Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre in der Tat ein Treppenwitz, wenn wir von denen, die Industrieschrott hinterlassen haben, Vorschläge für den zweiten Arbeitsmarkt, den sie ja über 40 Jahre praktiziert haben, übernehmen würden, um diese dann in die Tat umzusetzen,
Vorschläge von den Leuten, liebe Kolleginnen und Kollegen, die zu der Zeit, als die DDR die Menschen unterdrückt hat, im Westen in der DKP am Tropf von Honecker gehangen haben. Es kann ja wohl nicht Ihr Ernst gewesen sein, daß wir solche Vorschläge annehmen.
Ich möchte mich mit dem auseinandersetzen, was Diskussionslage auf der SPD-Seite ist, nämlich mit den Fragen, wie es um den Arbeitsmarkt im kommenden Jahr voraussichtlich bestellt ist und welche Maßnahmen wir dazu ergreifen. Ich kann es mir dabei nicht verkneifen, zu wiederholen, daß sich in der entscheidenden Diskussion im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages, als die Debatte mit dem Bundesarbeitsminister stattfinden sollte und auch stattgefunden hat, die SPD mit den Grünen und der PDS abgemeldet hat. Die Opposition war geschlossen abwesend, als die Fragen des Arbeitsmarktes diskutiert worden sind.
Deswegen ist es richtig, zu unterstreichen, daß die positiven Entscheidungen, die in dieser Sitzung getroffen wurden, von Ihnen nicht mitgetragen worden sind. Dazu gehört, daß wir die Arbeitslosenunterstützung erhöht haben. Dazu gehört, daß wir durch die Erhöhung des Bundeszuschusses für die Bundesanstalt für Arbeit ermöglicht haben, die aktive Arbeitsmarktpolitik auszubauen. Dazu gehört, daß wir die Zuschüsse des Bundes für die Rentenversicherung erhöht haben. Ich glaube, diese drei wesentlichen Ansätze machen deutlich: Das, was im Haushaltsausschuß ohne die SPD beschlossen worden ist, geschah in voller Verantwortung für die sich zur Zeit abzeichnende Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.
Meine Damen und Herren, es paßt gut, daß man, wenn hier und dort von Untätigkeit gesprochen wird, hört, was die eigenen Genossen zu dieser Frage sagen. Da nachher sicher der Kollege Schreiner sprechen wird, möchte ich ihm jetzt ein Zitat des ehemaligen Kollegen Niggemeier aus der „Welt am Sonntag" vom 15. Oktober entgegenhalten, den man jetzt natürlich nicht mehr kennen möchte. Aber ich sage Ihnen: Auch Friedhelm Farthmann - er ist jetzt wieder Kollege - vertritt die gleiche Auffassung. In der Überschrift heißt es: „Die SPD-Führung ignoriert die Sorgen der Arbeiter." Es heißt weiter:
Was ... in ... „Arbeiterquartieren" im Klartext gesprochen wird, das wird in SPD-Führungskreisen ignoriert . . .
Er gibt eine ganze Reihe von Beispielen, mit denen das belegt und unterstrichen wird. Ich brauche das hier im einzelnen nicht aufzuführen. Das Zitat spricht meines Erachtens für sich selbst.
Wir haben in den Beratungen des Haushaltsausschusses den Haushalt des Bundesarbeitsministers gegenüber dem Regierungsentwurf um 5,5 Milliarden DM erhöht. Das heißt, wir stellen mehr Geld für eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Verfügung, wobei aus unserer Sicht bei jeder Gelegenheit unterstrichen werden muß, daß das Thema Arbeitsmarkt in erster Linie eine Aufgabe nicht des Arbeitsministers, sondern der Tarifparteien ist, daß wir hier bloß korrigieren, ergänzen und zusätzlich helfen können. Subsidiarität ist in dieser Frage angebracht.
Wenn der Haushalt in manchen Bereichen tatsächlich nicht so stark gewachsen ist, hängt das damit zusammen, daß Altersübergangsgeld und Vorruhestandsgeld in den neuen Bundesländern auslaufen und daß keine neuen Fälle mehr hinzukommen.
Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß in der Bundesanstalt für Arbeit beim Selbstverbrauch gespart wird. Das Konzept „Arbeitsamt 2000" muß natürlich Folgen haben, auch für die Zahl der Mitarbeiter. Wenn wir so wirtschaften, wie wir das erwarten, gehe ich davon aus, daß dort bis zum Jahr 1998 von den 54 500 Plätzen im Westen etwa 5 200 ein-
Dietrich Austermann
gespart werden können und auch eingespart werden müssen.
Wir lassen uns auch in der Frage einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und der Sorge der Menschen um Arbeitsplätze von niemandem übertreffen. Das, was hier vorgesehen ist, zeigt ein hohes Maß an Verantwortung für die Menschen, die Arbeit haben möchten, aber auch für die Menschen, die Arbeit haben.
Berufliche Fortbildung im nächsten Jahr: 17,9 Milliarden DM; Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: 9,6 Milliarden DM. Entscheidend ist, glaube ich, die Tatsache, daß auch die Zahl der Beschäftigten in die Betrachtung einbezogen wird. Ich werde nicht bestreiten - es wäre auch falsch, es zu bestreiten -, daß infolge der Rezession von 1993 die Zahl der Beschäftigten zurückgegangen ist. Aber Tatsache ist auch, daß zur Zeit im Westen, in den alten Bundesländern, die Zahl der Beschäftigten um 2,2 Millionen über der des Jahres 1983 liegt. Das bedeutet 2,2 Millionen mehr Menschen in Arbeit, die Arbeitslosenversicherung zahlen, die Steuern zahlen, als 1983. Im Osten, in den neuen Bundesländern, sind es zum heutigen Zeitpunkt 250 000 Menschen mehr als vor drei Jahren.
Sie können dann einzeln hingehen und immer wieder den Eindruck erwecken, es wende sich alles zum Schlechten. Ich glaube, wir haben den Wendepunkt, auch was die Beschäftigung angeht, in positiver Hinsicht durch diese zusätzlichen Maßnahmen erreicht.
Ich will sie stichwortartig umschreiben.
Erstens. Neues Langzeitarbeitslosenprogramm 1996: 750 Millionen DM. Das ist doppelt soviel wie in diesem Jahr. Dadurch werden 180 000 Einstellungen von Langzeitarbeitslosen möglich.
Zweitens. Förderung der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit durch Arbeitslose mit Überbrückungsgeld. Dafür werden 700 Millionen DM bereitgestellt.
Drittens. Neue Wege zur Erprobung neuer Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik. Hier sollen die einzelnen Arbeitsämter, auch kleinere Arbeitsämter, ihre Kreativität beweisen können. Dafür stellen wir 30 Millionen DM bereit.
Ich möchte hier anregen, Herr Minister, daß im Zusammenhang mit der Diskussion um die Wirksamkeit von Arbeitsmarktprogrammen einmal überlegt wird, ob es nicht doch richtig sein kann, auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen - so sie denn mindestens ein halbes Jahr existieren - Zuschüsse aus Arbeitsmarktprogrammen vorzusehen. Könnte nicht in der Diskussion, die Sie mit dem Wirtschaftsminister und mit anderen bis zum Januar oder Februar 1996 führen, doch überlegt werden, ob man nicht Arbeitslosengeld, vielleicht auch Arbeitslosenhilfe, als Lohnzuschuß zuwenden kann?
Ich habe das Thema der Befristung deshalb angesprochen, weil wir wissen, daß inzwischen aus der Arbeitslosigkeit heraus etwa 40 bis 45 Prozent in neue Arbeitsverhältnisse übernommen werden, die befristet sind. Dann ist es, glaube ich, richtig, wenn wir stärker unterstützend tätig werden.
Viertens. Ein weiterer Weg ist das seit einiger Zeit eingeschlagene START-Programm. Hier haben inzwischen eine ganze Reihe von Mitbürgern auf dem Weg der Arbeitnehmerüberlassung zusätzlich Arbeit gefunden. Interessanterweise erfolgt dies seit einiger Zeit auch mit Zustimmung des DGB, wenn auch nicht mit Zustimmung der SPD.
Fünftens. Produktive Arbeitsförderung: Hier stehen im kommenden Jahr 3 Milliarden DM bereit. Ob und wieweit Dritte, insbesondere die Bundesländer, ihre Verantwortung wahrnehmen, steht noch offen. Wir müssen an die Bundesländer den Appell richten: Nehmen auch Sie Ihre Verantwortung in diesem Bereich wahr!
Es reicht nicht aus, daß die Länder das Geld der Bundesanstalt für Arbeit über angeblich eigene Programme ausgeben, es gewissermaßen rot anstreichen und dann sagen: Schaut einmal, was wir Tolles zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten. Dabei wird dann das Geld aus dem Landeshaushalt geschont.
Ich will auch kurz auf die zwei gesetzgeberischen Maßnahmen hinweisen: Schlechtwettergeld und Neuerung bei der Arbeitslosenhilfe. Jeder, dem es am Herzen liegt, daß wir Änderungen und zusätzliche Motivation erreichen, kann sich doch nicht ernsthaft gegen die vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen wenden, zumal nach unserer Entscheidung dafür Sorge getragen ist, daß die Kommunen und die Länder dabei finanziell nicht schlechter fahren. Wir wollen, daß die Menschen, die Arbeit haben wollen, aber außen vor sind, stärker, soweit es erforderlich ist, motiviert werden. Keineswegs planen wir, die Arbeitslosenhilfe künftig Jahr für Jahr um 5 Prozent zu senken, wie das immer wieder behauptet wird.
Die SPD hat in ihrem Resolutionsantrag, der erst morgen vorgelegt werden soll und zur zweiten Lesung nicht zur Debatte steht - das ist auch richtig, denn es steht kein einziger konkreter Ausgabenbetrag oder Ansatz darin -, versucht, einen Spagat zu machen.
Wenn man den Antrag genau liest, dann stellt man fest, daß dort wieder Wünsche nach neuen Anspruchsgrundlagen geäußert werden, daß neue Programme gefordert werden, daß die Menschen in einzelnen Bereichen noch mehr Zuschüsse erhalten. Im Antrag für den SPD-Bundesparteitag liest sich das etwas anders. Da heißt es nämlich: Wir wollen dafür sorgen, daß nicht mehr alles finanziert wird, was finanzierbar war. - Wie paßt das zu den ständigen Behauptungen vom Sozialabbau, die hier immer wiederholt werden? Man muß einfach feststellen, Sie sagen in Ihrem Antrag zum Parteitag, den keiner liest:
„Es ist nicht mehr alles finanzierbar, die Ansprüche
an den Staat müssen zurückgenommen werden." Im
Dietrich Austermann
Entschließungsantrag hier heißt es dann: Die Anspruchsgrundlagen müssen ausgeweitet werden.
Dieser Spagat zerreißt Ihre Partei und erklärt, weshalb in letzter Zeit die Mitglieder in größerem Maße die SPD fluchtartig verlassen.
Meine Damen und Herren, wir geben im kommenden Jahr 46 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik aus. Für 1,5 Millionen Bürger werden in stabilem Finanzrahmen viele Wege für neue Arbeitsplätze geschaffen. Das heißt, es gibt neue Hoffnung auf Beendigung von Arbeitslosigkeit. Das spricht gegen den Vorwurf der Untätigkeit. Deswegen wird es niemanden wundern, daß wir dem Entwurf des Haushalts des Arbeitsministers in der durch den Haushaltsausschuß geänderten Form zustimmmen. Ich sage Ihnen das auch deshalb, weil damit bestätigt wird, was eine jüngste Umfrage zeigt: Bundesarbeitsminister Blüm gehört zu den Ministern mit der höchsten Zustimmung in der Bevölkerung. Die Arbeit, die wir miteinander leisten, hat dazu sicher entscheidend beigetragen.
Herzlichen Dank.