Herr Kuhlwein hat davon gesprochen, daß es einen Stillstand in der Umweltpolitik gebe. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß es eigentlich außerordentlich interessante Entwicklungen in der Umweltpolitik gibt, die wir ernst nehmen sollten und die sich zum Teil auch auf europäischer Ebene abspielen.
Wir haben in diesem Jahr den gemeinsamen Standpunkt zur Richtlinie zur integrierten Verminderung und Vermeidung von Umweltverschmutzungen in Brüssel verabschiedet. Das Interessante an dieser Richtlinie ist, daß zum erstenmal ein medienübergreifender Umweltschutz versucht wird und allgemeine europäisch harmonisierte Standards eingeführt werden.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland an vielen Stellen eine sehr sektorale Betrachtungsweise. Wir haben den Stand der Technik im Bereich der Luftreinhaltung, wir haben unter anderem die allgemein anerkannten Regeln der Technik im Bereich Wasser, wir haben für den Bodenschutz eigentlich nur Gefahrenabwehr und arbeiten jetzt an einem Bodenschutzgesetz. Was das Spannende in der Zukunft sein wird, ist, diese Dinge integriert und miteinander zusammenhängend zu betrachten und zu fragen: Was ist eigentlich das Wesentliche? Was sind die Prioritäten im Umweltschutz? Welche Ziele müssen wir in absehbarer Zeit erreichen?
Ich glaube, daß wir deshalb die Diskussion um die Ziele verstärkt führen müssen. Ich sage hier auch ganz eindeutig, daß ich in diesem Zusammenhang die Studie des Wuppertal-Instituts im Auftrag von BUND und Misereor begrüße, weil sie ein wichtiger Beitrag zu dieser Diskussion über Umweltziele ist,
wenngleich ich nicht alle diese Ziele teile.
Ich glaube, daß wir die Prioritätensetzung intensiv miteinander betreiben müssen und sagen müssen, was wir wollen und welche Auswirkungen welche umweltpolitische Tat hat. Denn es hat keinen Sinn, im Luftbereich etwas Gutes zu tun, aber anschließend Abfälle auf den Boden zu bringen, deren Beseitigung vielleicht erhebliche Kosten verursacht. Deshalb ist es ganz wichtig, daß wir die Frage stellen: Was ist für eine nachhaltige Entwicklung wirklich prioritär? Wir haben im CO2-Minderungsbereich ein solches Ziel festgelegt und haben die Erfahrung gemacht, daß dieses CO2-Minderungsziel eigentlich von allen gesellschaftlichen Gruppen akzeptiert wird
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
und daß alle diese Gruppen erhebliche Beiträge zur Erreichung dieses Ziels leisten.
Wenn wir uns auf solche Umweltziele verständigen, wird auch die Diskussion über die Instrumente, die wir anwenden wollen, von erheblicher Bedeutung sein. Das Ordnungsrecht wird seinen Stellenwert behalten, wird aber auch wesentlich durch andere Instrumente ergänzt werden müssen.
Es ist heute schon über marktwirtschaftliche Anreize gesprochen worden. Marktwirtschaftliche Anreize sind von Subventionen zu unterscheiden. Wenn wir ein Wärmedämmungsprogramm auflegen und die Kreditanstalt für Wiederaufbau die Mittel dort verdoppelt - dazu sind sehr wohl Ansätze im Bundeshaushalt enthalten, nämlich im Haushalt des Bundesbauministers -, ist das keine Subvention, sondern ein Anreiz für Investitionen in die richtige Richtung, also eine vernünftige Lenkung. Genauso konnten wir mit einer emissionsbezogenen Kfz-Steuer und ähnlichem hier vorankommen.
Wir werden natürlich auch weiter die Frage der CO2-/Energiebesteuerung diskutieren.
- Ja, Frau Hustedt, ich weiß: Wir sollen nicht nur diskutieren, wir sollen es auch machen.
Das Allerwichtigste und Allerbeste wäre, wir bekämen im Raum der Europäischen Wirtschaftsunion eine europäische Regelung. Die Diskussionen werden im ECOFIN-Rat geführt. Sie sind gerade an einer spannenden Stelle. Man muß die, die verhandeln - das ist unter anderem der Bundesfinanzminister -, unterstützen, damit wir möglichst viele Länder in das Boot bei der CO2-/Energiebesteuerung bekommen.
Wenn uns das nicht gelingt, werden wir national weiterdenken müssen. Das ist doch klar.
Wir vergeben uns aber erst einmal international etwas, wenn wir von vornherein sagen: Es interessiert uns nicht, was unsere Nachbarländer machen; in den Bereichen der Wirtschaft und der Umwelt macht jeder, was er will.
Das haut nicht hin und bringt uns in Schwierigkeiten.
Um unsere Umweltziele bewerten zu können, brauchen wir natürlich auch Maßstäbe. Frau Heyne, Sie haben die Ökobilanz über die Getränkeverpakkungen aus einer relativ einseitigen Sicht dargestellt. Ich meine, die Ergebnisse sind so klar und so konkret, wie man sich das eigentlich nur vorstellen kann. Dazu gehört auf der einen Seite: Schlauchverpakkung ist unter bestimmten Bedingungen gleichwertig mit der Mehrwegflasche. Warum soll ich das der Bevölkerung verschweigen, wenn es doch so ist, auch wenn wir uns irgendwann einmal in den Kopf gesetzt haben, daß eine Einwegverpackung - auch wenn sie verwertbar ist, wenn sie recycelbar ist - etwas Schlechtes und eine Mehrwegverpackung per se etwas Gutes ist? Ich sehe darin keinen Grund.
Die Studie hat auf der anderen Seite gezeigt, daß sich die Ökobilanz bei Büchsen, insbesondere bei Bierdosen, deutlich schlechter darstellt als bei Mehrwegflaschen.
Wenn Sie mir im Sommerloch zugehört hätten, als Sie alles so aufmerksam verfolgt haben, dann hätten Sie auch gewußt, daß ich gesagt habe, wir müßten etwas tun, um den Mehrweganteil zu erhöhen. Ich habe vorgeschlagen, einmal eine Zertifizierungslösung in Betracht zu ziehen. Eine Zertifizierungslösung - das tut mir leid - ist in Europa mit rechtlichen Schwierigkeiten verbunden. Diese prüfen wir zur Zeit sorgfältig, um keine Bauchlandung vor dem Europäischen Gerichtshof zu machen. Sie werden mir zugestehen, daß das richtig ist.
Viele rufen in dieser Frage nach Pfand, zum Beispiel auch meine Kollegen in den neuen Bundesländern. Ich kann an dieser Stelle nur warnen, Mehrwegsysteme durch Pfandlösungen zu unterstützen; denn wenn die Leute im Laden die Wahl zwischen Pfanddose und Pfandflasche haben, bleibt unklar, wofür sich die Leute entscheiden werden. Das wird das Problem gerade nicht lösen.
Die Diskussion hat noch nicht so überzeugende Regelungen aufgezeigt, daß wir sie durchführen könnten. Deshalb müssen wir den Mehrweganteil erhöhen, vor allen Dingen aber erhalten; das ist überhaupt keine Frage. Die Gefahrenmomente sind da. Wir diskutieren über eine Zertifikatslösung. Eine Pfandlösung lehne ich ab. Wer sonst noch tolle Ideen hat, ist herzlich willkommen.
Wir werden das in einem Bund-Länder-Arbeitskreis diskutieren, genauso wie wir die Verpackungsverordnung novellieren werden, um Trittbrettfahrern keine Chance zu geben und mehr Wettbewerb in das Duale System zu bringen, was dringend notwendig ist.
Fazit: Diese Ökobilanz ließ in der Tat lange auf sich warten.
- Ich weiß nicht, ob man mit Abgeordneten, die einem etwas zurufen, aber keine Fragen stellen, kommunizieren darf.
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Zertifikate sind alt. Sie werden immer wieder gerühmt. Diese Lösung ist noch nie verwirklicht worden. Es wäre ein spannendes Beispiel: Wenn es europarechtlich nicht geht, muß man in Europa die Gesetze eben ändern. Das kann dauern. Dann würde ich erst einmal wieder Abstand nehmen. Das muß ich so sagen.
Ökobilanzen sind eine Möglichkeit, zu Entscheidungen zu kommen. Sie müssen besser standardisiert werden, damit sie schneller aufgestellt werden können und nicht jedesmal eine so lange Debatte notwendig ist. Trotzdem glaube ich, daß darin ein erhebliches Potential liegt, um den gesellschaftlichen Streit über den richtigen umweltpolitischen Weg in bestimmten Fragen auf einer vernünftigen Grundlage zu führen.