Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Spranger, es gibt ein gutes deutsches Sprichwort: Not macht erfinderisch. Das scheint jedoch für das BMZ nicht zu gelten. Dieser Haushalt ist business as usual. Nichts von dem, was Herr Kohn an Innovation gefordert hat, ist enthalten. Oder, Herr Minister, könnte es sein, daß die Not noch immer nicht groß genug ist?
Bevor Sie im Jahre 1990 Ihr Amt antraten, betrug die ODA-Quote 0,41 Prozent. Ende 1996 wird die ODA-Quote bei 0,3 Prozent liegen. Wenn man das hochrechnet, Herr Minister, haben wir in zehn Jahren eine ODA-Quote in Höhe von 0 Prozent.
Meine Damen und Herren, auf die Vorgeschichte hat Herr Kollege Schnell schon hingewiesen. Ich will nur eines wiederholen: Sie haben die NGOs gebeten, für Entwicklungszusammenarbeit zu werben. Es ist kein Geheimnis, daß der heute zu verabschiedende Haushalt ein großes Desaster ist, und viele NGOs sind maßlos enttäuscht.
Was lernen wir daraus, meine Damen und Herren? - Drei Dinge: Erstens. Herr Minister, Sie sägen offensichtlich systematisch Ihren eigenen Ast ab. Die Leute, die für unser Anliegen, den Nord-Süd-Ausgleich, in die Bütt gehen, die NGO-Vertreter, bekommen nicht mehr als vorher. Die entwicklungspolitische Bildung spielt ebenfalls kaum noch eine Rolle. 1993 waren es noch 5,6 Millionen DM, jetzt sind es nur 4,3 Millionen DM. Wir wollten nur kleine Beträge. Aber, meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wer soll eigentlich diesen so staatstragenden Haushältern Dampf machen, wenn nicht die Mitglieder der NGOs die Öffentlichkeit in Deutschland entsprechend mobilisieren, wenn nicht ein entsprechender Bewußtseinswandel organisiert wird?
Wer soll deutlich machen, meine Damen und Herren, daß der Nord-Süd-Ausgleich nicht eine Frage des Südens ist, sondern eine Frage unseres eigenen Überlebens?
Dr. R. Werner Schuster
Ich frage Sie, Herr Minister: Wollen Sie diesen strategischen Aspekt der Verbündeten nicht wahrhaben, oder müssen Sie ihn verdrängen? Ich bitte Sie an dieser Stelle, sich bei den NGOs zu entschuldigen, damit es nicht noch mehr Scherben gibt.
Zweitens. Zu den falschen Prioritäten, Herr Kohn: Wenn Ihnen, Herr Minister Spranger, Herr Kohl - im Gegensatz zu den Vereinbarungen von Rio - schon nicht mehr Geld zur Verfügung stellt, dann muß doch die Frage erlaubt sein, ob man das vorhandene Geld nicht wirksamer, nachhaltiger ausgibt, ob man nicht andere Prioritäten setzen muß. Ich will nicht mißverstanden werden. Prioritäten setzen heißt nicht: entscheiden zwischen guten und schlechten Projekten, sondern innerhalb von wichtigen Projekten noch einmal eine neue Rangordnung schaffen.
Ich darf Sie daran erinnern: Dieser Bundestag hat vor 13 Jahren, 1982, einstimmig beschlossen, daß die Hauptzielgruppe der deutschen Entwicklungszusammenarbeit die ärmsten Bevölkerungsschichten sein sollten. Die Mobilisierung und die aktive Beteiligung der betroffenen Bevölkerung am Entwicklungsprozeß sollten bestimmende Kriterien für Programme und Projekte sein. Und besonderer Wert ist auf die Förderung von Frauen zu legen. Wenn Sie das, meine Damen und Herren, mit dem vergleichen, was wir neulich in der Anhörung zur Armutsbekämpfung gehört haben, haben Ihnen hoffentlich die Ohren geklungen. Und Sie, meine Damen und Herren vom
BMZ, muß man fragen: Was machen Sie eigentlich mit solchen Beschlüssen des Bundestages? Legen Sie die auf Ihre Kopfkissen - und das war's dann, die Karawane zieht weiter?
Ich meine, Herr Minister Spranger, wir müssen endlich lernen, daß Herr Nyerere in einem Punkt recht hatte: Menschen können nicht entwickelt werden, sie können sich nur selbst entwickeln. Das ist aber sehr personalintensiv, Herr Kohn.
Drittens. Wenn Sie schon nicht genug Geld von Herrn Kohl für ausreichendes Personal bekommen: Warum machen Sie dann weiterhin die „Projektitis"? Sie haben ein Riesenreservoir an Organisationen. Sie könnten eine Menge Arbeit delegieren und bekämen endlich die manpower frei, um so wichtige Fragen wie die Beeinflussung der Politik der Weltbank, des IWF oder auch von Brüssel zu klären.
Meine Damen und Herren, Herr Spranger, nach meinem Verständnis haben Sie zwei Handlungsalternativen: Entweder machen Sie weiter so. Dann wird Ihr Name leider untrennbar mit einer zunehmenden Bedeutungslosigkeit des BMZ verbunden sein. Oder aber, Herr Spranger, Sie machen tatsächlich aus der Not eine Tugend, suchen sich systematisch Verbündete, unterstützen diese, setzen andere Prioritäten und organisieren einen Reformprozeß in Ihrem Haus.
Wir, meine Damen und Herren, die wir nach wie vor der Vision von dem gemeinsamen solidarischen Leben in der einen Welt nachhängen, würden uns freuen, wenn Sie sich für die zweite Alternative entscheiden. Das wünschen wir uns von Ihnen.