Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße all die, die an Entwicklungspolitik interessiert sind, und ich hoffe, daß sich die populistischen Entgleisungen seitens der Koalition vom Vormittag nicht über die weiteren Beratungen ziehen. Ich denke, wir sind eher zur Sachlichkeit aufgerufen.
Wir hatten zum Einzelplan 23 ein konstruktives Berichterstattergespräch und hatten auch eine vernünftige und gute erste Runde im Haushaltsausschuß. Wir haben in der Tat über jeden Titel, über jede Mark, über jede Umschichtung ernsthaft gestritten, bis uns leider der Finanzminister für die Bereinigungssitzung das sogenannte Waigel-Wischpapier auf den Tisch gelegt hat, -
- Ja, Herr Minister, das ist leider so -, wo Sie Milliardenbeträge als Hausnummern an Veränderungen zum Haushalt 1996 begründen wollten. Wer die Haushaltsberatungen auch nur halbwegs ernst nimmt, kann sich damit nicht abfrühstücken lassen.
Ein Stück Haushälterehre sollten wir uns bewahren. Herr Minister, Sie waren früher auch einmal Haushälter und haben seinerzeit konkret gearbeitet. Ich denke, daß Sie sich so etwas nicht hätten bieten lassen. Ich bin schon verwundert darüber, daß gerade Sie uns ein derartiges Papier auf den Tisch legen. Deshalb war es unumgänglich, daß wir die Bereinigungssitzung verlassen mußten.
Wir erinnern uns noch sehr gut an das Geschrei zur sogenannten Trendwende des Entwicklungsetats. Die Pressestimmen zeigen, daß es durchaus ein PR-Erfolg der Regierung war, leider mit massiver Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen. 500 Nichtregierungsorganisationen haben sich bereit erklärt, Aufrufe zu verfassen und den Minister zu unterstützen. Ich kann nur hoffen, daß die Vertreter der Nichtregierungsorganisationen aus diesem Vertrauensmißbrauch lernen und die richtigen Schlußfolgerungen ziehen.
Dr. Emil Schnell
Einige Zeitungsüberschriften dazu lauteten: Mehr Geld für die Dritte Welt; Spranger unterstützt Appell an Kanzler Kohl; auch die Kirchen beteiligen sich an einer Aktion für Minister Spranger; Spranger sieht positive Wende in der Entwicklungshilfe; Steigerung um 1,7 Prozent als Erfolg gewertet; Entwicklungshilfe blieb verschont; Kanzler will Entwicklungshilfe verstärken; und schließlich: Unionsabgeordnete verlangen Erhöhung des Etats auf 9 Milliarden DM und so weiter. Wo sind denn jetzt die lieben Unionsabgeordneten? Alle abgetaucht und umgefallen.
Sie sollten sich für die massive Täuschung der Öffentlichkeit entschuldigen, Herr Minister.
Wenn Ihr Etat Spiegelbild der gestiegenen Verantwortung Deutschlands gegenüber der Dritten Welt sein soll, wissen wir, wohin die Reise geht.
Schauen wir einmal, wie sich der Plafond von Minister Spranger entwickelt hat. Der Finanzplan vom Sommer 1992, der sogenannte Rio-Finanzplan, hatte noch 9,13 Milliarden DM für den Einzelplan 23 vorgesehen. Dies sind plus 12,6 Prozent gegenüber dem 95er Plafond. Der Finanzplan 1994 betrug 8,34 Milliarden DM, der Regierungsentwurf von diesem Jahr 8,24 Milliarden DM. Das sind nur noch plus 1,7 Prozent. Die Bereinigungsvorlage der Koalition betrug 8,14 Milliarden DM, plus 0,5 Prozent, lag also weit unter der Inflationsrate.
Was wir daraus lernen, meine lieben Kollegen, ist, daß die Finanzplanung der Regierung schlicht unbrauchbar und nichtssagend ist.
Das politische Ziel der Trendwende wurde damit glatt verfehlt. Das nennen Sie dann Punktlandung. In dem Fall sind es 0,5 Prozent.
In Anbetracht der schwierigen Haushaltslage, sozusagen als Ergebnis der ständigen Punktlandungen des Finanzministers, haben wir Sozialdemokraten mit viel Augenmaß Anträge in den Schwerpunktbereichen Armutsbekämpfung, Umwelt, Bekämpfung des Bevölkerungswachstums, Schuldenumwandlung, Unterstützung der Frauen in der Dritten Welt und bilaterale technische Zusammenarbeit gestellt, die leider zum Teil mit großer Ignoranz von der Koalition abgelehnt wurden.
Wir hatten seriöse Deckungsvorschläge - in diesem Fall aus dem Einzelplan 14. Wir haben im großen und ganzen eher bescheidene Anträge gestellt, um überhaupt ein Wachstum zu ermöglichen und das Ziel von 0,7 Prozent wenigstens in kleinen Schritten anzusteuern, im Gegensatz zu dem, was Sie hier getan haben.
Ich möchte die wenigen positiven Veränderungen im Einzelplan 23 nicht verschweigen, zumal sie unseren Intentionen und Anträgen gedankt sind.
Folgende Punkte, die wir schon im Berichterstattergespräch gefordert haben, die dort abgelehnt wurden, die wir in der ersten Beratung des Haushaltsausschusses wieder gefordert haben, dort wieder abgelehnt wurden und jetzt doch im Haushalt stehen, zeigen, daß Vernunft offensichtlich doch ansteckend sein kann. Es sind: Erhöhung der bilateralen FZ-
Schuldendienstregelung von 110 auf 200 Millionen DM für Umweltmaßnahmen und Armutsbekämpfung, Umschichtung von leider nur 4 Millionen DM aus dem Einzelplan 60 für die GUS/MOEL-Beratungshilfe zum Stiftungstitel im Einzelplan 23, 100 Millionen DM Expo-2000-Unterstützung für ärmere Partnerländer und, was wir als Genugtuung empfinden, die Tatsache, daß unser Vorschlag für einen neuen Titel „Entwicklungspolitische Soforthilfe" - sie nennen das Nahrungsmittel-, Not- und Flüchtlingshilfe - von der Regierung entsprechend aufgenommen wurde. Zwar liegt der Mittelansatz noch unter unseren Vorstellungen, aber wir werden sehen, wie die Mittel 1996 abfließen werden, und sollten dann 1997 im Haushalt eine angemessene Größenordnung einstellen.
Die unbefriedigende Gestaltung der GUS/MOEL-
Beratungshilfe wurde von mir schon beim 95er Haushalt angesprochen, allerdings ohne wirklichen Erfolg. Die Federführung für die Koordinierung der Beratungshilfe für 11 Länder liegt beim BMWi und dem Auswärtigen Amt; dafür sitzt der Staatssekretär a. D. Kittel im Wirtschaftsministerium.
15 Ressorts sind fachlich zuständig; 7 Ressorts verfügen über eigene Haushaltsansätze. Bei der Umsetzung der Projekte bedienen sich die Fachressorts allerdings der in der Entwicklungszusammenarbeit erfahrenen und insofern dem BMZ zugeordneten Durchführungsorganisationen. Die aufgeteilten Mittel fließen so teilweise wieder zusammen.
Einige Ressorts haben sich leider extra Strukturen geschaffen, die vergleichbare Aufgaben wahrnehmen wie bereits existierende Organisationen. Auch von daher ist die Konzentration der Aufgaben im BMZ naheliegend. Kollegin Hermenau hat das in ihrer Kurzintervention richtig angedeutet, aber es kommt noch schlimmer.
Die Umsetzung der Beratungshilfe von knapp 300 Millionen DM beansprucht in den Ressorts rund 60 Planstellen. Das BMZ benötigt für die Umsetzung von 200 Millionen DM für vergleichbare Aufgaben zirka 12 Mitarbeiter. Das heißt: Gut 50 Planstellen könnten eingespart werden bei deutlicher Steigerung der Effizienz des Mitteleinsatzes; denn die Nachteile der jetzigen unmöglichen Konstruktion liegen auf der Hand.
Meine Damen und Herren, hier könnten Sie einmal demonstrieren, was Sie von verschlanktem Staat und schlanker Verwaltung tatsächlich halten.
Dr. Emil Schnell
Ich fürchte, das, was der Bundeskanzler heute dazu gesagt hat, sind hohle Phrasen gewesen. Und ich befürchte ebenfalls, daß die eigentlichen Bremser bei dieser Konzentration der Aufgaben im BMZ eher die F.D.P. sein dürfte, die damit eine sinnvolle Mittelverwendung boykottiert. Das Fazit kann nur sein: Konzentration der Beratungshilfe Ost beim BMZ.
Auch in den Vorjahren wurde der Einzelplan 23 durch Wechselkursanpassungen empfindlich gekürzt. Dazu hat der Haushaltsausschuß am 21. September 1995 die Bundesregierung aufgefordert, im Falle einer Wechselkursanpassung für entsprechenden Ausgleich zu sorgen. Die im multilateralen Bereich eingesparten Mittel sollten dem bilateralen Bereich zur Verfügung gestellt werden. Die Koalition hat bisher keine Anstrengungen unternommen, ihre mitgetragene Forderung umzusetzen.
Dramatisch sieht die Situation für die Zuwendungsempfänger des BMZ aus, also für die Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung, die CarlDuisberg-Gesellschaft, für das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik und für den Deutschen Entwicklungsdienst. Für diese Einrichtungen bedeutet der Regierungsentwurf eine Stellenkürzung bis Ende 1996 um 30 Stellen. Würde das an den richtigen Stellen in Ministerien passieren, würde es sicherlich keinen Widerstand unsererseits geben. Aber insbesondere eine Reihe Ende 1995 wirksam werdender kw- Vermerke führt jedoch zu einer Existenzkrise der in den neuen Bundesländern aufgebauten neuen Standorte, in Magdeburg, Zschortau, Berlin-Mitte und Brandenburg.
Aus der Entscheidung des Rechnungsprüfungsausschusses, das Ärzteprogramm der DSE weiterzuführen, müßten jetzt die personalwirtschaftlichen Konsequenzen gezogen werden. Jedoch Fehlanzeige bei der Koalition.
Wir fordern eine angemessene Stellenausstattung für die Zuwendungsempfänger in den neuen Ländern. Sonst sind diese Außenstellen in zwei Jahren am Ende.
Am Beispiel Nicaragua, wo wir unzählige Zuschriften mit bilateralen Entschuldungsforderungen erhalten haben, kann man das Problem der Schulden von ärmsten Ländern gut darstellen. Dabei spielen die Forderungen aus der Ex-DDR in Höhe von 590 Millionen Dollar, die wir übernommen haben, eine gewichtige Rolle.
Nicaragua hat mit zirka 2 500 Prozent - Stand 1993 - die mit Abstand höchste Schuldenexportquote. Die Verschuldungsindikatoren sind dramatisch und stellen eine besondere Härte dar, der man multilateral wie bilateral Rechnung tragen muß.
Deshalb ist es sinnvoll, zusätzliche bilaterale Sonderentschuldungsmaßnahmen, wie sie übrigens auch andere Länder anwenden, nach Einzelfallprüfungen zu ermöglichen. Im Falle Nicaraguas sollten diese zur Anwendung kommen. Die Bedenken der Kollegen der Koalition kann ich nicht teilen.
Wir müssen also auch in diesem Bereich flexibel sein. Das heißt auch, daß in besonders krassen Fällen Regierung und Parlament in der Lage sein müssen zu handeln.
Wir begrüßen das dritte Umschuldungsabkommen mit Nicaragua vom 3. November 1995 - das ist also erst wenige Tage her -, wonach rund 80 Prozent der Altschulden erlassen wurden. Weitere 152 Millionen Dollar sollen für 23 Jahre gestundet werden. 67 Prozent der DDR-Handelsforderungen wurden erlassen. Hier müßte es eine bilaterale Sonderentschuldung auf Null geben, wie es übrigens auch viele Nichtregierungsorganisationen fordern.
Deutschland wird mit rund 3 Milliarden ECU zweitgrößter Beitragszahler für den 8. Europäischen Entwicklungsfonds sein. Wir bezahlen 160 Millionen ECU mehr, als wir uns vorgestellt haben. Wir akzeptieren das aber als Kompromiß im Hinblick auf die Verbesserungen der Grundsätze für die Mittelvergabe, die neuen Rahmenbedingungen und die Kontrolle der Wirksamkeit der Maßnahmen.
Wir haben allerdings als Haushaltsausschuß eine Kontrollmöglichkeit eingebaut. Wir möchten informiert werden, bevor die Mittel verwendet werden. Wir möchten auch sicherstellen, daß die Bedenken des Europäischen Rechnungshofs ausgeräumt werden.
Fast 40 Milliarden DM deutsche Zusagen, über die ganze Welt verstreut, befinden sich in der, wie wir es nennen: VE-Pipeline. Das sind zum Teil 20 Jahre alte völkerrechtlich verbindliche Zusagen an Staaten, die kumuliert diesen gewaltigen Betrag ausmachen.
Wir wollen diese Entwicklung in Zukunft nicht mehr so hinnehmen. Deshalb haben wir beschlossen, daß in den völkerrechtlichen Zusagen zu vereinbaren ist, daß die Verpflichtungen entfallen, soweit innerhalb von acht Jahren nach der Zusage der Mittel eine Durchführungsvereinbarung nicht abgeschlossen wurde.
Der sogenannten Scheckbuchdiplomatie, wo Kohl oder Kinkel dem Spranger zurufen: „Herr Spranger, schreiben Sie das mal auf", und schon sind 100 Millionen DM Verpflichtungen entstanden, soll so Einhalt geboten werden.
- Dafür gibt es mehrere Beispiele. Ich nenne bloß Vietnam; das war, glaube ich, ein eher unrühmliches Beispiel.
Zu den Anträgen anderer Fraktionen wurde hier schon klargestellt: Wir selber stellen zur zweiten Lesung keine Detailanträge, weil es bei diesem Haushaltsverfahren und bei der Haltung der Koalition unwahrscheinlich ist, mit Einzelanträgen zum Erfolg zu kommen. Wir denken nicht, daß wir den Haushalt damit in Ordnung bringen können.
Dr. Emil Schnell
Wir haben deshalb im Entschließungsantrag für die dritte Lesung unsere politischen Forderungen noch einmal in konzentrierter Form dargelegt. Wir werden uns entsprechend bei den Abstimmungen über die Anträge in der zweiten Lesung enthalten.
Abschließend möchte ich sagen: Wir werden dem Einzelplan 23 nicht zustimmen können, zumal der Durchbruch zum wirklichen Zukunftsministerium, wie wir es eigentlich erwarten, von der Struktur, der Mittelbündelung und der Plafondentwicklung her gesehen nicht zu erkennen ist. Ich glaube, daß das 0,7-Prozent-Ziel für die Regierung offensichtlich erledigt ist.
Vielen Dank.