Ich kann Ihnen gern bestätigen, daß die Länder von denselben Sorgen bedrückt und bedrängt sind. Zum Teil liegen die Pro-
Uta Titze-Stecher
zentsatzzahlen für die Versorgungslasten dort noch höher, als Sie sie nannten, nämlich bei 60 Prozent. Eben weil der Druck unten in den Gemeinden und Ländern größer ist, haben die unter diesem Druck bereits begonnen, das Ruder herumzuwerfen. Anscheinend ist der Druck dem Minister nicht bekannt, oder er will ihn nicht wahrnehmen, oder er sagt „Nach mir die Sintflut"; soll das nach mir ein anderer auslöffeln!
Das ist das erste, was ich sagen will: Die Länder kennen das Problem. Aber daß es auf die sozialliberale Koalition zurückzuführen ist, bestreite ich. Rechnen Sie mal zurück! Das würde ja heißen, daß fast alle in diesen Jahren der Wende - es sind 13 Jahre - auf einen Schlag in Pension gegangen sein müßten. Aber da es auch unter Beamten nach der Verteilung entsprechend der Gaußschen Kurve und der Alterspyramide einen großen Teil junger Beamter, Beamter mittleren Alters und älterer Beamter gibt, kann Ihre Rechnung nicht aufgehen.
Die SPD ist bereit - und Sie wissen, uns zwickt schlicht und einfach der Zwang, der durch die EU-Richtlinie ausgeübt wird -, das Beamtenrecht flexibler und leistungsgerechter auszugestalten. Allerdings sagen wir Ihnen gleich, Herr Kanther: Wir wollen die Dienstrechtsreform mit der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung verknüpfen, das heißt die Verwaltungsreform dazunehmen und nicht, wie Sie, abkoppeln und auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.
Lassen Sie mich noch zwei weitere Bereiche ansprechen, die ebenfalls in den Geschäftsbereich des Bundesinnenministers fallen: zum einen die Bewilligungen für Kultur und zum anderen - ich nenne es nach dem dafür zuständigen Staatssekretär immer „Kapitel Waffenschmidt" - die Bewilligungen für Vertriebene, Flüchtlinge, Kriegsgeschädigte, Aus- und Übersiedler. Zu letzterem wird mein Kollege Graf ganz detailliert Ausführungen machen.
Daher von mir nur ein Beispiel dafür, wie „deutsches Geld in der sibirischen Steppe vergraben wird". Dies ist der Titel eines Artikels in der seriösen „Süddeutschen Zeitung" vom 13. Juli 1995. Danach geht die Rechnung des Aussiedlerbeauftragten Waffenschmidt bis heute nicht auf. Im Gegenteil: Die Millionenprogramme der Bundesregierung erweisen sich zunehmend als Bumerang: Anstatt in den ursprünglichen Siedlungsgebieten - so zum Beispiel in dem vor drei Jahren neu gegründeten deutschen nationalen Rajon Asowo nahe der kasachischen Grenze - zu bleiben und sich dort mit bundesdeutscher Millionenhilfe eine neue Existenz aufzubauen, benutzen viele Rußlanddeutsche den Landkreis als Sprungbrett nach Deutschland.
Zum Beweis: 1994 hatte Asowo die höchste Zahl an Ausreisenden aus dem Gebiet Omsk. Bei den Rußlanddeutschen wächst - was für mich noch bedrükkender ist - der Unmut über Fehlplanungen, denn die rußlanddeutschen Funktionäre bedienen sich der
Bonner Finanzhilfen sehr kräftig zu Lasten der rußlanddeutschen Flüchtlinge aus Mittelasien und der Alteingesessenen nach dem Motto: „Villen für die Chefs, Container fürs Volk."
Solch eine Verteilung von deutschen Steuergeldern schafft Ärger und festigt eben nicht die vom Aussiedlerbeauftragten behauptete Strategie, für die Rußlanddeutschen eine „Insel der Hoffnung" zu schaffen. Auch die im Haushalt 1996 für das nächste Jahr angesetzten 150 Millionen DM werden die Situation, wenn so weitergewurstelt wird, nur verschärfen und nicht entspannen.
Sinnvoller und ehrlicher wäre es angesichts einer jährlichen Zuwanderung von rund 220 000 auslandsdeutschen Aussiedlern - das ist eine Folge des von uns allen gewollten Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes -, die Bundesrepublik als das zu definieren, was sie ist: ein Einwanderungsland.
Aber das, Herr Minister, fürchten Sie und die Koalition wie der Teufel das Weihwasser. Der Grund dafür ist ebenfalls klar: Die Konsequenz einer solchen Definition wäre nämlich ein Einwanderungsgesetz, das den Staat zu einer zukunftsweisenden Migrationspolitik zwingen würde. Diese müßte sowohl eine verbesserte Integration als auch eine aktive Zuzugssteuerung umfassen, um den Belangen der Zuwanderer gerecht zu werden und die soziale Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen.
- Es ist ja nicht ganz unproblematisch, was Sie hier anzetteln. Mein Kollege Graf wird das sehr plastisch und sehr bildhaft darstellen.
Unter uns leben bereits 7 Millionen Ausländer. Die Politik muß sich endlich entscheiden: Einwanderung steuern oder Deutschland zur geschlossenen Gesellschaft erklären. 80 Prozent der Bevölkerung wollen laut Umfragen genau dasselbe wie die SPD, nämlich Zuwanderung per Gesetz steuern.
Aber nicht nur hier besteht Nachholbedarf. Wir fordern Sie auf, Ihre Verweigerung gegenüber den Forderungen nach erleichterter Einbürgerung und doppelter Staatsbürgerschaft endlich aufzugeben. Das völkisch verengte Staatsbürgerrecht aus dem Jahre 1913 - es tut mir um den militärischen Ausdruck leid, Herr Kanther - ist buchstäblich „out of area".
Nur noch Hardliner wie Sie und eine kleine radikale Minderheit Ewiggestriger blockieren vernünftige Reformen. Seit einem halben Jahr liegt der Antrag der SPD zur Erleichterung von Einbürgerung unter Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft auf dem Tisch. Seit Monaten betreibt diese Koalition verzögerungstaktische Spielchen im Innenausschuß mit der Begründung „Beratungsbedarf". Wissen Sie, Herr
Uta Titze-Stecher
Minister, was notwendig ist? Kein Beratungsbedarf, sondern Entscheidungsbedarf.
- Ich sehe die Lampe hier schon blinken; ich muß mich auch entscheiden, und zwar für das Ende meiner Rede.
Sie sollten nicht zögern, hier zu entscheiden und sich im Sinne unserer Vorschläge zu bewegen, Herr Minister. Dazu gehört - um das gleich in einem Aufwasch zu machen - ebenfalls die Einlösung der im Asylkompromiß vereinbarten Zusagen, nämlich der gesetzlich zugesicherten Altfallregelung und des Status für Bürgerkriegsflüchtlinge.
Letzte Bemerkung zur Kultur: Der Kulturetat ist von 1995 bis 1999 plafondiert. Das bedeutet faktisch Stillstand und Rückstand. Ich hoffe, Sie können damit ruhig schlafen.
Wir lehnen den Einzelplan 06 auf Grund der unerledigten Hausaufgaben ab. Beim Einzelplan 33 - Versorgung - enthalten wir uns wegen des nicht vorgelegten Versorgungsberichtes; es handelt sich immerhin um gesetzliche Leistungen.