Rede von
Rezzo
Schlauch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Getreu Murphys Gesetz kam bei diesen Haushaltsberatungen fast alles anders, als es geplant war. Mit Waigelscher Ignoranz und Selbtgefälligkeit haben Sie beschlossen, das Haushaltsloch einfach weiter vor sich herzuschieben.
- Sie zum Beispiel; Sie schieben ja mit vor sich her. -
Aber denken Sie daran: Wer anderen ein Haushaltsloch gräbt, der fällt - möglicherweise bald - selbst hinein.
Nicht einmal da, Herr Kollege Marschewski, wo Sie mit uns zusammen und mit Ihren Kollegen im Innenausschuß der Ansicht waren, daß man sparen könnte, wo sich das Sparen geradezu aufgedrängt hätte, nämlich beim Regierungsbunker in Marienthal, sind Sie zu Einschnitten bereit gewesen. Streichen Sie diese 16 Millionen DM im Innenetat. Sie, Herr Kanther, haben sich, so glaube ich, politisch und mental doch schon so eingebunkert, daß dieser Regierungsbunker völlig überflüssig ist.
So wie Finanzminister Waigel Milliardenlöcher im Bundeshaushalt mit einem Schulterzucken zu den Akten nimmt, so verspielen Sie, Herr Kanther, innenpolitisch alle Chancen, die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik aktiv zum Positiven zu gestalten.
Ich möchte mich drei Themenbereichen zuwenden: innere Sicherheit, Verwaltungsreform und Reform des Staatsbürgerschaftsrechts.
Bei der inneren Sicherheit doktern Sie seit Jahren hilflos an den Symptomen herum, statt sich auf die Ursachen zu konzentrieren. Sie rufen nach immer neuen Strafgesetzen. Nachdem es hier im Bundestag nicht ganz geklappt hat - vielleicht verhilft die F.D.P. irgendwann doch noch dazu -, lassen Sie das Feld von Ihren großen Koalitionen in den Ländern bestellen. Stichwort: großer Lauschangriff und Vermögensbeschlagnahme.
Herr Kollege Maurer aus Baden-Württemberg, der schon im Europa-Wahlkampf mit seiner durchsichtigen Anti-Mafia-Kampagne einen Riesenflop für die SPD gelandet hat,
versucht sich nun als Kanthers Hilfssheriff zu profilieren. Weil die SPD fürchtet, beim kriminalpolitischen Muskelspiel - ich weiß, daß das weh tut, aber so ist es nun einmal - den kürzeren zu ziehen, lassen Sie sich auf einen Deal ein nach dem Motto: Opferst du mir die Eigentumsgarantie in Art. 14 des Grundgesetzes, opfere ich dir die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger in Art. 13 des Grundgesetzes. Als ob Grundrechte nur zum Verschachern da wären!
Mit dieser rechtspolitischen Abrißbirne schleifen Sie wichtige bürgerrechtliche Standards in diesem Land, die von Ihren jährlichen Bekämpfungsgesetzen in der Vergangenheit noch übriggeblieben sind.
Rezzo Schlauch
Wir wollen die irrationale Spirale von immer mehr polizeilichen Mitteln und Befugnissen und schärferen Strafbestimmungen, die beispielsweise eine immer höhere Drogenkriminalität nach sich zieht, durchbrechen. Statt Stigmatisierung, Kriminalisierung und daraus folgender sozialer Verelendung der Drogensüchtigen setzen wir auf Prävention durch Aufklärung ohne Verteufelung, durch niederschwellige Hilfen zunächst zum Überleben und dann zum Ausstieg aus der Droge.
Unsere grüne Kollegin Nimsch hat dies modellhaft und sowohl für die Betroffenen wie für das Gemeinwesen erfolgreich auf den Weg gebracht. Es wäre höchste Zeit, daß dieses Parlament aus diesen Erfahrungen die Konsequenzen zieht.
- Herr Sauer, Missionare wie Sie haben viel Leid über die Welt gebracht. An Missionare halte ich mich nicht.
Organisierte Kriminalität kann man nicht bekämpfen, indem sich die Strafverfolger selbst wie Kriminelle benehmen, indem der Staat wie beim großen Lauschangriff durch die Verfassung geschützte hochrangige Rechtsgüter verletzt oder indem der Staat Vermögen demnächst auf Verdacht beschlagnahmen will, in einer Art und Weise, die an Wegelagerei oder räuberische Erpressung grenzt. Diesen weiteren Kahlschlag von Grundrechten im höchst sensiblen Verhältnis Bürger und Staat werden wir Grünen mit allen politischen und rechtlichen Mitteln bekämpfen.
Eine weitere Herausforderung der Innenpolitik ist die Reform des öffentlichen Dienstes. Was wir da bisher von Ihnen, Herr Innenminister, gehört haben, sind keine Reformen, es ist pure Kosmetik.
Es bleibt beim Berufsbeamtentum weitgehend in den Strukturen des 19. Jahrhunderts. Flexibilisiert, Herr Minister, werden vor allem die Rechte des Dienstherrn. Die Strukturen und die Hierarchien verfestigen Sie durch Versetzungen und Abordnungen. Die Motivation der Beschäftigten wird das mit Sicherheit nicht verbessern.
Vom Reformziel der modernen, effizienten, bürgerfreundlichen öffentlichen Dienstleistung sind Sie meilenweit entfernt. In der Gehaltstabelle sollen Leistungsaspekte berücksichtigt werden. Das klingt gerade so, als ob sie bisher noch nie berücksichtigt worden sind. Führungspositionen will der Innenminister auf Probe besetzen. Das wird die Verantwortungsbereitschaft nicht steigern, sondern verringern. Die richtige Antwort ist die Besetzung von Führungspositionen grundsätzlich auf Zeit.
Selbst die größte Chance, mit dem Umbau der Verwaltung zu beginnen, übersehen Sie, Herr Minister: den Umzug nach Berlin. Nichts, aber auch gar nichts an Streichungs- und Straffungsvorschlägen hört man vom Verwaltungsreformminister für sein eigenes Haus. Statt dessen wird im Begleitgesetz zum Umzug mit vollen Händen Geld, das bekanntlich nicht vorhanden ist, ausgegeben, wird der „goldene Handschlag" im Überfluß für Beamte geplant. Von Verwaltungsreform keine Spur, von verantwortungsbewußtem Haushalten ganz zu schweigen.
Während Sie sich bei der inneren Sicherheit, Herr Minister, mit Gesetzentwürfen im Hauruck-Verfahren überschlagen, haben Sie beim innenpolitischen Dauerbrenner Reform des Staatsbürgerschaftsrechts die hohe Kultur des Aussitzens für sich entdeckt. Im Staatsangehörigkeitsrecht können und dürfen sich unsere Gesellschaft und die Betroffenen keine weitere Runde staatlicher Tatenlosigkeit leisten, wenn nicht auf Dauer der soziale Friede gefährdet werden soll.
Renationalisierung, Selbstisolation und Flucht in religiösen Extremismus unter den Einwanderinnen und Einwanderern ohne gesicherten Rechtsstatus weisen auf drohende Entwicklungen hin. Dem kann nur durch eine entschiedene Abkehr von der jahrzehntelang betriebenen Ausgrenzung und durch neue Zugehörigkeitsangebote begegnet werden. Es kann doch nicht angehen, meine Damen und Herren, daß ein Land mit humanem Selbstverständnis inländische Menschen über Jahre und Jahrzehnte als Ausländer definiert, daß Kinder und Jugendliche, die hier geboren worden sind, die hier aufgewachsen sind, die hier gelernt haben, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben, noch immer in das Herkunftsland ihrer Vorfahren, das sie gar nicht kennen, abgeschoben werden. Diese Situation ist eines humanen Staatswesens unwürdig. Wir haben auch kein Verständnis dafür, daß erst die dritte Generation der Einwanderer als Inländer akzeptiert wird.
Das führt, meine Damen und Herren von der SPD, zu der absurden Situation, daß hier geborene Kinder, deren Eltern im Alter von einem Jahr nach Deutschland gekommen sind, einen völlig anderen Rechtsstatus erhalten als ebenfalls hier geborene Kinder von Eltern, die zufällig erst in Deutschland das Licht der Welt erblickt haben. So werden Menschen der gleichen Generation mit völlig identischem Lebensmittelpunkt künstlich in In- und Ausländer gespalten. Wir werden deshalb nicht länger warten und die Beratung unseres Gesetzentwurfes auf die Tagesordnung setzen.
Fassen wir zusammen. In Fragen der inneren Sicherheit steht der Innenminister in der Tradition des Obrigkeitsdenkens, nicht in der Tradition der Zivilgesellschaft. So wird es ihm nicht gelingen, mehr Sicherheit und weniger Kriminalität zu erwirken.
Bei der Verwaltungsreform, Herr Innenminister, liegt die Betonung auf „Reform", nicht auf „Verwal-
Rezzo Schlauch
tung". Mit der Einstellung „Das war schon immer so", „Das haben wir ja noch nie gehabt", und „Wo kommen wir denn da hin?" werden Sie jedenfalls nicht weit kommen.
- Herr Weng, vielleicht stört es Sie, daß Sie in meiner Rede nicht vorkommen, aber ich habe mir Sie heute einfach erspart.
Herr Kanther, wer als Hessischer Löwe in Wiesbaden gesprungen ist, um in Bonn als Silberlöwe an den Beharrungskräften der eigenen Bürokratie zu scheitern, der wird kein König der Löwen mehr.
In der Staatsbürgerschafts- und Einwanderungsfrage scheint Ihnen der Stahlhelm nicht auf dem, sondern der Stahl im Kopf zu sitzen. Nichts ist von Ihnen zu hören außer dem Festhalten am Blutsrecht, als ob das Zeitalter der sich herausbildenden Nationalstaaten nicht längst hinter uns wäre. Dabei ist doch der Kopf, Herr Kollege Zeitlmann und meine Damen und Herren von der Union, rund, damit das Denken in verschiedene Richtungen möglich ist und auch die Richtung ab und zu einmal wechseln kann und es nicht immer nur so wie bei Herrn Kanther ist: eindimensional und geradeaus.
Ihre Gesamtbilanz, Herr Kanther, läßt sich in zwei Begriffe fassen: Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Realitäten und rückwärtsgewandte Nationalideologie. Ihren Haushalt, der diese Politik in Zahlen gießt, lehnen wir deshalb ab.