Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Vorgang anfangen, der die notwendige globale Umweltpolitik genauso betrifft wie die Bemühungen dieses Hauses um die Einhaltung der Menschenrechte. Gestern erreichte uns die Meldung, daß in Nigeria die Todesurteile gegen den Träger des alternativen Nobelpreises Ken Saro-Wiwa und acht seiner Freunde vom Stamme der Ogoni bestätigt worden sind. Die Betroffenen haben seit Jahren öffentlich gegen die Ausbeutung und ökologische Zerstörung ihrer erdölreichen Heimatregion und damit gegen die Zerstörung ihrer Existenzgrundlage protestiert. Ihnen wird Anstiftung zum Mord vorgeworfen.
Ken Saro-Wiwa hat stets seine Unschuld beteuert und das nigerianische Militärregime für die Morde verantwortlich gemacht. Viele Menschenrechtsorganisationen und internationale Beobachter geben ihm Recht. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und dringend darum bitten, daß sich der Deutsche Bundestag noch in dieser Woche mit diesem Thema beschäftigt, um ein weiteres Verbrechen gegen Mitglieder des Volks der Ogoni in Nigeria zu verhindern.
Ich appelliere deshalb an alle Fraktionen und Gruppen dieses Hauses, sich zu einer solchen Initiative zusammenzufinden. Wir können nicht tatenlos zusehen, wenn in Nigeria weiter gemordet wird, wir können nicht mehr tatenlos zusehen, wenn in Nigeria im Zusammenspiel von multinationalen Ölkonzernen und einer korrupten Militärregierung einem ganzen Volk die Lebensmöglichkeiten genommen werden.
Ich erwarte auch von den Ölkonzernen, die dort tätig sind, daß sie ihren eigenen Einfluß geltend machen, um das Leben der Betroffenen zu retten, und daß sie künftig nicht mehr die Lebensgrundlagen der Menschen in der Dritten Welt zerstören, um skrupellos Gewinne zu machen.
Ich sage ganz deutlich: Es gibt genügend engagierte Menschen in der ersten Welt, die alle Möglichkeiten nutzen werden, lernunfähigen Konzernen das Handwerk zu legen.
Meine Damen und Herren, wenn ich mich in der heutigen Debatte um den Haushalt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf die Kommentierung des Zahlenwerks beschränken wollte, könnte ich die Rede aus der ersten Lesung wiederholen. Die Umweltpolitik leidet weiter an finanzieller Erosion. Die zuständige Ministerin darf das gelegentlich durch verbale Kunststücke kompensieren, und die Bundesregierung macht im alten Trott weiter, als wäre nichts gewesen. Als treue Vasallin ihres Bundeskanzlers hat die Umweltministerin die Taktik übernommen, Politik durch „Man müßte mal ..." zu ersetzen.
Die Eckwerte des Einzelplans 16 haben die Beratungen im Haushaltsausschuß fast unverändert überdauert. Die Mittel für Umweltforschung werden leicht gekürzt, die Pilotprojekte werden zum Stopfen von Löchern mißbraucht, die Atompolitik wird unbeirrbar fortgesetzt. Es ist auch dabei geblieben, daß der Umwelthaushalt zur Finanzierung des Kohlebergbaus nach dem Wegfall des Kohlepfennigs und zur Subventionierung einiger deutscher Großunternehmen durch die Planung einer Transrapid-Strecke von Hamburg nach Berlin herangezogen wird. Frau Ministerin Merkel hätte sich gegen solchen Unsinn eigentlich zur Wehr setzen müssen.
Ich will nicht verschweigen, daß wir gemeinsam einige Kleinigkeiten repariert haben: Für gesamtstaatlich repräsentative Naturschutzgroßprojekte haben wir aus anderen Titeln Mittel zusammengekratzt, um wenigstens die 40 Millionen DM von 1995 wieder zu erreichen.
Das wird allerdings trotzdem nicht genügen, um alle gut begründeten Anträge finanzieren zu können. Wir haben beim Bundesamt für Naturschutz die Personallage verbessert und beim Institut für Wasser, Boden- und Lufthygiene für die Beschäftigten ein höheres Maß an Absicherung ausgehandelt. Dies alles soll nicht geringgeschätzt werden. Aber als Beitrag der Koalition zur notwendigen Neuorientierung der Umweltpolitik erscheint mir das etwas dürftig.
Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen" hat in der vergangenen Woche sein Jahresgutachten 1995 übergeben. Frau Merkel und ihr Kollege Rüttgers waren sich daraufhin einig, daß Deutschland beim Umweltschutz weiterhin eine Vorreiterrolle spielen solle. Sie bemühten einmal mehr als Beleg die vollmundigen Ankündigungen des Bundeskanzlers vom Berliner Klimagipfel. Der Beirat hat indes festgestellt, daß eine Verminderung der Treibhausgasemissionen aller Industrieländer dringend erforderlich sei. Das ist nicht neu. Aber es ist notwendig, daß es immer wieder aufs neue gesagt wird. Es ist ebenfalls nicht neu, daß die Bundesregierung Vorschläge der Wis-
Eckart Kuhlwein
senschaft „sympathisch" findet, wie das Frau Merkel ausgedrückt hat, um sich ein ökologisches Alibi zu schaffen. Ebensowenig neu ist, daß die Bundesregierung nach solchen politischen Höhenflügen wieder zur Tagesordnung übergeht.
Was wir der Bundesregierung auch auf Grund unserer Erfahrungen mit dem Berliner Klimagipfel immer vorgeworfen haben, hat der Beirat bestätigt:
Deutschland selbst hat bei der globalen Umweltpolitikformulierung bisher nur in wenigen Teilbereichen eine herausragende Rolle gespielt; faktisch wurde auch manche Chance der Einflußnahme vertan.
Helmut Kohls vielfach glorifizierter Auftritt auf dem Klimagipfel ist damit auf Normalmaß reduziert worden.
Er hat international wenig bewegt und national nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen. Noch immer gibt es keine Wärmenutzungsverordnung. Noch immer gibt es keine ausreichenden Mittel für die Förderung von Fernwärme und Energieeinsparung, noch immer gibt es keine Grundentscheidung für erneuerbare Energien, noch immer gibt es kein Hunderttausend-Dächer-Programm für die Förderung von Solarstrom, noch immer gibt es kein ökologisch verträgliches System der Kraftfahrzeugbesteuerung, noch immer gibt es kein Tempolimit auf Autobahnen,
und noch immer gibt es keine Flugbenzinsteuer. Die Liste Ihrer Versäumnisse, meine Damen und Herren auf der rechten Seite dieses Hauses, ließe sich beliebig verlängern.
Nun lassen Sie uns einmal über die wirklich notwendige Modernisierung reden. Meine Partei ist die einzige Partei, die bisher ein schlüssiges Konzept zur notwendigen ökologischen Modernisierung der Industriegesellschaft vorgelegt hat.
Wir wollen ökologische Erneuerung und wirtschaftliche Entwicklung miteinander verbinden. Wir wollen damit den Wirtschafts- und Lebensstandort Deutschland sichern und verbessern. Dafür muß die Politik ökologisch verantwortbare Rahmenbedingungen setzen. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören wirksame Anreize für eine Wirtschaft, die Ressourcen schont und wenig Abfälle produziert, für eine immer effizientere Energienutzung, für einen Durchbruch zur Solarwirtschaft, für eine hohe Material- und Stoffproduktivität, Anreize zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Ökosysteme und zu einer umweltgerechten und energiesparenden Umgestaltung des Verkehrssystems.
Ein für diese Modernisierung notwendiges Instrument ist eine ökologische Steuerreform.
Dabei ist unser Leitmotiv: Entlastung der Bürger bei Steuern und Abgaben auf der einen und schrittweise Anhebung der Preise für den umweltschädlichen Energieverbrauch über höhere Energiesteuern auf der anderen Seite. Wer sich umweltverträglich verhält, soll materielle Vorteile erhalten. Wer mit Energie und Rohstoffen verschwenderisch umgeht, muß mehr Abgaben zahlen. Das ist marktwirtschaftlich logisch, könnte den Produktionsfaktor Arbeit entlasten
und dazu beitragen, daß durch gesenkte Lohnnebenkosten der Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb sicherer wird.
Wir haben Ihnen außerdem bereits Ende vergangenen Jahres ein Klimaschutzprogramm vorgelegt, mit dem wir den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2005 um wenigstens ein Viertel verringern könnten. Dieses Programm enthält die wichtigsten Energie-, Umwelt- und Verkehrsmaßnahmen, mit denen gezielte Anstoßwirkungen für Innovationen im Umweltbereich und die Markteinführung von umweltgerechten Technologien erreicht werden könnten.
Sie haben unsere Vorschläge bis heute abgelehnt, ohne ihnen ein überzeugendes eigenes Konzept entgegensetzen zu können. Sie wollen nicht erkennen, was notwendig ist. Oder das, was notwendig ist, ist in der Koalition nicht mehrheitsfähig. Das kann man an vielen mißglückten Versuchen der F.D.P., CDU und CSU, sich zu einigen, ablesen, zum Beispiel bei der CO2-Steuer. Sie sind als Koalition in diesen Fragen nicht mehr handlungsfähig.
Es nützt auch nichts, einen „Zukunftsminister" zu installieren, wenn dessen Hauptaufgabe darin besteht, vergangenes Denken zu verwalten.
Sie haben in diesem Haushalt die Mittel für die Umweltschutzpilotprojekte weiter gekürzt. Dies unterstreicht unsere These von der mangelnden Zukunftsfähigkeit Ihrer Politik. Ich will die Anträge, die nicht mehr finanziert werden können, benennen. Dahinter stecken Verfahrens- und Produktinnovationen, die unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten könnten: zum Beispiel innerbetriebliche Abwasserbehandlung nach dem Membrantrennverfahren, zum Beispiel Recycling von Problemschrott, zum Beispiel Stickoxydminderung in einer Glashütte, zum Beispiel Herstellung von Platten aus industriellen Reststoffen und nachwachsenden Rohstoffen, zum Beispiel Energieeinsparung und geringerer Materialeinsatz beim Brennen von Mauerziegeln.
Eckart Kuhlwein
Der integrierten Umweltpolitik gehört die Zukunft, meine Damen und Herren. In diesem Bereich könnten wir Vorreiter werden, wenn die Kreativität der Menschen, die hinter diesen Konzepten steht, durch eine finanzierbare Umsetzung unterstützt würde. Aber diese Kürzungen in diesem Etat sind beispielhaft dafür, daß in diesem Bereich von Ihnen ein Stück Zukunft verspielt wird.
Ich will in der Kürze der Zeit nicht noch ausführlich auf die Kapitel zur Reaktorsicherheit eingehen. Gerichtsentscheidungen zu Morsleben und Gorleben mögen die Position der Bundesregierung juristisch stärken; politisch sind sie deshalb noch lange nicht auf der richtigen Seite.
Wir haben mit Interesse gelesen, daß die Neigung der Stromwirtschaft nachläßt, Gorleben als Endlager für radioaktive Abfälle auszubauen. Die Bundesregierung sollte sich trotz der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hüten, weitere Milliarden in dieses Loch zu schaufeln. Sie wird spätestens vor Inbetriebnahme des Endlagers eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen müssen. Die Eignung des Salzstocks bleibt bis heute umstritten. Wer nicht rechtzeitig Alternativen untersucht, vergrößert die ohnehin schon unerträglichen Lasten für künftige Generationen.
Zum Schluß möchte ich die Bundesregierung auffordern, sich mit ihren Ministerien und den nachgeordneten Behörden am Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung nach der EG-Öko-Audit-Verordnung und nach dem deutschen Umweltauditgesetz zu beteiligen.
Auch wenn die EG-Verordnung vor allem die Unternehmen der produzierenden Industrie, des verarbeitenden Gewerbes und die Unternehmen der Energieerzeugung und Abfallwirtschaft zur freiwilligen Teilnahme auffordert, ist die Einbeziehung des Dienstleistungsbereichs durchaus möglich und erwünscht.
Wir wollen mit diesem Antrag, der dem Bundestag gesondert vorliegt, erreichen, daß der Bund Vorbild bei der Einhaltung der Umweltvorschriften und bei der kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes wird. Die Bundesregierung sollte wenigstens im eigenen Bereich die Vorgaben erfüllen, die sie anderen gesetzt hat.
Meine Damen und Herren, mir bleibt noch der Dank des Hauptberichterstatters an alle an der Beratung des Einzelplans 16 Beteiligten und dabei insbesondere an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums und seiner nachgeordneten Behörden. Ich verspreche Ihnen allen: Wenn die Koalition uns im nächsten Jahr für die Beratung des Bundeshaushalts ausreichend Zeit läßt und der Kanzler das Parlament nicht wieder dazu zwingt, den Terminplan um drei Wochen zu kürzen, weil er eine China-Reise plant, werden wir noch tiefer schürfen und genügend Zeit haben, an allen Einzelplanberatungen und Bereinigungssitzungen teilzunehmen. Denn dann können wir damit rechnen, daß wir rechtzeitig vernünftige Papiere für kurzfristige Entscheidungen auf den Tisch bekommen und nicht so verfahren müssen, wie das in der vorletzten Woche im Haushaltsausschuß notwendig wurde, weil Sie über Nacht 20 Milliarden DM mit einem einzigen Wisch umschichten wollten und von uns verlangt haben, uns damit ernsthaft zu beschäftigen.
Der Einzelplan 16 ist alles in allem ein Zeugnis umweltpolitischen Stillstands. Niemand wird sich wundern, wenn ich für meine Fraktion erkläre: Wir lehnen ihn ab.