Rede von
Dr.
Norbert
Wieczorek
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Vorsitzender des Europaausschusses stelle ich eines fest: Eigentlich sollte diese Debatte der Vorbereitung der Madrider Konferenz dienen. Sie wird aber total überlagert durch die Währungsunion. Ich werde mich selber gleich an dieser Diskussion beteiligen. Aber vielleicht sollte man mal darüber nachdenken, ob dieses Verhältnis in Ordnung ist und ob die Fragen der Währungsunion so entscheidend sind für die weitere Entwicklung in Europa, entscheidender als das, was in Madrid verhandelt wird.
Herr Kollege Waigel, unsere Forderung im Zusammenhang mit Maastricht war immer, daß die politische Union vorangetrieben wird. Das ist in Maastricht nicht ordentlich geregelt worden. Es sieht jetzt gar nicht so gut aus für die Regierungskonferenz. Trotzdem tragen wir die Währungsunion - ich weiß, was ich sage - wie eine Monstranz vor uns her, ohne uns um die Probleme der Währungsunion und die Aufgeregtheiten, die auch hier im Hause zu verspüren sind, überhaupt zu kümmern.
Dies ist das Problem, das wir in der Debatte haben. Wir sind, was die Europapolitik angeht, auf einem ganz gefährlichen Weg.
Lassen Sie mich deshalb eines unmißverständlich wiederholen: Für die SPD ist die Währungsunion ein
Dr. Norbert Wieczorek
ganz zentraler Beitrag zur Europäischen Union. Sie ist im übrigen selber Teil einer politischen Union. Allerdings möchte ich hinzufügen: nicht in dem Sinne dessen, was ich gerade von Herrn Tietmeyer gelesen habe, der in einer Sendung gesagt haben soll, außerdem müsse sichergestellt werden, daß die nationale Haushaltspolitik unter überstaatliche Kontrolle gestellt werde.
Wenn dies die Situation ist, dann frage ich mich: Wer will denn eigentlich, Kollege Waigel, Neuverhandlungen mit Ratifizierungszwang? Ich komme auf den Stabilitätspakt à la Waigel noch zurück. Wer will das denn? Und wer will dann überhaupt noch die Systematik, die wir auf Grund von Maastricht haben? Gerade wer dafür ist, Haushalts- und Fiskalpolitik besser abzustimmen, wer dafür ist, das nicht in der neuen Regierungskonferenz neu zu verhandeln, der muß doch darauf achtgeben, daß er nicht in anderer Weise Staatsverträge zur Ratifizierung bringt.
Ganz am Rande bemerkt: Ich bin gespannt, wie dann der Kampf zwischen Herrn Stoiber auf dieser Seite und Herrn Waigel auf jener Seite ausgeht,
wenn Sie den Ländern und Gemeinden verpflichtend Verschuldungsquoten vorgeben wollen. Das würde auch für den Bundeskanzler in seiner Haltung zu den Kommunen gelten.
Lassen Sie mich zum Thema zurückkommen. Die Währungsunion ist - deswegen sollten wir nicht leichtfertig darüber reden; das sehe ich auch so - für uns von großem wirtschaftlichem Interesse; denn wenn wir die Wechselkurse nicht auf einem vernünftigen realen Niveau stabilisieren, werden wir die Arbeitsplätze nicht stabilisieren. Wenn wir die Währungsunion hätten, wäre das auch ein guter Ausgangspunkt, um international im Verhältnis zu Yen und Dollar zu einem besseren System zu kommen.
Herr Kollege Kinkel, Sie haben vorhin von zehn Jahren gesprochen, bis wir die Stabilisierung des Weltwährungssystems auf der Basis der Währungsunion erreichen können. Wenn wir sie im Jahre 2002 abgeschlossen haben, dann sind das von jetzt aus gerechnet keine zehn Jahre. Da schien mir bei Ihnen ein bißchen Freud drin zu sein, oder aber Sie haben das auf Grund der Verunsicherung der F.D.P. gesagt. Darauf wollte ich nur kurz hinweisen.
Wenn die europäische Währung - das ist fast einstimmige Meinung des Hauses - die gleiche Härte haben soll, wie sie die D-Mark heute hat, dann sind die Konvergenzkritierien eine unverzichtbare Bedingung. Ich kann nur wiederholen, was Herr Scharping gesagt hat. Es war der Bundeskanzler, der betont hat, die Kriterien seien wichtiger als der Zeitplan. Die Bundesregierung hat dies dem Verfassungsgericht vorgetragen. Gilt das plötzlich nicht mehr? Dann lassen wir doch diese albernen Diskussionen darüber.
Wenn Sie es anders sehen, müssen Sie es sagen.
Das führt auch im Ergebnis dazu, daß eine Reihe von Ländern am Anfang nicht an der Währungsunion teilnehmen werden. Ich beteilige mich nicht an der Spekulation, wer es sein wird; aber es ist sicher, daß es so sein wird. Wenn das aber so ist, dann gilt für mich: Wir sollten nicht jetzt anfangen, offiziell irgendwelche Zeitpläne zu verschieben, weil das Konsolidierungsbemühungen in anderen Ländern gefährdet. Wenn ich mir die Entwicklung in Italien ansehe, dann haben die Konsolidierungsbemühungen dazu geführt, daß sich die übertriebene Abwertung der Lira gegenüber der D-Mark zum Teil korrigiert hat, was ja für unsere Exportwirtschaft gut ist. Nur sollten wir auch nicht so tun, als hinge das allein davon ab, denn die Notwendigkeit, die Haushalte zu konsolidieren, ist in Italien evident, und in Frankreich ist die Notwendigkeit, das dortige Sozialsystem zu revidieren, ebenfalls evident, weil es nicht mehr zu bezahlen ist. Darauf komme ich aber noch einmal zurück.
Wir müssen jedenfalls darauf achten, daß die D-Mark nicht real weiter aufgewertet wird. Wenn das aber so ist, dann bin ich allerdings dafür, daß wir uns um einen zentralen Punkt sehr intensiv kümmern, Herr Kollege Waigel, und da vermisse ich tatsächlich das Engagement der Bundesregierung: Kriegen wir endlich wieder ein System zur Wechselkursstabilisierung innerhalb Europas? Das alte EWS funktioniert nicht mehr; es besteht nur noch auf dem Papier. Was machen wir denn, wenn wir eine Währungsunion haben, mit denen, die ihr angehören, und denen, die ihr nicht angehören? Haben dann vielleicht diejenigen, die der Währungsunion angehören, eine Aufwertungsorgie und die anderen eine Abwertungsorgie?
Herr Kollege Seiters, der jetzt leider nicht mehr anwesend ist, hat vorhin den Ministerpräsidenten von Niedersachsen angegriffen. Trotzdem möchte ich ihm eines sagen: Die Sorge des Kollegen Schröder ist doch, daß, wenn wir keine Stabilisierung hinbekommen, dann ein Land wie Italien - er hat es erwähnt, und ich kann es hier ebenfalls nennen; das ist auch kein Problem - und andere Länder erst recht in einen Abwertungsdruck hineinkommen. Dann wäre es aber sinnvoll, mit der Aufnahme in die Währungsunion so lange zu warten, bis sie mit der Konsolidierung soweit sind. Wenn das aber nicht die Zielsetzung des Vertrages ist, dann sind doch die Sorgen um die Arbeitsplätze entscheidend: um die Arbeitsplätze bei VW oder bei mir im Wahlkreis bei Opel oder bei Herrn Stoiber bei BMW. Dies ist doch der zentrale Punkt, warum die Bundesregierung mit aller Energie ein neues Stabilisierungssystem vorsehen muß. Ich greife Herrn Lamfalussy überhaupt nicht an, wenn er sagt, das EWI werde das bis zum Herbst des nächsten Jahres machen; das ist sein Auftrag. Aber warum drängt die Bundesregierung nicht darauf, daß ein solches System viel schneller auf den Tisch gelegt wird, als wir es bisher gehört haben? Wir brauchen es doch dringend.
Wenn - das sage ich nur ganz am Rande - aus Gründen, die wir nicht zu vertreten haben, der Ter-
Dr. Norbert Wieczorek
min ins Rutschen kommt, dann wäre es auch sehr nützlich, wenn wir ein solches System hätten. Da sehe ich aber überhaupt kein Engagement der Bundesregierung.
Damit komme ich auf den Punkt, warum wir jetzt in der Diskussion um den Terminplan sind: doch deshalb, weil die Währungsunion keine fiskalpolitische, monetäre oder juristische Veranstaltung ist - das ist sie auch -, sondern ihre Verwirklichung entscheidend von der Entwicklung der Volkswirtschaften abhängt. Hier liegt das zentrale Problem der Europäischen Union: die viel zu hohe Arbeitslosigkeit. Für uns Sozialdemokraten gilt hier der Satz: Wer keine Beschäftigung schafft, schafft keine Stabilität.
Wenn Sie der Opposition das nicht glauben wollen, dann verweise ich Sie auf den Bericht der UNO-Kommission für Wirtschaft/Europa, abgedruckt im „Handelsblatt" vom 4. Dezember. Dort fordern die ECE-Experten, daß die Diskussion um die konjunkturellen Auswirkungen der Maastricht-Beschlüsse nicht weiterhin ein Tabu bleibt und sie in Zukunft offener und eingehender diskutiert werden, als dies bisher geschehen ist. Genau dies müssen wir endlich machen; denn es sind die Arbeitslosigkeit, der Rückgang der Beschäftigung und der Rückgang der Wachstumsraten, die die europäische Währungsunion gefährden, und nicht irgendwelches Gerede.
Kollege Waigel, Sie haben meine Unterstützung bei der Durchsetzung eines Stabilitätspaktes. Übrigens haben Sie nicht die Unterstützung der Abgeordnetenkollegen auf Ihrer Seite des Europaausschusses;
sie haben nämlich diese Formulierung in dem Antrag abgelehnt. Das nur als Randbemerkung; das ist Ihr internes Problem.
Herr Kollege Waigel, wir stimmen auch darin überein, daß die Zielsetzungen von den meisten Partnerländern, nicht von allen, geteilt werden. Aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Mit dem, was Sie im Speziellen vorschlagen, habe ich ganz erhebliche Probleme. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es akzeptabel ist, so in die Haushaltspolitik einzugreifen - ich habe vorhin bewußt Herrn Tietmeyer zitiert -, wie das Ihr Vorschlag macht.
Mir ist auch aufgefallen, daß die Zielsetzung und die Übereinstimmung darin immer wieder betont wird. Man könnte etwas lässig sagen: Der ECOFIN-Rat ist nun einmal die Gewerkschaft der Finanzminister. Im Detail aber ist das keineswegs in Ordnung. Ich fordere Sie auf, uns auch für die Bundesrepublik einmal vorzulegen, wie das rechtlich aussieht - da bin ich bei dem Punkt, den ich gerade schon angesprochen habe -: Brauchen wir dann überall Verfassungsänderungen? Brauchen wir Staatsverträge, die zu ratifizieren sind, weil es um das Kernrecht der Parlamente, nämlich um die Haushaltshoheit, geht?
Darum haben Sie sich herumgeschwindelt. Ich glaube, daß Sie Ihren Vorschlag weit überzogen haben.
Wenn wir in der Konjunkturpolitik mit der Konsolidierung so fortfahren - zuerst sollten 3 Prozent erreicht werden; jetzt plötzlich ist es nur noch 1 Prozent, mit angedrohten Strafen -, kommen wir immer mehr in die Situation, daß die Menschen den Weg zur vollständigen Umsetzung des MaastrichtVertrages nicht mehr als etwas ansehen, was ihnen eine bessere Zukunft verspricht. Sie werden es vielmehr als eine Verschlechterung ihrer gegenwärtigen Lage betrachten.
Das ist doch im Moment auch das Kernproblem in Frankreich. Wir können uns nicht darüber freuen. Ich möchte nicht, daß Frankreich ausschert. Das schlägt auf uns zurück; das ist gar keine Frage. Was dort abläuft, ist, daß die EU nicht als etwas Positives erlebt wird. Es wird vielmehr gesagt: Weil ihr die Maastricht-Kriterien erfüllen wollt, bekommt ihr diese Schwierigkeiten. Die Folge davon ist das, was wir jetzt in Frankreich erleben.
Ob die Regierung das überlebt oder nicht, ist Sache Frankreichs. Wie sie die Konsolidierung fortführt, ist ebenfalls Sache Frankreichs. Daraus sollten wir uns tunlichst heraushalten. Der Haushalt des Kollegen Waigel ist schließlich auch nicht so sauber.
- Ich könnte aus dem Nähkästchen plaudern: Im Finanzministerium wird auch schon überlegt, wann man die 60-Prozent-Grenze überschreitet - das nur am Rande - und wie nah man an den 3 Prozent ist. Das will ich gar nicht tun.
Das Entscheidende aber ist doch, daß wir, wenn die Beschäftigung in Europa nicht angekurbelt wird, keine weitere Unterstützung für den Prozeß der Konsolidierung erhalten, was zunächst einmal Einschnitte bedeutet. Das ist das Problem.
Hier klage ich die Bundesregierung ganz ausdrücklich an: Ihr größtes Versäumnis bei der Hinführung zur Währungsunion ist doch, daß Sie es nicht geschafft haben, die Vorschläge von Jacques Delors umzusetzen. Im Gegenteil, Sie haben mit Ihrer Politik der Kürzungen im Haushalt geschafft, daß die öffentlichen Investitionen heruntergefahren werden und durch die Abgaben- und Steuererhöhung für den Bürger die Massenkaufkraft stagniert, mit dem Ergebnis, daß die private Endnachfrage stagniert. Diese macht noch immer 50 Prozent der Nachfrage und damit auch der Arbeitsplätze aus.
Genau an diesen Stellen haben Sie in der Vorbereitung versagt. Deswegen fordere ich Sie auf: Fangen Sie endlich an, nicht nur über finanzpolitische
Dr. Norbert Wieczorek
Kriterien zu reden - ich kann das vielleicht am unbefangensten sagen, da ich aus dieser Ecke des Hauses komme -, sondern auch die realwirtschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir in Europa gemeinsam die Währungsunion durchsetzen können.
Was von dieser Bundesregierung bis jetzt gekommen ist, hat weder der Bundesrepublik noch Frankreich, noch anderen Ländern wie zum Beispiel Italien geholfen.
Wenn wir es nicht schaffen - das ist ein Angebot -, durch mehr Beschäftigung und durch mehr ökologisches Wachstum - natürlich, Herr Kollege Sterzing - Zustimmung zu finden, dann werden wir nicht nur bei der Bevölkerung hinsichtlich der Zustimmung zu Europa scheitern. Vielmehr werden auch die finanzpolitischen Kriterien nicht erfüllt werden können, weil die Gegenläufigkeit von finanzpolitischen Kriterien und realer Entwicklung dann offensichtlich wird.
Ich sage das noch einmal - darauf habe ich schon hingewiesen -: Der Zeitplan des Vertrages ist das eine. Das gilt für die Gesetzestechnik und alles andere, was dazugehört. Eine tatsächliche Wirtschaftsentwicklung läßt sich jedoch nicht durch Verträge, auch nicht durch juristische Spitzfindigkeiten diktieren, sondern allein durch eine konsequente Wirtschaftspolitik. Das ist das, was ich auf seiten der Regierungskoalition vermisse, was aber Voraussetzung ist, damit wir mit der Währungsunion beginnen können.
Ich danke.