucht die Europäische Union keine neue militärische Struktur; die NATO gibt es. Zweitens ist die Frage, warum eigentlich die Bundesregierung in diesem Sektor heute noch mit Frankreich eine gemeinsame Rüstungsagentur zur Vertretung gemeinsamer Interessen empfiehlt. Wer Europa in einer solchen Situation, in der sich heute Deutschland und Frankreich befinden, mit einer Rüstungsagentur beglücken will, wird nicht Europa retten, sondern dafür sorgen, daß die Waffenexporte in die Welt zunehmen. Das fände ich unerträglich.
Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wer Mehrheitsentscheidungen - das will die CDU/CSU, die F.D.P. nicht, das ist auch wieder ein Unterschied - im Bereich der Verteidigungs- und der Sicherheitspolitik empfiehlt und dann auch noch sagt, daß die Deutschen das mitfinanzieren sollen, obgleich sie sich hier oder an anderen Aktionen nicht beteiligen, der empfiehlt ein Unsinnsprogramm. Ich empfehle Herrn Seiters und der CDU/CSU, solche Vorschläge schleunigst wieder zurückzupacken. Dankenswerterweise stimmt die F.D.P. in diesen Fragen ja mit uns.
Lassen Sie mich zum Schluß zur Osterweiterung kommen. Leider ist Herr Stoiber nicht mehr da. Es wäre schön, wenn er noch hier wäre; denn der Dialog soll ja auch geführt werden, und das setzt voraus, daß man sich nicht nur selber reden hört, sondern auch die Antworten mitbekommt. - Wo ist er? Ran mit ihm!
- So, das ist auch in Ordnung. Da kann er nur lernen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die Frage der Osterweiterung noch einmal ansprechen, und es ist ein Problem, das die Bunderegierung bisher nicht erkannt hat. Wir alle sind dafür, daß die Osterweiterung kommt. Aber Helmut Kohl sagt, die Europäische Union darf nicht mehr kosten, die Osterweiterung muß kommen, und bei der Agrarpolitik muß alles so bleiben wie bisher.
- Aber er macht es so.
Ich sage Ihnen: Ich lege Ihnen heute hier einen Vorschlag vor, den die SPD in diesem Bereich vertritt. Wir wollen, daß zukünftig die Europäische Union nur in dem Umfang mehr Finanzmittel erhält, wie sie
Heidemarie Wieczorek-Zeul
auch neue Aufgaben übertragen bekommt. Das wäre schon einmal ein ganz wichtiger Schritt.
Um die Erweiterung, die Aufnahme neuer mittel- und osteuropäischer Länder, finanzieren zu können, wollen wir, daß im Bereich der Agrarpolitik bis zum Jahr 2010 bei den Marktordnungen und bei den Exportbeihilfen drastisch gestrichen wird. Mit den dann frei werdenden Mitteln soll die Osterweiterung, die Aufnahme neuer mittel- und osteuropäischer Länder, vorbereitet werden.
Man muß das, was Stoiber unter dem Gesichtspunkt der Regionalisierung vorgeschlagen hat, nicht teilen, aber eines ist klar: Die Bundesregierung, die dafür verantwortlich wäre, die Fragen der Finanzierung und der Osterweiterung hier zu beantworten, hat in dieser Frage keinen einzigen wirklich sinnvollen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Sie handelt nur nach dem Prinzip „Weiter so! " und beläßt alle Sachen ohne jede wirklich strategische Orientierung so, mit allen Widersprüchen.
Unser Vorschlag ist also die Finanzierung durch drastische Einschnitte im Agrarbereich. Das würde im übrigen auch dazu führen, daß der englische Rabatt hinfällig wäre, und das würde auch die Ausgangs- und Finanzsituation der Bundesrepublik Deutschland sehr verbessern.