Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß schon sagen, Frau Albowitz, daß es mir ganz schön unter die Haut geht, wenn ich hier hören muß, mit welcher Kälte Sie über Millionen Menschen in dieser Gesellschaft reden, die durch Ihre Sozialpolitik außerhalb dieser Gesellschaft zu geraten drohen.
Wenn die Meinungsforschungsinstitute nach den größten und wichtigsten Problemen fragen, stehen seit Jahren zwei Themen obenan: Arbeitslosigkeit und Sicherheit des Arbeitsplatzes. Im völligen Gegensatz zu den Sorgen der Menschen wird der Einzelplan 11 und hier insbesondere das Kapitel Arbeitsförderung zum Sparschwein der Nation. Trotz der Last-Minute-Korrekturen sinken die Ausgaben des Sozialhaushaltes erstmals absolut, und mit knapp 6,5 Milliarden DM erwirtschaftet der Kollege Blüm ausgerechnet im Bereich der Arbeitsförderung den Rückgang der Gesamtausgaben. Wer soll sich da noch über die zunehmende Politikverdrossenheit und über die sinkende Wahlbeteiligung wundern? Deutlicher als durch diesen Haushalt läßt sich doch nicht demonstrieren, wie weit die Politik inzwischen vom Alltag und von den Lebensinteressen der Menschen in diesem Land entfernt ist.
Wer seine parlamentarische Tätigkeit ernst nimmt und sie seinen Wählerinnen und Wählern erklären will, muß Einzelplan 11 eigentlich ablehnen. Wie wollen Sie den Menschen das Nachlassen der Arbeitsmarktpolitik erklären, wo doch die Arbeitslosigkeit gar nicht nachläßt, was uns erst neulich wieder durch die aktuellen Zahlen bewiesen wurde? Wer dem Einzelplan 11 zustimmt, kann sich im übrigen am Freitag bei der ersten Lesung des Arbeitslosenhilfereformgesetzes verabschieden und braucht
Dr. Heidi Knake-Werner
sich auch nicht mehr damit zu beschäftigen, ob die originäre Arbeitslosenhilfe wirklich abzuschaffen ist und die Asylbewerber und Flüchtlinge auf Jahre unter das Existenzminimum gedrückt werden sollen.
Der Einzelplan 11 setzt gesetzliche Grundlagen voraus, die im Bundestag überhaupt noch nicht beschlossen sind. Wer sich von der Bundesregierung nicht entmündigen lassen will, muß alleine schon deswegen diesem parlamentarischen Erpressungsmanöver seine Zustimmung versagen.
Die PDS akzeptiert dieses Vorgehen nicht und fordert deshalb, den Ansatz für die Arbeitslosenhilfe um 3,4 Milliarden DM heraufzusetzen, die ganze Summe also, unabhängig davon, daß Sie inzwischen erkannt haben, daß Ihre ursprünglichen Streichungsabsichten nicht durchzuhalten sind - nicht deshalb, weil unsere Anträge so eindrucksvoll sind, sondern weil Sie sehen müssen, daß Ihre Annahmen sich schon jetzt als erdrückend falsch erwiesen haben.
Wir werden morgen noch Gelegenheit haben, zur Arbeitslosenhilfe inhaltlich zu reden. Fest steht nur, daß Sie wieder einmal den Arbeitslosen als den Schwächsten in unserer Gesellschaft schamlos das Geld aus der Tasche ziehen.
Bevor Sie sich hier noch künstlich darüber aufregen: Ich weiß natürlich, daß ein Teil des bei Arbeitslosenhilfekosten eingesparten Betrages dadurch zustande kommen soll, daß die Arbeitslosenhilfebezieher verstärkt in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vermittelt werden sollen. Doch die Sache hat einen entscheidenden Haken: Die Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erhöht sich nicht. Wo also bleiben Ihre Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosenhilfe? Ich kann es Ihnen sagen: In einem perfiden Nullsummenspiel verdrängen Sie so Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld aus den Arbeitsförderungsmaßnahmen, und zwar ausschließlich, um die Ausgaben des Bundeshaushaltes zu senken und sie der Bundesanstalt aufzubürden.
Sie spielen die Arbeitslosen gegeneinander aus. Spalten ist weiterhin angesagt, bisher schon erfolgreich praktiziert durch Ihre unappetitliche Mißbrauchskampagne.
Aber es kommt noch schlimmer; denn die Ausgaben der Bundesanstalt für das Arbeitslosengeld werden sich durch diese Politik zwangsläufig etwa um 1 Milliarde DM erhöhen. Ob dann alles das aufgeht, was Sie sich vorgestellt haben, ist höchst zweifelhaft. Das ist auch einer der Gründe, warum der Einzelplan 11 absolut unseriös ist. Schon deshalb fällt der jetzt eingestellte Zuschuß an die Bundesanstalt mit 4,3 Milliarden DM absehbar zu niedrig aus.
Was Sie veranlaßt, nicht einmal den von der Bundesanstalt selber errechneten Bedarf in Höhe von 4,6 Milliarden DM einzustellen, das müssen Sie mir schon erklären. Die Bundesanstalt bezieht sich zumindest auf die vorgelegten Wirtschaftsdaten, und die belegen, daß sich die Arbeitsmarktlage nicht nur im vergangenen Monat verschlechtert hat, sondern sich auch noch im nächsten Jahr zuspitzen wird. Produktivitätssteigerungen und weitere Rationalisierungen fressen die möglichen Beschäftigungseffekte des wirtschaftlichen Wachstums auf. Das ist auch der Grund dafür, daß die Zahl der Erwerbstätigen heute immer noch um 720 000 Personen niedriger als zu Beginn des Aufschwungs ist, und das widerlegt auch Ihr Argument, daß in Zeiten einer sich erholenden Wirtschaft Arbeitsplätze neu entstünden. Heute morgen schaute der Wirtschaftsminister mit großen Kinderaugen und sagte: Komisch, das haben wir immer gedacht, und jetzt tritt es gar nicht ein.
Die Ihrem Haushalt zugrundeliegenden Prognosen ignorieren nicht nur diese Tatsache, sondern sie gehen von einem ungetrübten Konjunkturoptimismus aus. Der Deutsche Industrie- und Handelstag ist da ganz anderer Auffassung. „Die konjunkturelle Zuversicht vom Jahresanfang", heißt es in dieser Woche, „ist verflogen". Die Wachstumsrate wird nun sogar auf 2 Prozent heruntergerechnet. Ein knappes Viertel der befragten Unternehmen in Ostdeutschland und ein Drittel in Westdeutschland, also deutlich mehr als vor einem Jahr, äußerten die Absicht, ihre Belegschaftszahlen im Jahr 1996 zu reduzieren.
Dies sind weitere Anzeichen dafür, daß der eingestellte Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit in höchstem Maße unseriös ist und dringend einer Erhöhung bedarf. Bereits heute entlastet die aktive Arbeitsmarktpolitik den Arbeitsmarkt um rund 320 000 Personen weniger als vor einem Jahr. Diese Entwicklung wird sich 1996 aus Gründen fortsetzen, die nur zum Teil im Einzelplan 11 erscheinen, nämlich allein schon dadurch, daß der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderausgaben weniger Mittel für Maßnahmen nach § 249h AFG zur Verfügung stehen und damit weitere 25 000 bis 28 000 Menschen in diesen Beschäftigungen um ihren Arbeitsplatz bangen müssen.
Mit unserem zweiten Änderungsantrag zum Einzelplan 11 wollen wir mit Mehrausgaben in Höhe von netto 7,2 Milliarden DM rund 190 000 arbeitslose Menschen zusätzlich in Arbeitsförderung einbeziehen, und zwar etwa zu gleichen Teilen in AB-Maßnahmen und Fortbildung. 190 000 Arbeitslose sind gerade einmal 5 Prozent der offiziellen Arbeitslosen, aber es sind eben auch 190 000 Menschen. Angesichts der arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen wahrlich ein bescheidenes Ziel! Vertretbar ist es in unseren Augen nur dadurch, daß es mit strukturellen Verbesserungen wie der offensiven Einbeziehung arbeitsloser Sozialhilfeberechtigter, der Verteilung der Mittel nach der Höhe der Frauenarbeitslosigkeit und der Langzeitarbeitslosigkeit und der Einleitung einer neuen Form der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen verbunden ist, bei der der Bund dafür einsteht, daß die Mittel auch dort verbraucht werden, wo die Arbeitslosigkeit tatsächlich am höchsten ist.
Ich komme zum Schluß, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn Sie den Änderungsanträgen der PDS zustimmen, haben Sie die ganz große Chance, einen Teil Ihrer Vorleistungen des von Klaus Zwickel vorgeschlagenen Bündnisses für Arbeit zu erfüllen. Sie kön-
Dr. Heidi Knake-Werner
nen ihn nicht nur da zitieren, wo es Ihnen in das Konzept paßt. Ich sage Ihnen, Sie sollten diesen Vorschlägen auch deshalb zustimmen, weil Sie mit Ihren Vorstellungen zum Ladenschlußgesetz weitere Arbeitslose produzieren werden. Hier sollten Sie vielleicht einfach einmal in die HBV-Materialien schauen. Aber diese Gewerkschaft zitieren Sie ja nicht so gerne; die paßt Ihnen gegenwärtig nicht in den Kram.