Rede von
Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Beck, wir haben das beschleunigte Verfahren auf der Grundlage dessen, was schon lange in der Strafprozeßordnung verankert ist und was im Gesetz zur Verbrechensbekämpfung geändert worden ist. Wir haben neben den Erleichterungen, die dort vorgesehen sind und von denen die Justiz Gebrauch machen kann, gesagt: Dazu paßte auch die Hauptverhandlungshaft. Der Antrag entspricht vom Gesetzestext her genau dem, was damals im Verbrechensbekämpfungsgesetz enthalten war. Wenn wir diesen Antrag jetzt beraten und noch einmal die Experten dazu hören, dann kann man mit diesem Vorschlag in Ruhe umgehen. Wir sollten ihn auch gar nicht so in den Mittelpunkt stellen; sonst entsteht der Eindruck, das sei das einzige, was wir uns im Zusammenhang mit dem Strafrecht oder dem Verfahrensrecht überlegen. Wir überlegen ja sehr wohl - Herr Kleinert hat das gesagt -, nicht weiterzumachen auf dem Weg, den wir bisher beschritten haben, nämlich immer nur nach Wegen und Möglichkeiten zur Einschränkung der Inanspruchnahme von Verfahren zu suchen. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Beschwerdesummen und die Berufungssummen nicht immer noch etwas anheben und quasi in dem Bereich, der am weitesten abgegrast ist, noch ein l-Tüpfelchen draufsetzen. Im Zweifel führt das auch nicht zur Entlastung der Justiz, sondern geht eher zu Lasten gerade der Menschen, die mit geringeren Streitwerten vor das Gericht ziehen. Das wollen wir denen nicht zumuten. Deswegen kämpfen wir alle hier im Bundestag gemeinsam dafür, die Vorhaben, die uns von den Ländern vorgelegt werden, meist einstimmig, so nicht auch Gesetz werden zu lassen. Ich freue mich, daß wir hier in den Grundzügen im wesentlichen eine Meinung und eine Auffassung vertreten.
Ich möchte selbstverständlich auch ein Wort zum Bundesverfassungsgericht sagen, und zwar auch zur Kritik am Bundesverfassungsgericht. Dabei möchte ich einen Gesichtspunkt zu Beginn hervorheben: Wenn Kritik an Verfassungsorganen dazu führt, sich deutlich zu machen und bewußt zu werden, wo wel-
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
che Kompetenzen liegen, gerade in der Abgrenzung zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung, dann ist das ein positiver Beitrag.
Ich kann einen der Punkte, die Sie, Frau DäublerGmelin, genannt haben, voll unterstreichen. Auch ich bin der Meinung, daß der Gesetzgeber durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts so wenig wie möglich in seiner politischen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit eingeschränkt werden möchte, sei es im Steuerrecht, sei es in Fragen der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.
Ich glaube, wir sollten uns künftig mehr mit der Frage beschäftigen: Wohin führt eine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die die Grundrechte immer mehr als Anspruchsrechte des einzelnen auf ein ganz bestimmtes Handeln des Staates versteht? Das nämlich verschiebt die Gewichtung zwischen Gesetzgebung und den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. - Das ist die eine Ebene.
Die zweite Ebene bezieht sich auf den Umgang mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Wir alle sind uns darüber im klaren, daß eine sachliche Kritik und Auseinandersetzung sehr wohl möglich und erlaubt ist.
Für mich ist entscheidend, daß die Autorität und die Bedeutung von Verfassungsorganen, gerade auch des Bundesverfassungsgerichts, nicht in Frage gestellt werden dürfen.
Das ist ganz entscheidend; denn in einer Zeit, in der wir über Werteverlust und Wertemangel klagen, dürfen wir nicht die Institutionen, die auf Grund unserer Verfassung wirklich unverzichtbar sind, in Frage stellen.
Es ist wichtig, daß wir durch unsere hier stattfindenden Debatten versuchen, dazu beizutragen, in der Bevölkerung, bei den Bürgerinnen und Bürgern, Mißverständnisse bezüglich des Verständnisses und der Bedeutung von Entscheidungen auszuräumen.
Ich möchte jetzt nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Thema „Soldaten sind Mörder" zitieren. Dann aber würde deutlich, daß das Bundesverfassungsgericht in dieser schwierigen Situation mit der Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem Persönlichkeits- und dem Ehrenschutz auf der anderen Seite behutsam und moderat umgegangen ist.
Ich finde es gut, wenn wir uns hier über diese Fragen sachlich verständigen; denn im Zweifel stärkt genau das die Menschenwürde und die Meinungsfreiheit. Das wäre das, was wir wirklich brauchen. Dazu sollten wir unseren Beitrag leisten.
Vielen Dank.