Rede von
Dr.
Herta
Däubler-Gmelin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es überhaupt nicht vorwerfbar, daß wir uns heute in der rechtspolitischen Haushaltsdebatte auch mit dem Bundesverfassungsgericht befassen, und zwar einfach deshalb, weil wir in der Tat auch diesen Einzelplan lesen. Nur, meine Damen und Herren, wir sollten dann nicht nur die Urteile des Bundesverfassungsgerichts spitz anschauen und bewerten, so wie das jetzt gerade durch Frau Dr. Tiemann oder vorher durch Herrn Beck von einer ganz anderen Seite geschehen ist; vielmehr geht es dann natürlich auch um die Kritik am Bundesverfassungsgericht und um die Ausführungen, die weit mehr als Kritik sind, die völlig unannehmbar sind.
Es geht dann natürlich auch um die Frage, was der Bundestag dazu tun kann, damit in der Tat das Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung wieder in - lassen Sie mich das einmal so ausdrücken - normale Bahnen gerät. Da ist ja nicht nur in den letzten Monaten, sondern auch
Dr. Herta Däubler-Gmelin
schon in den letzten Jahren einiges aus dem Lot geraten. Ich glaube, daß es gut ist, das hier einmal festzuhalten.
Ich nehme jetzt einmal das Kruzifix-Urteil. Was wird denn darin entschieden? Darin wird entschieden - das ist der Kernsatz -, daß Eltern das Recht haben, über die religiöse Erziehung ihrer Kinder zu befinden, und nicht die Bayerische Staatsregierung. Daß das parteipolitisch und auch unter dem Aspekt, ob es sich eine Landesregierung leisten kann oder leisten darf, daß sie verliert, zu einem erheblichen Maß an zusätzlichen Anwürfen geführt hat, das habe ich sehr bedauert. Nur, ich habe noch mehr bedauert, daß auch die Einsichtigen unter Ihnen diesen Unterschied nicht herausgearbeitet haben.
Herr Kollege Eylmann, Sie haben gerade den Kopf geschüttelt. Ich darf Ihnen sagen: Weder Ihr Land noch meines, Baden-Württemberg, kannte oder kennt eine vergleichbare gesetzliche Regelung über die Kruzifixe wie Bayern. Sie werden mir zustimmen: Sie erziehen Ihre Kinder in Ihrer religiösen Auffassung. Ich nehme mir das Recht für die meinen. In Baden-Württemberg und in Niedersachsen gibt es weder weniger noch schlechtere Christen als in Bayern. Das ist das eine, was man hier festhalten muß.
Jetzt lassen Sie mich noch eines sagen - ich weiß nicht so ganz, wie Sie, Frau Dr. Tiemann, das gemeint haben -: Grundrechte sind immer individuelle Rechte. Menschen- und Grundrechte sind einklagbare, mit Rechtsschutz und Rechtsanspruch versehene Menschenrechte. Ihr Wesen ist es, daß man darüber nicht abstimmen kann und daß der Satz, daß Mehrheiten vor Minderheiten gehen, hier nicht stimmt.
Meine Bitte ist: Lassen Sie uns daran keinen Zweifel zulassen, übrigens auch dann - ich habe das gesagt, und ich glaube, ich sollte das hier wiederholen - wenn gerade bei einem solchen Urteil sicherlich ein bißchen mehr an Sensibilität in der Formulierung erwartet werden dürfte, als dieses vor der Korrektur sichtbar war.
Wenn ich das vergleiche mit dem, was an Reaktionen auch aus Ihren Reihen kam, dann kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie jemand hier Karlsruhe kritisieren kann, ohne zu sagen, daß der Aufruf demokratisch gewählter Politiker zum Widerstand, zur Nichtbefolgung eine Schande ist.
Es ist eine Schande, die unserem Rechtsstaat viel
mehr schadet als beispielsweise die von Ihnen und
uns gemeinsam verdammten Chaostage von Hannover. Das geht nicht. Ich hätte mich gefreut, wenn hierüber Klarheit geschaffen worden wäre.
Jetzt kommen wir zu dem Urteil zu dem Satz „Soldaten sind Mörder". Dieses Tucholsky-Zitat ist schon wegen seiner Pauschalität heute für jeden intelligenten Menschen, der es in den Mund nimmt, eine Dummheit. Wenn Sie mich gefragt hätten, wie ich es beurteilen würde, wenn Sie gesagt hätten: „Politiker oder Grüne sind Mörder", dann, verehrter Herr Kollege, hätte ich an Ihrer Geistesstärke zweifeln müssen. Das täte ich sehr ungern.
Pauschale Urteile sind immer von Übel. Nur, liebe Frau Dr. Tiemann, klarstellen muß man hier auch einmal - es hat mich in den vergangenen Tagen geärgert, daß das nicht erfolgt ist -, daß Karlsruhe sehr deutlich gesagt hat: Wer diesen Pauschalsatz in Richtung Bundeswehr oder deutsche Soldaten sagt, ist strafbar, und wer das nicht tut, der nicht; er ist vielleicht dumm, er ist vielleicht unbedacht, er ist vielleicht dieses oder jenes, aber strafbar ist er nicht.
Meine Damen und Herren, es ist doch so, daß die Pauschalität von irgendwelchen Sätzen unter diesem Gesichtspunkt, vor dem Hintergrund genau dieser Grenzlinie, beurteilt werden muß. Natürlich haben Sie recht: Unsere Soldaten und die Bundeswehr mit Mördern zu vergleichen wäre unmöglich. Das lassen wir auch nicht zu. Das läßt niemand zu.
Tun Sie doch bitte nicht so, als müßten Sie die Bundeswehr vor dem Bundesverfassungsgericht in Schutz nehmen! Ihre Aufgabe wäre es, das Bundesverfassungsgericht vor unglaublichen Anwürfen aus Ihren Reihen in Schutz zu nehmen.
Ihre Aufgabe wäre dann auch, nicht neue Pauschalierungen und neue Verallgemeinerungen zuzulassen. Wenden Sie das Tucholsky-Zitat einmal auf Herrn Mladic oder auf die Mörder von Srebrenica an, die doch auch Soldaten waren oder sind. Dann wissen Sie, daß die Pauschalität in dieser Frage außerordentlich dumm und überhaupt nicht anzuwenden ist.
Der dritte Punkt, meine Damen und Herren, ist die Sache mit dem Demonstrations- bzw. dem 240erUrteil. Da, Frau Dr. Tiemann, habe ich einfach die Bitte, daß Sie folgendes noch einmal überlegen: Wenn, wie das in den Ausgangsfällen der Fall war, Menschen mit freundlichem Gesicht, für kurze Zeit in jeder Weise ohne Aggressivität ein Hindernis bereiten, für kurze Zeit - ich darf das wiederholen - ein Hindernis bereiten, dann ist das keine Gewalt. Das ist ein Hindernisbereiten. Dafür gibt es Ordnungswidrigkeitenvorschriften, die im übrigen sehr nachdrücklich angewandt werden.
Doch ich kann Sie nur warnen, hier den Sachverhalt anders darzustellen, weil Karlsruhe sehr deutlich gemacht hat, daß hier natürlich irgendwann der Umschlag in Gewalt erfolgen kann. Ich kann Sie nur warnen, jetzt durch Gesetze ständig alles als Gewalt
Dr. Herta Däubler-Gmelin
beurteilen zu wollen. Es wird nämlich nichts glaubwürdiger in der Haltung, die unser Rechtsstaat gegenüber wirklicher Gewalt einnimmt, wenn man Fälle, die keine Gewalt sind, und zwar eindeutig nicht, trotzdem gewaltsam - weil es einem ideologisch paßt oder opportun erscheint - in eine Strafrechtsvorschrift packt. Das geht nicht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen anderen Punkt nennen. Ich bin der Meinung, daß das Verhältnis zwischen Legislative, Bundestag und Bundesverfassungsgericht wieder geklärt werden muß. Ich ärgere mich bisweilen über Urteile, weil ich der Meinung bin: Einige der Richterinnen und Richter dort halten sich für bessere Gesetzgeber. Im Fall des § 218 habe ich hinzugefügt, manchmal hätte man den Eindruck, sie halten sich nicht nur für die besseren Gesetzgeber, für die besseren Ärzte, für die besseren Beraterinnen, sondern möglicherweise auch noch für die besseren Schwangeren.
- Ja, Kritik überlasse ich nicht nur Ihnen, lieber Herr Geis. Kritik ist völlig in Ordnung, aber Hetze ist nicht in Ordnung.
Dieser feine Unterschied ist uns, glaube ich, wohl allen geläufig.
Der Punkt ist: Es gibt auch beim AWACS-Urteil eine ganze Reihe von Ausführungen, die ich dort lieber nicht gesehen hätte, obwohl ich weiß, daß es Karlsruhe mit uns gutmeint. Aber ich mag weder diese unglaublich große Detailfreude noch dieses eher paternalistische Gehabe, daß man uns so ein bißchen unter Kuratel nimmt. Das alles können wir selber, auch wenn ich mit vielem, was die Regierungsmehrheit hier macht, überhaupt nicht einverstanden bin.
Nur, vergessen wir doch bitte nicht, daß vieles von dem, was Karlsruhe entscheiden muß, vom Bundestag selber mit veranlaßt wurde, entweder dadurch, daß einige, die hier unterlegen sind - ich nehme hier niemanden aus -, nach Karlsruhe rennen, sogar einige, die Mitglieder der Regierung sind, sich aber nicht trauen, selbst eine sinnvolle Entscheidung zu treffen oder sie sich zuzumuten, oder auch deshalb - das ist einer der Punkte, die mich im Zusammenhang mit den Regelungen zum Asyslrecht wirklich plagen; ich will das hier einmal sagen -, weil man sich nicht zutraut, eine Reihe von Gesetzen, die erlassen worden sind, im Bundestag auf den Prüfstand zu stellen und zu überprüfen: Ist es eigentlich das, was wir wollten, oder ist es das nicht? Wenn man wartet, bis Karlsruhe einige Entscheidungen treffen muß, und Karlsruhe dann nach Grundrechtsschutz- und nach Grundgesetzbestimmungen entscheidet, dann ist hinterher leicht prügeln.
All dies, meine Damen und Herren, könnte der Bundestag selber machen. Sie wissen, ich engagiere mich in dieser Frage sehr. Ich tue es, und Gott sei Dank tun es auch einige aus Ihren Reihen.
Übrigens, Herr Beck, daß außerhalb der Grünen jeder fehlbar ist, das wissen wir mittlerweile. Nur - lassen Sie es mich noch einmal sagen - es muß einfach einmal hinzugefügt werden: Es gibt Fehler oder Fehleinschätzungen auch bei den Grünen,
und ich glaube, das sollte uns alle ein bißchen bescheidener machen.
- Also, das war einmal erforderlich. Sie glauben das nicht? Na gut, wenn Sie es nicht glauben, dann will ich mich nicht so lange damit aufhalten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Asylrecht zurückkommen. Es steht doch fest, daß die Regelung zu den Bürgerkriegsflüchtlingen einfach deshalb noch nicht umgesetzt wurde, weil der Bundesinnenminister und seine Innenministerkollegen mit den Kosten nicht klarkommen. Ein großer Teil der Asylbewerber kommt aus dem Bereich der Bürgerkriegsflüchtlinge und wird in ein Verfahren hineingeschickt, das überhaupt nicht für sie da ist. Die Zahlen werden dadurch in die Höhe getrieben, und jeder von uns weiß, daß die Verfahren mit Bürgerkriegsflüchtlingen mit einer Nichtanerkennung ausgehen müssen. Das muß doch nicht sein. Die Umsetzung dieses Teils des Asylkompromisses muß man anmahnen; das ist doch gar keine Frage.
Das zweite ist: Ich hätte es ganz gerne, daß auch der ansonsten von mir sehr geschätzte Herr Seiters, der hier vollmundig über diese Angelegenheiten redet, selbst einmal zu der Flughafenzone in Frankfurt ginge, um zu schauen, ob das, was dort in der Praxis gegenüber Menschen exekutiert wird, menschlich ist oder nicht. Ich sage Ihnen: Wenn er dort nicht nur mit dem Sozialdienst und mit den Menschen, die eingesperrt sind, sondern auch mit dem Bundesgrenzschutz und mit den Außenstellen von Zirndorf redet, wird seine Haltung ähnlich sein wie meine. Wenn Sie in eine Abschiebehaftanstalt gehen und feststellen, daß dort mittlerweile Tausende von Menschen sitzen, die keine Straftat, kein kriminelles Unrecht begangen haben, dann werden Sie mir zustimmen, daß es eigentlich des Deutschen Bundestages würdig wäre, sich selbst mit diesen Problemen zu befassen und die Regelungen über die Abschiebehaft und die Regelungen über die Abschiebegründe wirklich zu durchdenken. Ich freue mich sehr, daß zum Beispiel der ehemalige bayerische Innenminister Lang - genauso wie ein paar Kollegen von Ihnen - das auch so sieht. Ich möchte Sie nur auffordern, die Augen aufzumachen. Ich habe den Eindruck, es ist wichtig, daß wir das tun.
Noch einmal zurück zu Karlsruhe. Wenn wir die Kontrolle von Gesetzen - ich könnte x andere anfüh-
Dr. Herta Däubler-Gmelin
ren - nicht selbst vornehmen, dann nützen auch richtige Anmahnungen wie die von Herrn Beck - ich muß auch etwas Nettes zu Ihnen sagen -, die aus allen Teilen des Hauses kommen, überhaupt nichts. Wir müssen die beschlossene Gesetzgebung kontrollieren. Wenn die Bundesregierung dies nicht anregt, dann machen wir es halt selbst.
Das wird dazu führen, daß wir uns Entscheidungsräume und Handlungsräume gegenüber dem Bundesverfassungsgericht zurückerobern, die auf Grund unserer eigenen Veranlassung an Karlsruhe gingen. Es hat keinen Sinn, darauf zu schimpfen. Wir als Bundestag müssen unsere eigenen Vollmachten, unsere eigenen Rechte mehr in Anspruch nehmen.