Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht gewußt, ich habe nicht ahnen können - da ich erst seit einem Jahr in diesem Parlament bin und vorher diese Verhandlungen nur vom Fernsehen her kannte -, wie unterhaltsam es bei Ihnen vormittags und mittags sein kann. Besonders unterhaltsam scheint es zu sein, wenn man bestimmte Biersorten erwähnt. Ich nehme an, daß es dafür Prämien gibt. Ich will deswegen keine Biersorte erwähnen, bitte aber diejenigen, die etwas bekommen, das an eine gemeinnützige Institution, vielleicht an den Tierschutzverein, weiterzugeben.
Ich bin etwas traurig: Ich wollte nach dem Verteidigungsminister sprechen; jetzt aber ist es so, daß der Verteidigungsminister nach mir spricht. Das ist eine seltsame Dramaturgie. Ich werde mich dennoch auf den Verteidigungshaushalt konzentrieren.
Gerhard Zwerenz
Es ist kein Geheimnis, daß wir von Freunden und Partnern umgeben sind, daß ein Angriff auf unser Territorium nicht bevorsteht und von niemandem erwartet wird. Vor fünf Jahren, als diese Friedensperiode begonnen hat, wurde uns deshalb eine Friedensdividende in Aussicht gestellt. Aber seltsamerweise steigen seitdem die Rüstungsanstrengungen. Neuerdings sollen auch die Ausgaben wieder steigen, nach NATO-Kriterien auf etwas mehr als 60 Milliarden DM. Weitere Steigerungen sind eingeplant. Der Verteidigungsminister spricht von der bevorstehenden notwendigen Totalerneuerung des Großgerätes der Bundeswehr.
Mit der Aufstellung der Krisenreaktionsstreitkräfte ist natürlich eine neue Beschaffungsplanung verbunden. Allein die Beschaffung des umbenannten Jägers 90 wird voraussichtlich zwischen 20 und 30 Milliarden DM kosten. Vorsichtshalber sind andere Großprojekte wie Spionagesatelliten oder neue Raketenabwehrsysteme in die mittelfristige Finanzplanung gar nicht erst eingestellt.
Ich frage mich - dies werden wir auch von den Menschen im Lande gefragt -: Was rechtfertigt diese großen Ausgaben, wenn wir doch von Freunden und Partnern umgeben sind? Diese Frage ist angesichts der Zahlen im Haushalt offensichtlich nicht zu beantworten. Aber sie ist zu beantworten; denn zum Glück haben wir ja einen obersten Soldaten der Republik, nämlich den Generalinspekteur Naumann, der uns Aufschluß darüber gibt, was mit dieser Aufrüstung eigentlich geplant und beabsichtigt ist.
Ich lese im „Spiegel" Nr. 44 vom 30. Oktober 1995, daß der deutsche Soldat auch fern der Heimat versuchen müsse, Krisen von seinem Land fernzuhalten, das während seiner Abwesenheit in Frieden lebt. - Das ist ja ein ganz vernünftiger Wunsch. Er sagt aber dazu, deutsche Militärs hätten ähnliches in diesem Jahrhundert nur zweimal, vor 1945 und in den Einsätzen seit 1992, fertiggebracht. Das ist eine seltsame Geschichtsrechnung, die da aufgemacht wird. Naumann nämlich gibt zu, daß Kriegszüge der kaiserlichdeutschen Armee in den Jahren von 1900 bis 1904 von ihm gemeint sind.
Ich stelle fest, daß der oberste Bundeswehrsoldat die Niederschlagung des Boxer-Aufstands und den Völkermord an den Hereros auf eine ganz erstaunliche Weise qualifiziert, jedenfalls so, wie man es nicht zu erwarten gehabt hätte.
Der Generalinspekteur ist, wie ich bezeugen kann, persönlich ein äußerst freundlicher Mann. Meine früheren Vorstellungen vom preußischen Militär sind durch Leute wie diesen Generalinspekteur durchaus korrigiert worden. Es ist also nicht so, daß wir an veralteten Konstruktionen festhalten.
Aber gerade hier werde ich doch mißtrauisch. Ich frage mich: Was bringt ihn dazu, sich so zu einem Zwillingsbruder Kaiser Wilhelms II. auszustaffieren? Da finde ich eine weitergehende Antwort. In Heft 1/1995 von „Soldat und Technik" schreibt er:
Zum ersten mal seit 300 Jahren erleben wir die Gunst, nicht mehr Gegenstand externen Drucks zu sein, sondern wir haben die Chance, politischer Akteur zu sein.
Genau dies bestätigt den Verdacht derer, die mißtrauisch sind. Ich meine, daß hier geplant ist, auf eine Art und Weise aktiv zu sein, wie es uns von der Linken als höchst bedenklich erscheint. Es heißt in „Soldat und Technik" weiter, militärische Mittel seien dabei immer als Ultima ratio, also als äußerstes Mittel, zu verstehen, was man akzeptieren kann. Aber es heißt weiter:
was allerdings nicht heißen darf, daß man sie immer nur als letztes Mittel anwendet.
Dies ist die Frage, die ich stelle: Was geschieht mit diesen Geldern, was geschieht mit dieser Rüstung, wozu brauchen wir eine solche militärische Aufrüstung?
Minister und Generäle sollten uns und der Öffentlichkeit erklären, wie sie sich das vorstellen. Wie wollen wir in den Staaten dieser ganzen Welt verhindern, daß es zu einer weiteren Aufrüstung kommt? Wie wollen wir die Massenvernichtungsmittel abschaffen, wenn wir sehen, daß es fortwährend Bestrebungen gibt, weiterhin aufzurüsten?
In der Einleitung zur Hegelschen Rechtsphilosophie konstatiert kein anderer als Karl Marx nach einem allgemeinen großen Lob der Kritik folgendes:
Aber die Waffe der Kritik kann die Kritik der Waffen nicht ersetzen.
Wenn ich mir diesen Satz genau überlege, muß ich feststellen, daß in diesem Hause, insbesondere auf der Regierungsseite, offenbar recht viele Marxisten vorhanden sind, denn das Militär, eben die Kritik der Waffen, bekommt einen neuen Stellenwert zugewiesen.
Ich glaube nun, daß diese Aufrüstung, daß diese Kritik durch Waffen wie in der Dritten Welt das gänzlich falsche Mittel ist. Hier wird ständig von Bedrohung geredet, von antiwestlichen fundamentalistischen Kräften, doch diesen Strömungen ist durch Aufrüstung nicht zu begegnen. Man muß ihnen anders das Wasser abgraben.
Ich weiß, daß hier ein äußerer Konfrontationskurs eingeschlagen worden ist. Ich befürchte, daß diesem äußeren Konfrontationskurs, der ganz nüchterne Realpolitik sein soll, ein innerer Konfrontationskurs entspricht. Jetzt wird für mich auch eindeutig, jetzt wird auch erklärlich, weshalb es zu solchen erstaunlichen Erscheinungen kommt wie dem Großen Zapfenstreich in Bonn. Der Herr Bundeskanzler hat sich da vielleicht einen ganz besonderen Wunsch erfüllt. Das muß man akzeptieren können. Er gehört zu einer Generation, der das Kriegspielen, das Spiel mit Zinnsoldaten 1945 gewissermaßen von der Geschichte untersagt worden ist. Das kapiere ich vollkommen.
Ich kann aber als ein etwas älterer Herr dem etwas jüngeren Herrn Bundeskanzler sagen: Es gibt dabei ganz bestimmte Gefahren. Wenn man sich schon dazu versteht, einen Großen Zapfenstreich in einer solchen Konfrontationssituation zu veranstalten, an einem Ort, wo sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die Friedensbewegung gezeigt hat, und wenn man vier bemantelte Herren sozusagen als Stelen vor diesen Zapfenstreich stellt, dann muß man
Gerhard Zwerenz
sich nicht wundern, wenn man sich erkältet. Ich war bei der Gegenkundgebung und habe mich auch erkältet. Ältere Herren sollten also diese Mythologie bitte lassen.
Ich will Ihnen noch eins sagen. Über das ,,Soldaten-sind-Mörder"-Urteil regen sich alle auf. Das wundert mich schon lange. Das ist doch juristisch eine vollkommen klare Sache. Wollen Sie denn die deutsche Geschichte auch da noch verändern? 1932 hat das Reichsgericht Ossietzky und Tucholsky freigesprochen, mit genau der gleichen Begründung, die heute mehrfach von unserem Bundesverfassungsgericht wieder vorgetragen worden ist, daß es nämlich keine Beleidigung ist, wenn man einen philosophischen, einen gesellschaftskritischen Satz sagt. Der Satz „Soldaten sind Mörder" könnte genausogut in der Bibel stehen. Er könnte überall stehen. Wir müssen zugeben, daß wir nicht damit einverstanden sein können, daß damit Soldaten oder andere beleidigt werden. Dazu gibt es Rechtsschutz. Es gibt aber keinen Grund, eine Meinungsdiktatur durchzusetzen und Sätze zu verbieten, die im Dritten Reich verboten waren, die natürlich in der DDR verboten waren. Wenn solche philosophischen, gesellschaftskritischen Sätze auch in der Bundesrepublik verboten werden, wird das dieses Land verändern. Darum geht es und um nichts anderes.