Erstens, Herr Kollege Koppelin, wissen Sie aus Berichterstattergesprächen ganz genau, daß ich den Haushalt sehr aufmerksam zu lesen pflege, ja sogar manchmal den Koalitionskollegen Berichterstattern auf die Sprünge helfen muß, weil sie etwas übersehen. Also, ich lese sehr genau.
- Ja, da müssen Sie etwas besser aufpassen.
Zweitens ist mir das überhaupt nicht entgangen. Mir ist ebenfalls nicht entgangen, daß Sozialdemokraten diesem Passus, der den Mobilitätszuschlag enthält, im Verteidigungsausschuß zugestimmt haben. Ferner ist mir nicht entgangen, daß der Mobilitätszuschlag in der Praxis bedeutet: Schaffung von drei Gruppen, um nicht zu sagen: drei Klassen unter den Wehrpflichtigen.
Ich komme auf den Einwand des Herrn Nolting gleich zurück. - Ich frage Sie: Wie wollen Sie erklären, daß von drei Kameraden in einer Stube zwei sind, die auf Grund dieses Zuschlages 30 Prozent mehr Wehrsold bekommen, während der dritte, der sogenannt heimatnah untergebracht oder eingezogen ist, diese 30 Prozent nicht bekommt? Herr Nolting sprach von den Kosten der Wehrsolderhöhung: 105 Millionen DM.
- Entschuldigung, aber sie bekommen schließlich das Fahrgeld ersetzt. Oder müssen die auf eigene Rechnung zum Standort fahren? Das habe ich noch nicht erlebt.
- Ist ja gut, Herr Rossmanith. - Ich will Ihnen nur sagen: Das ist eine Maßnahme.
Die andere ist, daß Sie die Wehrpflichtigen in Gruppen aufteilen und daß Sie sagen: Ihr, die ihr heimatnah untergebracht seid, könnt mit dem Wehrsold
Ernst Kastning
von vor drei Jahren weiterleben; das ist der Dank des Vaterlandes für die Erfüllung eurer Pflicht.
Statt dessen haben Sie das Geld lieber für VIP-Hubschrauber und ähnliches für Spitzenpolitiker ausgegeben. Nebenbei bemerkt, Frau Karwatzki, was die Hubschrauber angeht: Wenn sie dazu dienten, das große Milliardenloch von der Luft her aufzuklären und dessen Ausmaße zu erkennen, könnte man noch zustimmen. Aber diese Absichtserklärung der Regierung liegt leider nicht vor.
Meine Damen und Herren, die Verweigerung der Wehrsolderhöhung hat noch einen anderen Beigeschmack. Es muß doch in den Ohren der Betroffenen schon zynisch klingen, wenn Sie, jedenfalls in den Ausschußberatungen, sagen - das können Sie nicht bestreiten -: Wir wollen die Erhöhung nicht, weil sie indirekt auch den Zivildienstleistenden zugute kommt. Das nenne ich einen Keil treiben zwischen zwei Gruppen von Menschen, die nach dem Gesetz ihren Dienst tun.
- Das ist keine frei erfundene Äußerung. Herr Austermann muß das heute bestätigen, wenn er nicht lügen will.
Meine Damen und Herren, ich denke, beiden Gruppen, Wehrdienst- und Zivildienstleistenden, gebührt der Respekt des Parlaments und der Dank für ihren Einsatz, für ihr Engagement.
Sowenig wir im Grad der Anerkennung beider Gruppen Unterscheidungen vornehmen sollten und dürfen, so wenig sollten und dürfen wir es zulassen, daß mit Mitteln der Haushaltspolitik die eine Gruppe gegen die andere ausgespielt wird.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich immer für eine Reduzierung der Streitkräfte eingesetzt, soweit sich dies im Rahmen der sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland vertreten ließ. Der Truppenabbau etwa im Rahmen der international vereinbarten Abrüstung stand und steht für uns außer Frage. Es ist allerdings nicht hinnehmbar, Herr Minister, wenn der personelle Abbau und die Schließung von Standorten sowie Bundeswehreinrichtungen - nicht nur militärischen Standorten - nicht rational nachvollziehbar vonstatten geht.
Ich sage Ihnen meine Position: Wenn dem nicht zwingende militärische Notwendigkeiten entgegenstehen, müssen auch regionalpolitische Aspekte in Standortentscheidungen jeglicher Art einfließen. Gerade weil die Kommunen unter der Politik dieser Bundesregierung, die die weitestgehende Abwälzung finanzieller Verantwortung auf Städte und Gemeinden zur Richtschnur erhoben hat, zu leiden haben, ist die Regierung, ist der Bund hier besonders in der Pflicht.
Ich will noch einen anderen Punkt ansprechen: Es kann auch nicht angehen, daß - wie etwa im Bereich der Wehrtechnik - Personal pauschal abgebaut wird und dadurch Lücken entstehen, die gerade auf bestimmten Spezialgebieten in der Zukunft kaum zu schließen sein werden.
Wir sagen ja zur Optimierung der Betriebsabläufe, aber nein zu personeller und infrastruktureller Aushungerung von Einrichtungen, die letztendlich nur dazu dient, eines Tages wegen absehbar entstehender Mängel in der Aufgabenerfüllung mit dem Knüppel der Privatisierung zu drohen.
Meine Damen und Herren, immer wieder wird von der Truppe selbst und von Politikern - wir nehmen uns da nicht aus - die mangelnde Attraktivität der Bundeswehr beklagt. Ich habe heute einer Tickermeldung entnommen, daß das drohende Personalloch bei den Zeitsoldaten inzwischen dadurch geschlossen werden soll, daß man Soldaten als Zeitsoldaten akzeptiert, die nicht die volle Wehrfähigkeit haben. Aber daß das Loch dasein wird, Herr Minister, können Sie nicht bestreiten. Wir haben im Haushalt schon von Zeitsoldaten zu Grundwehrdienstleistenden umgeschichtet. Wenn das so ist, Herr Rühe, müssen auch ein paar fundierte Vorschläge zur Beseitigung dieses Mißstandes her. Dann kann man die jungen Männer nicht nur mit ganzseitigen Zeitungsanzeigen dafür begeistern, daß sie ihren Dienst tun.
Steigern Sie die Attraktivität unter anderem dadurch, daß Sie den Soldaten gute Berufsperspektiven geben! Ein Beispiel dafür wäre die von uns angeregte Feldwebellaufbahn.
Die für diese Maßnahme erforderlichen und verhältnismäßig geringen Kosten würden sich meines Erachtens tausendfach zugunsten von besser ausgebildeten Führern in der Truppe, größerer zivilberuflicher Anerkennung und besseren Chancen für den Aufstieg auszahlen. Sie haben sich diesem Vorschlag leider vom Hause und vom Ressort aus verweigert.
Ein breiter Konsens über zentrale Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik ist wichtig. Es ist gut, daß er sich abzeichnet und in weiten Bereichen bereits erkennbar vorhanden ist. Das schließt ein, daß wir Sozialdemokraten - das sage ich hier ganz offen - dazu bereit sind, aus diesen Übereinstimmungen erwachsende finanzielle Belastungen mitzuverantworten und mitzutragen. Dies ist einer der Gründe dafür, daß wir unverantwortlichen Anträgen, wie sie etwa durch Bündnis 90/Die Grünen mit der parlamentarischen Initiative zur Streichung aller Beschaffungs-, Forschungs- und Entwicklungskosten für die Krisenreaktionskräfte und darüber hinaus vorgelegt worden sind, nicht zustimmen können.
Frau Kollegin Beer, Sie haben uns - ich glaube, es war in der „Zeit" - menschenverachtende Politik unterstellt, weil wir Ihrem Antrag auf Streichung von Mitteln für die Minen nicht zugestimmt haben. Ich sage Ihnen: Wir haben eine Haushaltssperre beantragt, um zu erfahren, was geschieht. Wir bleiben bei dieser Linie der konkreten, sachlichen Diskussion. Ich sage weiter: Wir haben letztlich interfraktionell erreicht - das wurde schon heute morgen angesprochen -, daß im Einzelplan 05 Mittel für die Minenräu-
Ernst Kastning
mung in den Entwicklungsländern eingesetzt werden.
Ich darf Ihnen versichern: Sowohl an dieser Maßnahme wie an der anderen werden wir dranbleiben.
Es hat mich geradezu vom Stuhl gehauen, was Herr Zwerenz von der PDS vorhin gesagt hat, nämlich daß wir nicht mehr bedroht würden und deshalb keine Bundeswehr mehr bräuchten. So habe ich ihn verstanden. Das kommt mir so vor, als würde in dem kleinen Dorf, in dem ich wohne, der Bürgermeister sagen: Wir brauchen keine Feuerwehr. Wenn es dann brennt, sammelt er in der Gemeinde, und wenn er das Geld zusammen hat, dann ruft er eine große Firma in Ulm an und fragt: Wann könnt ihr denn das Feuerlöschfahrzeug liefern? Dann braucht man aber nicht mehr zu löschen.
Ich füge hinzu: Dieses Bekenntnis zur Notwendigkeit von Sicherheitsvorkehrungen beinhaltet nicht - um wieder zu dem Bild des Dorfbürgermeisters zu kommen -, daß ich etwa da, wo kein Hochhaus vorhanden ist, eine motorisierte Drehleiter bestelle.
So kritisch, sachlich und seriös sollten wir Verteidigungshaushalte beraten und dann entscheiden.
In einer Zeit knapper Kassen müssen eindeutig die Mittel Vorrang haben, die der Sicherheit unserer Soldaten dienen. Dazu gehören eine gute Ausbildung und das notwendige Material und Kampfgerät, das den Soldaten diese Sicherheit gewährt. Soldaten einsetzen heißt auch, Verantwortung für diese Menschen und ihre Familien zu übernehmen.
Wenn die Garantie des Kabinetts, den Verteidigungshaushalt nicht anzutasten, dazu dient, diese Aufgaben zu erfüllen, dann gehen wir so weit mit. Wir gehen aber nicht mit, wenn die Plafondgarantie dazu dienen soll, willkürliche Maßnahmen und schludrige Haushaltspolitik zu kaschieren. Wir gehen schon gar nicht mit, wenn das Haushaltsrecht regelrecht verbogen wird, wie das in diesem Jahr bei den Mehrkosten für die Entwicklung des Jägers 90, also des EF 2000, geschehen ist.
Dieses Jahr hat an mehreren Beispielen gezeigt, wie man eine Kabinettsgarantie mißbrauchen kann. Es sind mehrere hundert Millionen DM gewesen, und zwar mehr als im Vorjahr - ich weiß, daß man nicht alles auf den Pfennig planen kann -, die man hin- und hergeschoben hat und die man schließlich für andere Projekte ausgegeben hat - auch für Projekte, von denen selbst Militärs offenbar nicht überzeugt sind, daß man sie dringend gebraucht hat -, weil die ursprünglich geplanten nicht beschaffungsreif waren.
Ich denke, Herr Rühe, das darf so nicht weitergehen. Es darf nicht noch einmal passieren, daß in der öffentlichen Berichterstattung die Nachricht die Runde macht, auf der Hardthöhe mache man sich Sorgen, weil das „Risiko von Minderausgaben" drohe. Herr Rühe, ich sage Ihnen: Wenn Sie das zulassen, machen Sie es allen schwer. Herr Blüm hat ähnliche Probleme mit Ihnen oder Sie mit ihm. Wer im Laufe eines Jahres Mittel so hin- und herschiebt, der schadet der Bundeswehr, weil er damit das Verständnis in der Bevölkerung für die Sicherheitsaufgaben bei knappen Kassen wirklich tangiert und gefährdet.
Meine Damen und Herren, ich könnte für dieses Jahr eine Reihe von Beispielen dafür aufzeigen, wie auch beim Verteidigungsetat bei den Haushaltsberatungen offenbar nicht sachgerecht vorgegangen worden ist.
Herr Kollege Austermann, wenn ich für die SPD beantragt habe, bei der Instandsetzung von Kraftfahrzeugen 10 Millionen DM einzusparen, und Sie das ablehnen, weil kein Pfennig übrig sei, und wenn dann auf einmal eine Vorlage aus dem Finanzministerium kommt, man könne diesen Titel um 80 Millionen DM kürzen, dann frage ich Sie: Wo ist da noch ein sachgerechtes Vorgehen? Das ist Willkür.
Sie haben es dann verhindert, weil Sie Angst bekommen haben; denn die Hälfte aller Bundeswehrfahrzeuge hätte im nächsten Jahr nicht mehr gewartet werden können.
Ich könnte noch mehrere Beispiele nennen.
Ich habe eine Kürzung um 5 Millionen DM bei der Bewirtschaftung von Grundstücken, Gebäuden und Räumen vorgeschlagen, weil man davon ausgehen kann, daß es technische Investitionen gibt, die zu Ersparnissen führen. Unmöglich, sagt die Hardthöhe, weil das alles spitz gerechnet sei. In der Bereinigungssitzung werden aber kurzerhand 30 Millionen DM in diesem Titel gestrichen. Das kann man ja einfach so machen.
Meine Damen und Herren, der Haushalt, der hier jetzt zur zweiten und dritten Lesung vorgelegt wird, trägt nicht die Züge sinnvoller Planung, sondern eher willkürlicher Mehrheitsentscheidungen.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt kurz ansprechen. Ein trauriges Kapitel ist nämlich die Auseinandersetzung um die Gelder für die Nachversicherung der Berufs- und Zeitsoldaten in der Rentenversicherung. Da verkündet die Hardthöhe zunächst, sie könne im nächsten Jahr 594 Millionen DM aus diesem Ansatz erübrigen. Das sei spitz gerechnet und gesetzlich alles in Ordnung. Dann protestiert jemand aus der F.D.P. und offensichtlich Herr Blüm. Daraufhin wird in einer Nachtsitzung vor der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses gesagt: Nein, 400 Millionen DM müssen zurück, obwohl man sie schon bei Beschaffungen zugeschlagen hatte. Entweder waren die angesetzten Geldmengen für
Ernst Kastning
die Bundeswehr notwendig, dann müßte ihr die Streichung bei der Beschaffung jetzt schaden,
oder aber die eingesetzten Geldmengen waren nicht notwendig, dann waren Spielräume von mehreren hundert Millionen DM vorhanden, und dann hat man hier gegen eine sparsame Haushaltsführung verstoßen.
Meine Damen und Herren, ich will ja nur, daß bei allem Bekenntnis zur Bundeswehr und dem, was nötig ist, auch dieser Haushalt sachgerecht beraten wird und daß dort keine Sparkassen versteckt werden, über die sich im Laufe des Jahres auch Koalitionäre ärgern müssen, weil die Stimmung in der Bevölkerung auf den Nullpunkt gebracht wird, was die Bundeswehr angeht.
Noch eine Bemerkung zum Bosnien-Einsatz: Ich habe zu denen gehört, die zum ersten Einsatz schon ja gesagt haben. Ich leite besonders auch daraus das Recht ab, als Haushälter zu fragen, wie der BosnienEinsatz finanziert werden soll. Ich möchte ihn, auch im nächsten Jahr, wenn denn alles stimmt, Herr Minister, und wenn auch die Soldaten, die da eingesetzt werden, vernünftig ausgestattet sind. Ich habe gehört, daß Sie unter anderem Soldaten aus Ostdeutschland mit einer Besoldung da hinschicken wollen, die nicht der der Soldaten aus dem Westen entspricht. Ich würde noch einmal darüber nachdenken, ob das vernünftig ist. Ich möchte also wissen, wie wir das finanzieren. Ich möchte wissen, woher wir das Geld nehmen. Oder soll das der Verteidigungsminister aus seinem Plafond erwirtschaften? Dann werden wir noch Probleme bekommen. Darüber muß doch im Rahmen von Haushaltsberatungen geredet werden, ohne daß man jemandem unterstellt, er sei gegen den Einsatz. Das ist ein Mangel dieses Verteidigungshaushalts, ein ganz großer.
Meine Damen und Herren, ich will auch noch etwas zur Rüstungsindustrie sagen, weil sie zur Beratung des Haushalts ja immer auf der Matte steht. Es ist für mich und für uns klar, daß wir im Bereich der Beschaffung nur Mittel ausgeben können, die auf Grund unserer Sicherheitspolitik tatsächlich erforderlich sind.
Es ist selbstverständlich - da herrscht Gott sei Dank Konsens unter den Berichterstattern der Koalition und der SPD -, daß, wenn Aufträge auch im Rahmen europäischer Lösungen vergeben werden, die deutsche Industrie beteiligt wird. Wir müssen darauf drängen, daß es dort, wo Aufträge in das außereuropäische Ausland gehen, Kompensationslösungen gibt. Denn die Zeit für Einbahnstraßen ist wirklich vorbei. Das heißt auch, daß wir ein Mindestmaß an wehrtechnischer Kapazität, gerade auch im Hochtechnologiebereich, erhalten müssen, aber in einem gewissen Rahmen. Wir sind nicht bereit, den Rahmen des Rüstungsexportrechtes zu sprengen.
Die Industrie wird sich darauf einstellen müssen, daß hier keine totale Freigabe geschehen kann. Die Regeln dafür liegen fest; sie müssen eingehalten werden. Zukunftsgerichtete Unternehmen sollten wissen, daß ihr Standbein nicht mehr allein Rüstung sein kann, daß sie sich umorientieren sollten. Es gibt dafür positive Beispiele, die hoffentlich in der Wirtschaft Schule machen.
Meine Damen und Herren, mir scheint, daß dieser Verteidigungsetat in seinem Plafond etwa auf der Höhe von 1995 ausreichen müßte, um eine auftragsgerechte Struktur zu erhalten bzw. herzustellen.