Rede von
Volker
Beck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem sächsisch-badischen Streit will ich als Kölner nicht Stellung nehmen; deshalb zu einem anderen Thema:
Uns ist der jüngste Kreuzzug noch frisch in Erinnerung, als Christlich-Soziale und Christdemokraten wacker gegen das Kruzifix-Urteil ins Feld zogen. Uns wurde nachdrücklich vor Augen geführt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß viele von Ihnen bereit sind, für den vermeintlich rechten Glau-
Volker Beck
ben die Rechtsordnung mit Füßen zu treten. Nun liegen Sie schon wieder im Schützengraben vor Karlsruhe, aufgerüstet zur politischen Verteidigungsschlacht, wild entschlossen, die Soldaten mit Zähnen und Klauen vor den gefährlichen Pazifisten zu beschützen. Das läßt nichts Gutes ahnen.
Angesichts der Aufgeregtheit über Kruzifix- und Soldatenurteil verwundert es schon fast, daß niemand von Ihnen auf die Idee gekommen ist, das Bundesverfassungsgericht gleich aus dem Bundeshaushalt herauszustreichen. Schließlich könnten Sie damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Endlich könnte man Probleme allein nach politischen Mehrheiten entscheiden, wo Ihnen doch jetzt die Verfassung zunehmend lästiger wird. Außerdem käme noch ein bißchen Geld in Waigels schwarze Löcher. Ich weiß, so weit wollen Sie doch nicht gehen, und ich will Sie hier keinesfalls auf dumme Gedanken bringen.
Jetzt im Ernst: Wer gegen das Soldatenurteil ein neues Trommelfeuer der Kritik entfacht, muß sich die schlichten Fakten vorhalten lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Soldaten keineswegs für vogelfrei erklärt. Es geht nicht darum, ob ein Satz über Soldaten richtig oder falsch ist; es geht darum, ob ein solcher Satz bestraft werden kann.
Die Entscheidung stellt klar, daß das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht nur für die Auffassungen Geltung beanspruchen kann, die auch des Kanzlers Wohlgefallen finden. Die Botschaft lautet: Man darf in Deutschland nicht nur Pazifist sein, man darf dies auch zeigen und - auch drastisch - sagen.
Das Bundesverfassungsgericht gibt die Erlaubnis dazu, weil sonst die Meinungsfreiheit nicht viel wert wäre.
Meine Damen und Herren, der demokratische Gehalt eines Gemeinwesens bestimmt sich darin, welchen Schutz politische und gesellschaftliche Minderheiten genießen. Bürgerrechte und Gerechtigkeit werden hier aber zunehmend als Kostenfaktor angesehen, als Luxus, der in Zeiten leerer Kassen beliebig disponierbar ist. Ein Rechtsstaat, der seinen Namen verdient, ist aber nicht zum Nulltarif zu haben. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie haben ihren Preis.
Rechtsstaatliche Entscheidungen kosten auch Zeit. Die Koalition will das immer weniger wahrhaben. Sie steht damit aber leider nicht allein. Viele Justizminister der Länder üben einen immensen Druck auf den Bund und auch auf den Rechtsausschuß des Bundestages aus und rufen ständig nach mehr „Rechtspflegeentlastung". Die diskutierten „Therapiemaßnahmen" wie etwa weitere Einschränkungen des Beweisantragsrechts oder einschneidende Änderungen im Rechtsmittelrecht - sie alle taugen nichts.
„Verkürzungen" und fixere Urteile sind sicherlich technisch realisierbar, aber um welchen Preis? Verkürzte Prozesse sind gefährlich nah am kurzen Prozeß. Ich sage hier klar und deutlich: Bündnis 90/Die Grünen werden gegen weitere Einschnitte in das Strafprozeßrecht entschiedenen Widerstand leisten.
Lassen Sie uns lieber gemeinsam nach rechtsstaatlich sauberen Lösungen zur Justizentlastung suchen. Dazu zählen: Vereinfachungen im Zivil- und Verwaltungsrecht, die Stärkung außergerichtlicher Einigung und Alternativen zum Strafrecht. Aber hier zeigt sich die Regierung schlichtweg denkfaul.
Wie oft haben wir schon organisatorische Veränderungen im Justizwesen gefordert, die nicht zugleich Einschränkungen des Rechtsschutzes beinhalten! Hiermit meinen wir nicht etwa nur die Anschaffung von ein paar Computern, sondern eine grundlegende Reform der Arbeitsabläufe im Justizbereich.
Das Kienbaum-Gutachten hat auf vielfältige Mißstände hingewiesen. Und was geschieht nun damit? - Nichts! Nichts davon ist auch nur ansatzweise umgesetzt.
Meine Damen und Herren, wir Grüne haben die Bundesregierung x-mal aufgefordert, eine Bestandsaufnahme über die Auswirkungen der Gesetzgebungsverfahren der letzten Jahre vorzunehmen. Aber da stellen Sie sich taub. Wenn wir Sie etwa zu den Auswirkungen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes befragen, bekommen wir auf jede zweite Frage stereotyp zu hören: „Erkenntnisse hierüber liegen der Bundesregierung nicht vor". So ist das nämlich: Sie wissen gar nicht, ob Ihre bisherigen Maßnahmen irgend etwas bewirkt haben. Und jetzt schreien viele aus dem Regierungslager schon wieder nach neuen Einschnitten in das Rechtssystem. Das ist Rechtspolitik ins Blaue hinein. Das ist schlichtweg unverantwortlich.
Meine Damen und Herren, wir Bündnisgrünen sind durchaus für Justizentlastung, solange sie intelligent ist. Sobald es aber gilt, eine innovative Rechtspolitik zu erproben, verläßt auch die liberale Justizministerin gänzlich der Mut. Meine Partei hat konkrete - erste - Schritte vorgeschlagen, wie zum Beispiel Bagatellkriminalität sanktioniert werden kann, ohne gleich zur Strafrechtskeule zu greifen. Wir wollen, daß Wiedergutmachung Vorrang vor Strafe erhält. Wir wollen eine Entschärfung der Drogenproblematik durch einen humaneren Umgang mit Abhängigen. Zusammen mit einer Vielzahl von Fachleuten und Praktikern aus der Drogenhilfe fordern wir die Freigabe weicher und die kontrollierte Abgabe harter Drogen.
Aber die Bundesregierung blockt jeden sachlichen
Dialog über Drogen- und Kriminalpolitik ab. Sie kön-
Volker Beck
nen nur die Ängste der Bürgerinnen und Bürger schüren.
Meine Damen und Herren, mit Ihrer Verweigerungsstrategie betreiben Sie die Vergeudung von Ressourcen bei Polizei und Justiz. Und noch schlimmer: Sie nehmen aus ideologischen Gründen die massenhafte Verelendung von Drogenabhängigen bewußt in Kauf.
Das gesamte Sanktionenrecht bedarf dringend einer Überprüfung. In Deutschland wird wieder viel zu lang und zu oft verhaftet. Der Täter-Opfer-Ausgleich muß ausgebaut und auf eine sichere rechtliche Grundlage gestellt werden.
Doch gerade diesem einzigen innovativen Instrument der Rechtspolitik drehen Sie nun den Geldhahn zu. Die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, das Koordinationsbüro für den Täter-Opfer-Ausgleich weiterhin mit läppischen 300 000 DM zu finanzieren. - Ich muß Ihnen sagen: Im Täter-OpferAusgleich tragen die Länder die Hauptlast, sie finanzieren nämlich die Träger des Täter-Opfer-Ausgleichs. - Das ist fürwahr ein Armutszeugnis. Ich hoffe aber gleichwohl auf eine konzertierte Rettungsaktion der Länder. Wenn Sie, Herr Kolbe, vielleicht Herrn Stoiber anrufen, dann werde ich es einmal bei Herrn von Plottnitz versuchen. Vielleicht kommen wir dann beide zu einem guten Ergebnis für den Täter-Opfer-Ausgleich.