Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe heute morgen ein Stück Belehrung über die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland entgegengenommen.
Herr Verheugen, es wäre klüger gewesen, Sie hätten Ihre Beteiligung an wichtigen außenpolitischen Schritten dieses Landes, die damals richtig waren und zur Chance der Vereinigung geführt haben, zugegeben, hätten Ihre Verantwortung übernommen, anstatt die Außenpolitik komplett als verfehlt und in die falsche Richtung gehend darzustellen.
Tatsache nämlich ist: Die Entscheidungen in den zentralen Fragen der Außenpolitik, die nicht zuletzt vor wenigen Wochen von der Koalition getroffen worden sind, haben sich als richtig erwiesen, Ihre Vorschläge als falsch. Immer dann, wenn es in außenpolitischen Fragen ernst wurde, von der NATO-Nachrüstungsfrage bis hin zum Bosnien-Einsatz, haben Sie nein gesagt. Wir haben mit all unserer Kraft dafür gekämpft, daß die richtigen Entscheidungen getroffen wurden.
Wir haben diese Entscheidungen getroffen und öffentlich durchgesetzt. Sie aber haben sich auf sehr populistische Wege begeben.
Unser Vorwurf bei dem Thema Währungsunion, das Sie nun auszugraben beginnen, ist der gleiche. Auch wir wissen, daß in Deutschland eine kollektive Erinnerung an zwei Hyperinflationen vorhanden ist. Wir warnen Sie aber, von dem Grundsatz abzugehen, daß Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, auf den Weg zu einer stabilen Währung zu gelangen. Wenn Sie jetzt den Druck durch den Maastricht-Vertrag und seine Termine beseitigen, werden andere Länder nachlassen - das wissen auch Sie -, so daß der Weg zum Ziel eher instabil wird. Dann sind Sie die ersten, die hier im Bundestag aus innenpolitischen Gründen Anträge zur Erhöhung der Ausgaben stellen, anstatt Sparsamkeitsappellen zu folgen.
Wir wissen, daß der Maastricht-Vertrag und die Europäische Währungsunion in Deutschland ein schwieriges Thema sind. Wir wissen, daß dieses Land in manchen Identitätsfragen zurückgeworfen werden kann, auch bezüglich der stabilen Währung, die die Menschen erarbeitet haben. Sie wissen aber ebenso wie wir: Eine Stabilitätsinsel Deutschland wird es nicht geben. Es muß eine Stabilität in ganz Europa geben: ökonomisch, ökologisch und sicherheitspolitisch. Das ist der Kern des Weges, der hier vertreten wird.
Wir sind genau wie Sie für die Prinzipien der Geldwertstabilität, die die Menschen in Deutschland brauchen. Wir sind genau wie Sie für die Einhaltung der Konvergenzkriterien. Wir sind aber im Gegensatz zu Ihnen nicht für die Irritationen unserer europäischen Nachbarn bei Verträgen, die wir mit abgeschlossen haben und auf die sich diese Nachbarn müssen verlassen können; denn verläßliche Außenpolitik verlangt auch Verläßlichkeit in bezug auf Verträge.
- Herr Fischer, ich wundere mich ohnehin schon lange, daß Sie in den letzten Sitzungen nicht mehr geredet haben. Sie sind in außenpolitischen Fragen zu einem echten minderheitspolitischen Sprecher bei den Grünen geworden. Bei der SPD ist Zweifel an der Verläßlichkeit geboten; bei Ihnen liegt die Unzu-
Dr. Wolfgang Gerhardt
verlässigkeit offen zutage. Sie werden mit Ihrer außen- und sicherheitspolitischen Konzeption keine Mehrheitsfähigkeit bei den Grünen erreichen. Deshalb sind wir einstweilen darum bemüht, sie abzuwehren. Sie sind in dieser Situation der Bundesrepublik Deutschland nicht regierungsfähig
Vorhin ist gesagt worden - da besteht zwischen uns keine Differenz, Herr Verheugen -, daß die Bundesrepublik Deutschland alle internationalen Bemühungen anstellen muß, um Menschen zu helfen und Stabilität in den Regionen herzustellen. Die moralische Kernfrage aber ist auch für die Sozialdemokraten, ob sie notfalls bereit sind, wenn irgendwo Völkerrecht gebrochen wird, Soldaten dorthin zu schikken, um Menschen daran zu hindern, andere Menschen umzubringen. Diese Frage beantworten Sie nicht, jedenfalls nicht bis zum Ende. Darauf möchten wir Sie heute morgen hinweisen.
Die sozialdemokratische Partei ist bezüglich der Rechte gerne in den Vereinten Nationen. Sie ist aber im Kern nicht bereit, die Pflichten aus der Völkergemeinschaft, die sich für die Bundesrepublik Deutschland ergeben, zu erfüllen.
Aus dieser Aufgabe aber können wir Sie nicht entlassen. Das ist eine Kernfrage der Verläßlichkeit der Politik in Deutschland.
Dazu gehört dann auch eine Klarstellung, die für unser Land wichtig ist, meine Damen und Herren: Soldaten sind keine Mörder. Die Soldaten der Bundeswehr verrichten einen Friedensdienst. Sie haben sich mit ihrer Entscheidung verpflichtet, unser Land zu verteidigen. Wir müssen auch bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die juristisch begründet sind, in der Öffentlichkeit aber erklärt werden müssen, sagen können, daß diejenigen, die in unserem Staat für die Bewahrung von Freiheit und Frieden den Dienst in der Bundeswehr leisten, keine Mörder sind und auch nicht als solche bezeichnet werden dürfen.
Ich zitiere einen Satz, den unser Freund und Kollege Hans-Dietrich Genscher bei der damaligen Debatte hier gesagt hat: Das Recht auf freie Meinungsäußerung selbst würde in seinem Kern beschädigt, wenn diejenigen, die dieses Grundrecht schützen, als Mörder bezeichnet werden dürften. Darüber gibt es mit den Liberalen nichts zu streiten.
Wir haben vor wenigen Tagen gemeinsam das große Jubiläum der Bundeswehr gefeiert. Und es ist zu Recht notwendig, heute morgen den Soldaten und ihren Familien zu sagen: Wir wissen, was sie für unser Land tun.
Meine Damen und Herren, eine berechenbare Außenpolitik ist eine Grundvoraussetzung für unser Land. Das ist kein beliebiger Punkt, über den jeder Streit begonnen werden könnte; denn dieses Land in der Mitte Europas ist auf Grund seiner geographischen Lage und seiner Geschichte wie kein anderes auf das Vertrauen der anderen angewiesen. Deshalb ist die Debatte über die Währungsunion, die Herr Schröder begonnen und die Herr Scharping mit dem Hinweis auf irgendeine Idee fortgeführt hat, nicht nur für die innenpolitische Situation gefährlich, weil man auf falsche Gedanken zurückgreift, sondern auch für die außenpolitische Situation sehr riskant, meine Damen und Herren. Das ist kein Punkt, mit dem man Wahlkampf führen sollte. Auch die Parteien haben die Aufgabe, Meinungsbildung bei den Menschen herbeizuführen. Sie haben nicht die Aufgabe, sich zu drücken, wenn es unbequem wird und wenn man Menschen über Tabuschwellen hinweghelfen muß.
Herr Verheugen hat heute morgen in einem ganz anderem Zusammenhang - dazu komme ich jetzt - sehr zu Recht einen Menschen gewürdigt, der von uns deshalb so geschätzt wird, weil er den Versuch gemacht hat, in einer ganz schwierigen Situation seinem Volk über Tabuschwellen hinwegzuhelfen, ihm zu sagen, daß es mit seinen Nachbarn auskommen muß, ihm eine Zukunft nicht mehr durch Kampf - Soldat war er ja auch -, sondern durch Frieden und die Kraft des Vertrauens zu anderen nahezulegen. Wenn dieser Mann dafür mit seinem Leben bezahlt hat, verdient er unseren Respekt. Ein Stück der Verhaltensweise, das Vertrauen der anderen zu erwerben und zu erhalten, zu wissen, daß man es braucht, täte uns allen in manchen politischen Diskussionen, die wir hier führen, gut.
Eines wird Ihnen, Herr Kollege Verheugen, nicht gelingen, und zwar die SPD als Modernisierungspartei in Deutschland darzustellen. Der Versuch ist gänzlich ungeeignet. Wir finden gerade bei Ihnen die größte Verweigerungshaltung, das größte Betondenken. Ihr Streit mit Herrn Schröder ist doch im Kern nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen Ihnen und Herrn Schröder, er ist die Auseinandersetzung darüber, ob die SPD in Deutschland strukturellen Wandel überhaupt begünstigen oder gestalten kann oder ob sie es nicht kann. Bisher haben Sie ausschließlich Antworten gegeben, die zeigen: Sie können ihn nicht gestalten. Sie mußten doch erst einmal auf den Vorsitzenden der IG Metall hören, der nun gesagt hat, er fordere Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose. Als das mein Freund und Kollege Helmut Haussmann in seiner Zeit als Wirtschaftsminister gesagt hat, ist er als böser Kapitalist beschimpft worden. Nun sagt das der Vorsitzende der größten Einzelgewerkschaft der Welt, sogar vor Ihnen sagt er das. Die Sozialdemokratische Partei ist weit hinter manchen Einzelgewerkschaften zurück, noch weiter hinter der IG Chemie.
Herr Zwickel hat tatsächlich erklärt: Lohnverzicht zugunsten von Arbeitsplätzen. Er hat noch etwas Bemerkenswertes gesagt: Er beharrt nicht mehr auf der 30-Stunden-Woche, weil er erkannt hat, daß immer
Dr. Wolfgang Gerhardt
kürzere Arbeitszeiten nicht mehr Arbeitsplätze schaffen. Aber bei der SPD ist das immer noch Beschlußlage. Auf dem Wege fahren Sie doch immer noch. Nein, wenn es in Deutschland um die Frage geht, wer hier modernisiert, dann ist die Koalition moderner und bewußter.
Jetzt spreche ich dies bei dem Symbolthema Ladenschluß offen an. Das ist eine schwere Geburt in der Koalition.
Aber wenn ich, Herr Fischer und Herr Scharping, die Äußerungen aus Ihren Parteien nehme, dann muß ich fragen: In welchem Land leben wir eigentlich? Wir alle wissen doch, daß es Menschen gibt, die gerne abends einkaufen würden. Wir alle wissen doch, daß es Bäcker gibt, die ihre Dienstleistung gerne sonntags erbringen würden. Wir alle wissen doch, daß es Menschen gibt, die gerne abends arbeiten würden, auch Menschen mit 580-DM-Verträgen. - Und wir wollen Menschen vorschreiben, wann sie zu öffnen und zu schließen haben?! Frankfurt und Hamburg, die Tore zur Welt - und die Läden um 18 Uhr schließen. Das ist doch wirklich kein Zustand in der Bundesrepublik Deutschland!