Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast wäre ich versucht, dem Haus zu einer gelungenen Parlamentsreform zu gratulieren; denn angesichts der Höhepunkte, die heute die Haushaltsdebatte um den Einzelplan des Bundeskanzlers erreicht hat, bleibt einem kaum noch eine Alternative. Es geht um die Bierstadt Kulmbach.
Man könnte fast meinen, das sei die Fortsetzung des CDU-Parteitages mit anderen Mitteln hier im Plenum: auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Ich nehme an: Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert befindet sich auch die Bundesregierung mit dem Bundeskanzler.
- Ich bedanke mich ausdrücklich für diesen Beifall;
denn zu dem, was wir heute auf dem Weg ins
21. Jahrhundert geboten bekommen haben, kann ich nur sagen: Prost Mahlzeit!
Seine Erhabenheit, der Bundeskanzler - da muß man sich fragen, welches Verfassungsverständnis Sie haben -, Sie schweigen bereits den ganzen Morgen wie ein Buddha, obwohl es darum geht, Ihren Haushalt zu verteidigen. Dabei geht es nicht um Bierstadt oder ähnliches, sondern um höchst ernste Dinge, Herr Bundeskanzler.
Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert - das ist in der Tat das zentrale Thema, um das es sich zu streiten lohnt. Nur: Darum muß auch gestritten werden. Darum geht es. Wir freuen uns alle darüber, daß der siebenhundertfünfzigtausendste Besucher die Goethe-Institute endlich erreicht hat. Aber es ist nicht das Thema des 21. Jahrhunderts, meine Damen und Herren.
Deswegen lassen Sie uns einmal zu den substantiellen Themen kommen, über die es sich wirklich in aller Ernsthaftigkeit zu streiten lohnt. Herr Bundeskanzler, ich möchte Sie auffordern, mit diesem kindischen Spiel aufzuhören. Sie haben Ihren Haushalt zu vertreten. Kommen Sie hierher und vertreten Sie ihn. Das ist der entscheidende Punkt. Ich finde es höchst albern, wie Sie sich heute morgen hier gebärden.
Meine Damen und Herren, der CDU-Parteitag war insoweit richtungsweisend. Ich betone noch einmal: Herr Hintze, Sie haben es als Oberministrant hervorragend gemacht. Die Frage, wie dieses Land in das 21. Jahrhundert geführt werden soll, wird hoffentlich die entscheidende Kontroverse aller Parteien in den kommenden Jahren und wird hoffentlich der Entscheidungsmaßstab für die nächsten Bundestagswahlen sein. Ich glaube, darüber gibt es keinen Dissens, und kann es unter Demokraten keinen Dissens geben. Sehen Sie sich die Ergebnisse Ihres Parteitages an und wie Sie auf dem Weg in das 21. Jahrhundert erst einmal in der Vorbereitung bestimmte gesetzliche Vorschriften ausmanövrieren mußten, Ausnahmevorschriften gewissermaßen erlassen mußten, um dort Ihre höchst fortschrittliche Verpackungsvorstellung durchsetzen zu können.
- Herr Schäuble, das mag für Sie eine Kleinigkeit sein.
Der Bundeskanzler redet immer gerne in großen Worten über Umwelt. Wenn es konkret wird, sei es bei den Öko-Steuern, sei es bei der Verpackungsverordnung oder wo auch immer, dann stellt man fest,
Joseph Fischer
daß den schönen Worten keine Taten folgen. Aber das ist für mich nicht der entscheidende Punkt.
Der entscheidende Punkt ist, daß seine Eminenz ganz persönlich für die Frauenquote angetreten ist, daß es akzeptiert wird, daß es sich hierbei um einen wichtigen Schritt auch der Frauengleichstellung in der CDU handelt. Ihr Weg in das 21. Jahrhundert sah aber so aus, daß Sie beim ersten Schritt auf die Schnauze gefallen und im 19. Jahrhundert gelandet sind.
Das war die Konsequenz, meine Damen und Herren.
- Nein, nein, das ist kein Haushalt, das ist Präludium, das ist Ihre Fähigkeit, Zukunft zu gestalten. Wir kommen gleich noch zum Regierungsteil. Keine Sorge, keine Sorge.
Ich spreche noch einmal einen ganz entscheidenden Punkt an. Sie sagen, Sie können die Zukunft gestalten. Sie sprechen dauernd über Investitionshemmnisse. Sie sehen in der wachsenden Zahl der Arbeitslosen kein bedrängendes Problem, in der wachsenden Zahl der Armen kein bedrängendes Problem, sondern Sie sehen hier hauptsächlich Leute, die sich - so Ihre Sprache, vor allem von der F.D.P. - in das soziale Netz, in die soziale Hängematte legen. Ich frage Sie: Wo ist Ihr Reformansatz in einem der entscheidenden Punkte, wo Sie persönlich direkt Verantwortung tragen, nämlich bei der Reform des öffentlichen Dienstes? Wenn ich mir ansehe, was der Bundesinnenminister vorgelegt hat, dann kann man sagen, das ist die Wiederentdeckung der Langsamkeit bei der Reform des öffentlichen Dienstes.
Wo sind denn hier wirklich substantielle Eingriffe? Wo sind denn hier die Vorschläge für einen schlanken, für einen modernen, für einen hochproduktiven, gut bezahlten öffentlichen Dienst? Sie halten doch an dem bezopften absolutistischen Berufsbeamtentum fest. Das, was Sie sich an Reformen erlauben, verdient nicht einmal den Namen Reförmchen, meine Damen und Herren.
Das ist der Maßstab, wenn Sie über Zukunftsgestaltung reden.
Schauen Sie sich doch einmal die Lage an. Jedes Mal, wenn man mit jemandem aus der Wirtschaft redet, kommt eine endlose Litanei: hohe Arbeitslosigkeit - 3,5 Millionen. Und alle sagen, es wird vermutlich auf diesem Sockel weiter in die Arbeitslosigkeit hineingehen, denn Sie weigern sich konstant, eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben. Ja, dieser
Finanzminister hatte sogar noch die glorreiche Idee, in seinem Haushaltsansatz auf entsprechende Bundeszuschüsse bei der Bundesanstalt für Arbeit zu verzichten. Die Opposition hat Ihnen von Anfang an gesagt, mein lieber Waigel, daß es sich dabei um eine reine Luftbuchung handelt. Sie werden das nicht durchhalten können. Dann kamen Sie auch, als das Haushaltsloch da war, und mußten entsprechende Milliardenbeträge nachschieben. Hohe Arbeitslosigkeit, wachsende Armut und dann das, was man von der Wirtschaft immer wieder hört - und es sind keine grünen oder sozialdemokratischen Wähler -: geringe Investitionstätigkeit, mangelnde Flexibilität, starke Bürokratisierung, sehr hohe Steuer- und Abgabenlast, hohe Arbeitskosten durch sehr hohe Lohnnebenkosten.
Meine Damen und Herren, in bezug auf die Steuer- und Abgabenlast: Ich fand es ja putzig, wie Herr Gerhardt sich heute morgen hingestellt hat - Kohl und die F.D.P. regieren; die F.D.P. seit 26 Jahren - und sagt: Die F.D.P. hat mit nichts in diesem Lande zu tun, was unbequem ist. Schuld an der hohen Steuer- und Abgabenlast sind Rot und Grün. Diese Form der Arbeitsteilung können Sie wirklich nur noch dann machen, wenn Sie, wie die F.D.P., Zukunft offensichtlich völlig aufgegeben haben. Es ist doch nachgerade grotesk. Sie, CDU/CSU und F.D.P., verantworten die hohe Steuer- und Abgabenlast. Wenn wir über hohe Arbeitskosten sprechen, dann reden wir hauptsächlich darüber, daß diese Bundesregierung wesentliche Teile der Einheit über Lohnnebenkosten finanziert. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.
- Ich freue mich ja, daß Sie wieder den Mund aufbekommen. Er war ja versiegelt.
Der Kollege Riedl hat ja, um jetzt nochmals auf ihn zurückzukommen - in Kulmbach sind Männer gefragt -, offensichtlich an jenem Wochenende Kulmbacher Bier getrunken, als er den Brief an seinen Parteivorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden geschrieben hat, in dem er wegen der Haushaltslage, wegen der Haushaltslöcher des Theo Waigel Alarm schlug.
Graf Lambsdorff hat ja dann ebenfalls eine klare Sprache in der Öffentlichkeit gefunden, indem er sagte: Dieser Haushalt ist auf das höchste gefährdet. Ich meine, der Bundeskanzler hat als Antwort darauf den Grafen Lambsdorff gewissermaßen zur politischen Entmündigung freigegeben, und seitdem schweigt er. Die F.D.P. versteckt ihn auf den hinteren Bänken.
Herr Weng schweigt. Sie wissen doch ganz genau, daß das, was hier als Haushalt und als Haushaltsausgleich vorgelegt wurde, auf mehr als dünnen und wackligen Beinen steht. Wenn die wirtschaftliche Entwicklung nur noch etwas rückläufig ist - das wissen Sie, Herr Weng, genauso gut wie ich - werden Sie erkennen, daß Sie mit Einmalverkäufen die struk-
Joseph Fischer
turellen Defizite nicht werden lösen können. Das ist genau das, was Sie fürchten.
Nein, meine Damen und Herren.
Und zu den Helden von der F.D.P.: Was wird denn nun mit der Kinderstaatsangehörigkeit?
- Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert: Das sagen wir nicht. Das ist die Antwort; das finde ich hervorragend.
Es ist grotesk, wenn man sich die Situation hier in Deutschland anschaut. Ich war in der letzten Woche in Amerika. Man kann es keinem, ob einem Konservativen oder Demokraten, erklären, warum Menschen, die hier geboren sind, die hier seit 20, 30 Jahren leben, die in Frankfurt geboren und aufgewachsen sind, nicht selbstverständlich die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen,
wenn sie sie wollen.
Ich frage einmal die Helden von der F.D.P.: Wann endlich kommen wir hier zu einer Lösung, damit dieses überständige, absurde Staatsangehörigkeitsrecht endlich europäisch- demokratisch modernisiert wird.
Das ist einer der Punkte, bei denen ich mich freuen würde, wenn Sie endlich einmal Mumm zeigen würden und das durchsetzen könnten. Aber bis zum heutigen Tage bekommen wir immer nur Ihr zustimmendes Nicken, aber keine Taten. Das ist das ganze Problem.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Alle Welt spricht heute von der Notwendigkeit, auf die weltwirtschaftlichen Veränderungen seit 1989/90 zu reagieren.
- In der Tat, jetzt kommt's. Die Frage ist: Was kommt jetzt?
Jetzt kommt die Deregulierung und Privatisierung. Und als ob Sie es geahnt hätten, setzen Sie sich da vorn hin, um sich entsprechend rote Ohren zu holen.
Herr Haussmann, eine der entscheidenden Fragen der zukünftigen wirtschaftlichen Gestaltung
wird die Frage des ökologischen Umbaus sein.
Die Frage des ökologischen Umbaus wird daran festgemacht werden, wie man mit Energie umgeht.
Jetzt frage ich Sie: Wo ist denn der Deregulierungsvorschlag? Wo ist denn entsprechend der Entmonopolisierungsvorschlag dieser Helden der Marktwirtschaft, bezogen auf leitungsgebundene Energie auf dem hochregulierten und hochmonopolisierten Stromsektor? Wo kommt das denn von der F.D.P.?
Von uns werden Sie einen Deregulierungs- und Entmonopolisierungsvorschlag bekommen. Ich freue mich heute schon auf die Zustimmung dieser Helden der Marktwirtschaft. Ich bin gespannt, ob Sie zustimmen werden. Die Trennung von Produktion und Netz wird ein ganz, ganz wichtiger Gesichtspunkt werden.
Ebenso wichtig ist die Frage des freien Netzzuganges. Denn ich kann es nicht verstehen, wie Stromkonzerne in Deutschland argumentieren. Schauen Sie nicht so kritisch, Herr Wieczorek.
Ich weiß, daß Sie da vielleicht Bedenken haben, völlig klar. Aber da müssen Sie durch. Das schaffen Sie; da bin ich sicher.
Ich begreife nicht, warum dieselben Stromkonzerne bei der Frage der Privatisierung der Telekommunikation wie selbstverständlich den freien Netzzugang als eine der Voraussetzungen für eine wirkliche Privatisierung im Telekommunikationsbereich fordern, sich aber mit Händen und Füßen gegen einen freien Netzzugang bei der Stromproduktion wehren.
Wir versprechen uns davon endlich die Mobilisierung von Einsparpotentialen. Wir versprechen uns davon auch die Mobilisierung von zusätzlichen Chancen für den Mittelstand, auch im ländlichen Raum für die Landwirtschaft. Wir versprechen uns davon auch Chancen für die Mobilisierung dezentraler Energie-, Kraft- und Wärmeerzeugung. Das alles wird auf dem Tisch dieses Hauses liegen. Das ist der Weg ins 21. Jahrhundert. Den müssen wir gehen.
Joseph Fischer
Auch die Verkehrspolitik wird einen zentralen Stellenwert haben. Wir werden ja immer als Technikfeinde bezeichnet. Ich gebe ja zu: Im Verhältnis zum Bundeskanzler bin ich ein echter Technikfeind, zum Beispiel wenn ich nachts durchs Internet surfe. Ich bin Technikfeind bei der Arbeit - im Gegensatz zu Ihnen. - Das ist ja ein wirklich schönes Thema auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Nur, glauben Sie, daß Sie das verkörpern können?
- Nein. Sie sind Geschichte - im guten und im schlechten Sinne. Das wollten Sie immer werden; das haben Sie erreicht.
Aber Zukunft werden Sie nicht mehr sein.
Das ist, wenn Sie so wollen, drei Zentner Fleisch gewordene Vergangenheit. Das ist ja das große Problem der CDU: Sie denkt doch Tag und Nacht nur über eines nach: Wie können wir den Wechsel im Kanzleramt herbeiführen, ohne daß wir die Macht verlieren? Ihnen ist das bisher noch nicht eingefallen; deswegen sind Sie noch da. Das ist der entscheidende Punkt, meine Damen und Herren.
Schauen Sie sich doch einmal die Verkehrspolitik an. Jetzt kommen Sie mit dem Transrapid. Ich bin kein Gegner der Magnettechnik.
- Nein. Wollen Sie das Argument hören? - Dann hören Sie zu!
Wir befinden uns doch in einer verkehrspolitischen Umbruchsituation. Wir werden in diesem Deutschland, in der Mitte Europas gelegen, riesige Transitprobleme bekommen - von den Quellverkehren ganz zu schweigen. Nachts ist ein endloser Güterzug auf den Bundesautobahnen unterwegs.
Der entscheidende Punkt ist: Ich verstehe nicht, warum wir jetzt zusätzlich auf eine Technik setzen, die sehr viel teurer als die bewährte Rad-SchieneTechnik ist, ohne daß die technischen und verkehrspolitischen Vorteile der Magnetschwebebahn nur annähernd dieses Risiko rechtfertigen würden. Ich argumentiere nicht technisch gegen die Magnetschwebebahn, sondern ich argumentiere verkehrspolitisch, und ich argumentiere finanzpolitisch dagegen.
Jetzt brauchen wir in der Tat verstärkte Anstrengungen, um alle Möglichkeiten zu nutzen, damit in der Tat so etwas wie eine zweite Eisenbahnrevolution im Nah- und im Fernbereich gelingt.
Da hat Europa zum Beispiel gegenüber Amerika einen riesigen Standortvorteil. Die Infrastrukturentscheidungen in der Energiepolitik und in der Verkehrspolitik werden auf die Arbeitsplätze von morgen und übermorgen und auch auf die Exportchancen entscheidende Auswirkungen haben.
Deswegen bin ich der Meinung, wir sollten dieses Geld lieber in den Ausbau der Rad-Schiene-Verkehrswege einsetzen. Wir sollten bei Energiesteuern nicht von Steuersenkungen reden, sondern wir sollten von Steuererhöhungen reden, weil höhere Energiesteuern dazu führen, daß wir die Investitionen im öffentlichen Personennahverkehr und -fernverkehr steigern können. Gleichzeitig produzieren wir dadurch Chancen für neue Techniken auch und gerade im Automobilbau, in der Automobilindustrie. Das ist Zukunftsgestaltung des 21. Jahrhunderts.
Lassen Sie mich noch zwei Punkte ansprechen. Punkt eins: Sie reden immer über Modernisierungen. Sie reden aber nie über die Modernisierung zu sozial gerechten Bedingungen. Das werden Sie mit uns nicht bekommen.
Wenn Sie über Flexibilisierung reden - es mag sein, daß Flexibilisierung notwendig ist -, werden wir gleichzeitig über mehr Arbeitszeitsouveränität der abhängig Beschäftigten reden und darüber Vereinbarungen treffen müssen.
Sie haben Herrn Zwickel nur in einem Punkt zitiert. Ich würde mir wünschen, diese Bundesregierung hätte nur 10 Prozent der Modernität der IG Metall.
Meine Damen und Herren, wo gibt es das in einem anderen Land, daß an der Spitze der technischen und ökonomischen, aber auch der sozialen Modernisierungsdiskussion der Vorsitzende der größten Einzelgewerkschaft steht? Das zeigt doch, wie wenig zukunftsfähig diese Regierung tatsächlich ist.
Ich kann nur sagen: Ich möchte der IG Metall zu dieser Initiative nachdrücklich gratulieren. Wir haben schon bei Betriebsvereinbarungen bei Opel, bei VW, bei BMW, bei der Deutschen Pirelli Erfahrungen gemacht. Das alles sind Schritte nach vorne. Wenn Sie das politisch umsetzen würden, wenn Sie nicht immer nur die Frage stellten, was es nützt und wie wir bessere Profitmöglichkeiten bekommen, sondern auch die soziale Dimension berücksichtigten, wenn Sie also beides zusammenfügen würden, dann würden Sie unsere Unterstützung haben. Wenn Sie allerdings diese Gelegenheit nutzen wollen, um in der Frage der sozialen Gerechtigkeit weiter von unten
Joseph Fischer
nach oben zu verlagern, werden Sie unseren entschiedenen Widerstand bekommen.
Meine Damen und Herren, nun lassen Sie mich zum Schluß noch eine Frage ansprechen. Selten wird soviel geheuchelt wie bei dem Thema Europa. Herr Bundeskanzler, sozusagen die geringste Differenz zwischen uns in der Politik gibt es in der Europapolitik. Ich zitiere Sie immer vorbehaltlos zustimmend, wenn Sie sagen: Die Frage der europäischen Einigung ist nicht zuerst eine Frage der Wirtschaft, sondern eine Frage von Krieg und Frieden in Europa im 21. Jahrhundert. Ich stimme nachdrücklich auch François Mitterrand zu, der die Hauptgefahr im Nationalismus ausmachte und in seiner letzten Rede vor dem Europäischen Parlament sagte: Nationalismus, das ist der Krieg in Europa.
Aber Sie werden die Währungsunion nicht so hinbekommen wie die deutsch-deutsche Währungsunion. Da hatten Sie 17 Millionen Menschen, die die Währungsunion wollten.
- Jetzt muß ich gleich wieder schreien, um mich durchsetzen zu können. Ich will ruhig argumentieren.
Ich sage Ihnen nochmals: Ich bin nachdrücklich der Meinung, daß es zum europäischen Einigungsprozeß inklusive Währungsunion und politischer Union keine Alternative außer einer furchtbaren gibt. Aber wir müssen doch zur Kenntnis nehmen: Wenn es zu einer Währungsunion kommt, dann müssen die ökonomischen Daten stimmen. Was wir auch brauchen, das ist eine Debatte darüber hier in Deutschland und in anderen europäischen Ländern. Weil es nur dann, wenn die Menschen überzeugt sind, nicht zu einer Flucht von Sparern und Anlegern etwa in den Schweizer Franken kommen wird - Sie werden doch der erste sein, der eine Vollbremsung macht, wenn dies passiert -, brauchen wir eine ehrliche Debatte darüber. Ehrlich heißt, daß die Fakten auf den Tisch müssen und daß diejenigen, die die Fakten auf den Tisch legen, nicht gleich wieder als diejenigen denunziert werden können, die Europa nicht wollen.
Allerdings bin ich der Meinung: Man sollte auch mit Begrifflichkeiten vorsichtig sein. Vor einem nationalen Thema scheue ich mich. Ich finde, das ist ein falscher Begriff. Den sollte man in diesem Zusammenhang nicht verwenden. Das will ich einmal klipp und klar sagen.
Deswegen müssen Sie, Herr Bundeskanzler, hier sagen, wie es gehen soll, und zwar nicht mehr nur in der Zielbeschreibung. Vielmehr muß der Weg von der Regierung definiert werden. Wird es gehen? Ist eine Währungsunion mit Frankreich aus gegenwärtiger Sicht denkbar? Ist sie ohne Frankreich denkbar? Ich halte es für absurd, eine Währungsunion ohne Frankreich auch nur anzudenken. Wie geht das zusammen: Vertiefung über die Währungsunion und gleichzeitig Ihre Zusage an Polen, im Jahre 2000 unmittelbar vor dem Eintritt in die EU zu stehen oder bereits Mitglied zu sein? Das alles sind Fragen, Herr Bundeskanzler, die endlich hier von Ihnen konkret beantwortet werden müssen. Denn die Alternative wird nicht sein, daß die Linke Ihnen die größten Schwierigkeiten macht. Hier auf den vielen leeren Plätzen, die Sie sehen,
werden die Anhänger der Esperantogeld-Agitation sitzen. Das wissen Sie so gut wie ich. Deswegen verlange ich von Ihnen, ohne Wenn und Aber ja zu einem demokratischen europäischen Einigungsprozeß zu sagen. Aber wir verlangen genauso von Ihnen, daß Sie heute hierher kommen und diesen Weg endlich konkret definieren und sich nicht mehr ins Wolkige flüchten. Sonst wird es nämlich mit dem Weg in ein gemeinsames Europa im 21. Jahrhundert nichts werden.