Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Beginn eine Bemerkung zum Haushalt: Ich möchte mich bei dem Finanzminister sowie bei den Verteidigungs- und Haushaltspolitikern der Koalition bedanken. Denn ich weiß, daß es angesichts der allgemeinen Finanzschwierigkeiten nicht einfach ist, einen stabilen Haushalt im Bereich der Verteidigung vorzulegen. Aber genau das ist gelungen. Wir sind weiterhin gezwungen, äußerst sparsam zu sein. Aber das Wort gegenüber den Soldaten, daß wir eine stabile Haushaltsperspektive in den nächsten Jahren haben, ist gehalten worden.
Das, was die Bundeswehr an Einsparungen durch Rationalisierung und auch durch Personalabbau erbringt, wird schon im Haushalt des nächsten Jahres für mehr Investitionen bis hin zu einem Anteil von 25 Prozent genutzt. Das ist auch notwendig, um die Bundeswehr in eine moderne Zukunft zu führen. Wir sind zuversichtlich, daß wir Ende der 90er Jahre auf einen Anteil von 30 Prozent kommen können.
Ich denke, angesichts der Konferenz in Dayton, Ohio, wo in den nächsten Tagen wirklich viel auf dem Spiel steht und wo im Falle eines Friedensabkommens, wie es das bisher noch nicht gegeben hat, möglicherweise der Einsatz von NATO-Soldaten unter Einschluß der Bundeswehr für erforderlich gehalten wird, aber auch angesichts der letzten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stände es uns gut an, in dieser Debatte nicht nur über Zahlen und den Haushalt zu sprechen, sondern uns noch einmal der ethischen Grundlagen und auch der praktischen Pflichten unserer Politik der Friedenswahrung und der Friedenssicherung zu vergewissern.
Militärbischof Dr. Löwe hat bei dem ökumenischen Gottesdienst zum 40jährigen Bestehen der Bundeswehr hier in Bonn Worte gesagt, für die ich ihm dankbar bin. Das habe ich auf der Tagung der EKD-Synode am Sonntag auch zum Ausdruck gebracht. Er sagte:
Wofür Soldaten einstehen, das ist nicht schon der Friede Gottes. Aber den irdischen Frieden, die Abwesenheit von Krieg, die wir zusammen mit der Politik ganz wesentlich auch der Bundeswehr verdanken, dürfen wir nicht selbstverständlich nehmen, nicht gedankenlos wahr sein lassen.
Der Militärbischof hat die Soldaten in seiner Dankesrede als „Diener des Friedens" bezeichnet. Das hat ihnen gutgetan, und ich denke, das ist auch eine geglückte Formulierung.
Die Bundeswehr bereitet sich in diesen Tagen zusammen mit den Streitkräften der Verbündeten und Partner darauf vor, ihren Beitrag zu leisten, daß die leidgeprüften Menschen im früheren Jugoslawien endlich wieder in Gerechtigkeit und Frieden leben können. Krieg, Folter und Vertreibung dürfen nicht das letzte Wort behalten. Es geht darum, der humanitären Hilfe, dem Wiederaufbau und vor allem auch der Versöhnung zwischen den Völkern eine neue Chance zu geben.
Der Präses der Synode der EKD, Dr. Jürgen Schmude, ein früherer geschätzter Kollege aus der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei, schrieb vor zwei Jahren:
Menschenrechtsverletzungen sind eine grausame Realität in unserer Welt. Sie gehen uns alle an. Sie sind nicht eine innere Angelegenheit des Einzelstaates, sondern der gesamten Staatengemeinschaft.
So weit Jürgen Schmude. Ich denke, er hat recht.
Außen- und Sicherheitspolitik muß Krisen und Konflikten vorbeugen oder sie am Ort ihres Entstehens eindämmen, in erster Linie mit politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Mitteln. Aber politisches Verhalten kann scheitern, wenn nicht die Bereitschaft dahinter steht, notfalls auch mit militärischen Mitteln denen in den Arm zu fallen, die eben nicht friedenswillig sind. Militärische Gewalt allein kann zwar keinen dauerhaften Frieden schaffen. Wenn aber die politischen Mittel erschöpft sind, dann können Streitkräfte als äußerstes Mittel Aggression verhindern oder den Weg zur politischen Lösung wieder ebnen, so wie wir es hoffentlich im Jugoslawien-Konflikt erleben.
Der Einsatz militärischer Mittel kann sehr unmoralisch sein; wir haben das häufig genug in der Geschichte erlebt. Aber es kann ebenso unmoralisch
Bundesminister Volker Rühe
sein, Soldaten nicht einzusetzen, wenn ihr Einsatz notwendig ist, um Menschenrechtsverletzungen zu stoppen.
Dafür gibt es genug Beispiele aus der jüngsten Geschichte.
Worum es also geht, ist der verantwortliche Gebrauch von Macht, auch von militärischer Macht, zu sittlichen Zwecken. Denn wir können selbst auf Dauer nur dann in Frieden leben - auch hier in Deutschland -, wenn auch andere Völker in Europa in Frieden leben.
Die letzten Wochen haben gezeigt, daß unser maßvolles Vorgehen von einem wachsenden Konsens in Deutschland getragen wird. Ich freue mich übrigens, Herr Verheugen, daß Sie auf der Tagung des Bundeswehrverbandes, wie mir berichtet worden ist, diesen Satz voll unterschrieben haben: daß es sehr unmoralisch sein kann, Soldaten nicht einzusetzen, um gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Ich glaube, daß die Lage in Jugoslawien ganz offensichtlich ist.
Die Soldaten brauchen diesen Konsens. Wer nämlich bereit ist, in letzter Konsequenz mit Leib und Leben für unseren Frieden und unsere Freiheit einzustehen, der hat Anspruch auf Unterstützung durch uns alle.
Damit komme ich zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts. Er ist nicht zu einem Zeitpunkt des tiefsten Friedens erfolgt, sondern zu einem Zeitpunkt, in dem wir zur Kenntnis nehmen müssen, daß schon heute tagtäglich Soldaten der Bundeswehr ihr Leben riskieren und es auch verlieren, damit all das verhindert wird, von dem ich hier gesprochen habe. In einer solchen Situation haben die Soldaten einen noch größeren Anspruch auf Unterstützung und entsprechende Würdigung ihrer Arbeit.
Wir müssen davon ausgehen, daß das, was die deutschen Soldaten im Zusammenhang mit der NATO-Mission leisten müssen, kein Spaziergang ist. Ich selbst habe es erlebt: Unsere Transall-Maschinen sind mit Kanonen und Raketen beschossen worden. Mit viel Glück ist ein Abschuß verhindert worden. Plötzlich aber haben wir sieben Soldaten auf einem Routineflug verloren. Wir müssen immer damit rechnen, daß Soldaten in Ausübung ihres Berufes zum Opfer werden können. Das ist ein weiterer Grund dafür, daß wir mit ihnen ganz besonders sorgfältig umgehen müssen.
Das Bundesverfassungsgericht hat erneut über die Äußerung „Soldaten sind Mörder" entschieden. Ich meine, die Soldaten der Bundeswehr und wir alle können damit nicht zufrieden sein.
Zwar stellt das Gericht fest, daß die wertende Gleichstellung eines Soldaten mit einem Mörder eine tiefe Kränkung ist,
der verallgemeinernde Gebrauch aber ist weiterhin straffrei. Zudem ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wieder einmal nicht so eindeutig, wie es notwendig gewesen wäre, um Rechtsfrieden zu bekommen.
Klar muß sein: Das Recht auf Meinungsfreiheit ist kein Freibrief, die Würde unserer Soldaten zu verletzen. Schließlich haben unsere Soldaten 40 Jahre lang gemeinsam mit den Truppen der Alliierten dafür gesorgt, daß die Freiheit, auch die Meinungsfreiheit, geschützt wird. Dann aber kann man nicht im Namen der Meinungsfreiheit den Soldaten den notwendigen Ehrenschutz verweigern.
Unser Staat verpflichtet die jungen Männer zum Waffendienst, zum Wehrdienst, und verlangt von ihnen Gehorsam. Wir, der Deutsche Bundestag, tun dies. Wir haben die entsprechenden Gesetze beschlossen. Ich finde - da stimme ich mit dem überein, was als Minderheitsmeinung formuliert worden ist -: Ein Staat, der auf Grund seiner Rechtsordnung, auf Grund der Gesetze, die im Parlament verabschiedet werden, junge Männer bezüglich des Wehrdienstes, des Waffendienstes in die Pflicht nimmt, der hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sie auf jede Weise vor jeder Ehrverletzung zu schützen.
Ich und Sie alle mit mir, wir haben doch die Rufe während des Zapfenstreiches hier in Bonn, aber auch während des Zapfenstreichs in Erfurt, bei vielen Gelöbnissen gehört: „Mörder! Mörder!" Das ist nicht im Sinne von Tucholsky. Es ist auch nicht die serbische Soldateska, die damit angesprochen worden ist. Angetreten sind vielmehr die Wehrpflichtigen der Bundeswehr. Es muß verdammt noch mal strafbar sein, wenn in diesem Zusammenhang von Mördern gesprochen wird.
Was wir brauchen, ist Klarheit. Die Justiz muß den Ehrenschutz für die Soldaten eindeutig gewährleisten. Ich hoffe, daß die Gerichte, an die die Verfahren zurückgegangen sind und auf die eine zukünftige Entscheidung zukommt, die notwendige Klarheit herstellen. Wenn nichts anderes hilft - da bin ich für das dankbar, was Wolfgang Schäuble gesagt hat -, müssen wir über gesetzgeberische Konsequenzen nachdenken.
Ich sage es noch einmal: Die Gefahr für Leib und Leben unserer Soldaten wird zunehmen. Von daher wächst unsere Verantwortung gegenüber den Soldaten, dies klarzustellen.
Bundesminister Volker Rühe
Nächsten Sonntag, am 12. November 1995, dem 240. Geburtstag Scharnhorsts, legen junge Wehrpflichtige aller drei Teilstreitkräfte in Bordenau, dem Geburtsort des Reformers, ihr Gelöbnis als Soldaten der Bundeswehr ab. Ich werde dort sein und bin dankbar dafür, daß Vizepräsident Klose dort sprechen wird.
Wir setzen damit ein Zeichen, daß die Bundeswehr die Armee der deutschen Demokratie ist. Freiheit, Menschenwürde, Recht und Hilfe sind Werte, für die die Bundeswehr seit 40 Jahren einsteht und für die sie auch in der Zukunft mit wachsendem Risiko für die Soldaten einstehen wird. Dafür verdienen sie unser aller Unterstützung.