Verehrte Frau Kollegin, Mißbrauch ist Mißbrauch, egal wer ihn betreibt.
Deshalb muß er überall bekämpft werden; deshalb unterstütze ich Sie auch sehr, wenn Sie bei Ihren Landesfinanzministern - da liegt ja eine Hauptverantwortung, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen -
einmal anfragen, wie oft dort die Betriebe überprüft werden. Also: jeder auf seinem Feld.
Das war schon wieder eine große Übereinstimmung.
Jetzt aber noch einmal zu den Zahlen, auch für die Mitbürgerinnen und Mitbürger. 150 Milliarden DM werden in diesem Bundeshaushalt für soziale Zwecke ausgegeben - das sind 34 Prozent des Gesamthaushalts -, davon allein 125 Milliarden DM im Einzelplan 11. Da sollte man einmal die Proportionen beachten. Das sage ich auch an Sie, Frau Kollegin Fischer. Es ist ein Brocken sozialer Verpflichtung, den ich verteidige. 81 Milliarden DM werden für die Sozialversicherung ausgegeben. Das sollte man nennen, wenn wir hier schon Zahlen anführen.
30 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt werden für den Arbeitsmarkt ausgegeben. Ich habe heute morgen gehört, daß so getan wurde, als täten wir für den Arbeitsmarkt nichts. Allein 45 Milliarden bekommt die Bundesanstalt für Arbeit; für die Kriegsopfer stehen 12 Milliarden DM zur Verfügung.
Ich stelle fest: Der Sozialstaat läßt die Hilfsbedürftigen nicht im Stich. Das will ich doch einmal festhalten.
Ich sage ja ausdrücklich, daß es Probleme gibt. Ich stelle die Welt nicht so dar - soll ich das noch einmal wiederholen? -, als sei sie ohne Probleme. Ich denke nur, unser Sozialstaat verdient eine ausgewogenere Darstellung.
Ich komme zu dem, was ich heute morgen als Generalphilosophie gehört habe - das hat gestern schon Herr Scharping gesagt -: Die Lohnzusatzkosten sind zu hoch, und die Sozialleistungen sind zu niedrig. Das ist ungefähr so wie die Aussage: Es wird zuviel Futter gegeben, aber sie verhungern. Mit weniger Geld mehr auszugeben, das ist das Betriebsgeheimnis der sozialdemokratischen Mathematik. Weniger Beiträge und mehr Ausgaben!
Herr Scharping hat gestern bedauert, daß die Soziallastquote in Westdeutschland - sonst nir-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
gendwo in ganz Europa - gesunken sei. Das hat er gestern hier bedauert, und Sie haben geklatscht.
Anschließend hat er gesagt, die Sozialleistungen seien zu niedrig. Man kann doch nicht beides beklagen: erstens zu hohe Beiträge und zweitens das Sinken der Soziallastquote. Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen. Sie müssen sich entscheiden, auf welcher Hochzeit Sie tanzen.
Ich beklage mit Ihnen, Herr Schreiner, die hohe Beitragslast. Wir müssen unsere Anstrengungen wirklich verstärken, diese Beitragslast zu senken. Aber wir wollen auch hier die Proportionen richtig setzen.
Die Beitragserhöhung in der Rentenversicherung - so schmerzlich und so bedauerlich sie ist - führt zu einem Rentenbeitrag, der dem Rentenbeitrag von vor zwölf Monaten entspricht.
Liebe Frau Fischer, die Rentenkasse ist keine Sparkasse. Hätten wir die 8 Milliarden DM behalten sollen? Wenn wir diesen Betrag nicht an die Beitragszahler zurückgegeben hätten, hätten das auch die Rentner gemerkt; denn wir haben eine Nettolohnrente. Insofern müssen wir die Beiträge senken, damit die Rentenanpassung höher ausfällt.
In der Pflegeversicherung haben wir auch kompensiert. Um 4 Milliarden DM - das dürfen Sie nicht einfach streichen - wird dadurch die Krankenversicherung entlastet.
Sie haben recht, Herr Schreiner: Wir haben 35 Milliarden DM an einigungsbedingten Ausgaben. Das sind 28 Prozent - ich mache nicht gern dieses Zahlenspiel; aber es wird ja gewünscht - für die deutsche Einheit.
Meine Damen und Herren, trotzdem, denke ich, sollten wir nicht so diskutieren, als wäre der Transfer eine anonyme Tauschaktion. Das ist die beste Sache dieses Jahrhunderts, die wir mit unserem Geld finanzieren. Wir haben schon hundsmiserable Sachen finanziert. Das ist die beste Ausgabe.
Ich denke einmal an den Rentner im Osten - Sie können so viele Statistiken vorweisen, wie Sie wollen -: Vor ein paar Wochen hielt in Linz am Rhein vor den Rheinterrassen ein Bus, aus dem 60 von der Arbeiterwohlfahrt ausstiegen - das ist kein CDU- naher Verein, auch kein Freundeskreis. Sie erzählten mir mit Stolz, daß sie eine Rheinfahrt gemacht haben. Sie erzählten mir mit Stolz, an welchen Orten in Europa sie schon waren. Und ich habe es Ihnen gegönnt. Es waren keine reichen Leute: verhärmte
Gesichter, abgearbeitete Hände. Sie haben sich zum erstenmal große Reisen leisten können. Ich gönne es ihnen! Sie hatten besseres Geld in der Hand, als sie jemals in der DDR in der Hand hatten.