Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe ein paar Schwierigkeiten gehabt, festzustellen, an welcher Stelle der Tagesordnung wir uns eigentlich befinden.
Dem größeren Teil Ihrer Ausführungen, Herr Seiters, entnehme ich, daß wir jetzt vorrangig über den Haushalt des Auswärtigen Amtes und die Außenpolitik der Bundesrepublik sprechen. Ich möchte auch dabei bleiben und vorzugsweise zu diesem Thema reden.
Daß die Bundesregierung entgegen ihrer eigenen Behauptung schlecht gerechnet hat, ist während dieser Haushaltsdebatte schon mehrfach und heute wieder einmal zu Recht gesagt worden. Aber auch wenn sie besser rechnen könnte, wäre deswegen ihre Politik nicht besser. Das Problem ist nicht nur, daß zuviel Geld ausgegeben wird, sondern vor allem, daß es falsch verwendet wird.
Wie für viele Politikbereiche gilt das ganz besonders auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. Die Reaktion der Bundesregierung auf die seit dem Ende der Blockkonfrontation völlig veränderte Situation in Europa halten wir nach wie vor für unangemessen. Wir sagen das seit fünf Jahren, und wir haben leider Veranlassung, es erneut zu sagen. Wieder einmal - das kann man durch den Vergleich der für Rüstung und Verteidigung verwendeten Haushaltsmittel mit denen für Konfliktverhütung, internationale politische Institutionen und humanitäre Hilfe sehr leicht feststellen - stellt dieser Haushalt die falschen Weichen. Wo früher Milliarden für Aufrüstung ausgegeben wurden, sind es jetzt vergleichbare Summen für Umrüstung. Viel zu wenig Beachtung wird nach wie vor den Ursachen von Konflikten und ihrer Bekämpfung geschenkt.
Ich will dazu einige Beispiele nennen. Allein 65 Millionen DM aus dem Einzelplan des Auswärtigen Amtes sollen für den Bau von Kriegsschiffen für die Türkei bereitgestellt werden. Diese Summe ist, verglichen mit dem Rüstungshaushalt, zwar gering, aber sie ist geradezu gigantisch gegenüber der Ausstattung der OSZE. Für diese erklärtermaßen zu fördernde, wichtige europäische Organisation, für ihre Zentrale, für ihr Menschenrechtsbüro, für den Minderheitenkommissar und für ihre schon mehrfach in akuten und latenten europäischen Konfliktfällen mit Erfolg vermittelnden Langzeitmissionen werden sage und schreibe ganze 5,3 Millionen DM aufgewandt. Also nicht einmal ein Zehntel dessen, was allein die kriegführenden türkischen Militärs für ihre Fregatten erhalten, ist der Bundesregierung die europaweite Konfliktprävention wert. Das ist nicht nur eine kurzsichtige und falsche Politik, das ist geradezu skandalös.
Ein anderes Beispiel: die Ausstattung von ausländischen Streitkräften und Polizei. Dafür wird viermal soviel Geld zur Verfügung gestellt wie für die Demokratisierungshilfe. Nun mag die eine oder andere Sanitätseinheit auch zur zivilen Gesundheitsversorgung beitragen. Den Schwerpunkt der Streitkräftehilfe aber so zu formulieren, als handele es sich eigentlich um die Förderung ärztlicher Versorgung in den betreffenden Ländern, halte ich - sehr zurückhaltend formuliert - für schwer nachvollziehbar.
Zur Demokratisierungshilfe dagegen fällt Ihnen gerade einmal die Wahlhilfe ein, und selbst die kann angesichts der knappen Mittel nicht gewährleistet werden. Mitunter kommt es einem so vor, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, als würden Sie ausländische Bevölkerung vorrangig als eine Ansammlung von Soldaten und Polizisten betrachten. Ist Ihnen denn die Bedeutung der zivilen Gesellschaft gerade auch für die Demokratieentwicklung und Friedensbewahrung bisher verborgen geblieben?
Auch diese Art zu sparen trägt dazu bei, welche Wahlen dann herauskommen. Da soll in Rußland eben mal eine wichtige Oppositionspartei von den Wahlen ausgeschlossen werden. Herr Bundeskanzler, Sie werden sich in Kürze, wenn Herr Jelzin die politische Bühne verlassen hat, wohl fragen müssen, in welches geheimnisvolle schwarze Loch denn all die russischen Demokraten, die Marktwirtschaftler, die Europäer verschwunden sind.
Oder nehmen wir einen anderen Ihrer Hoffnungsträger, den kroatischen Präsidenten Tudjman. Der verdoppelt einfach zwei Wochen vor den Wahlen die Sperrklausel und läßt Bürger eines anderen Staates, die Kroaten aus Bosnien-Herzegowina, mitwählen, um dem Ziel des Einparteienstaates, dem er sich wohl immer noch verpflichtet fühlt, näherzukommen.
Die Reihe der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Sie alle lassen erkennen, daß der außen- und sicherheitspolitische Ansatz der Bundesregierung überholt und kurzsichtig ist, daß er auf die falschen Personen abgestellt ist, daß er vorrangig auf die militärgestützte Konfliktbearbeitung setzt. Diese Politik ist kurzsichtig, weil dabei immer noch die Bedeutung demokratischer Stabilität, die Bedeutung von Kon-
Gerd Poppe
fliktprävention und Ursachenbekämpfung unterschätzt wird.
Wer vorrangig auf wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit mit undemokratischen Regimen setzt, wer nicht bemerkt, daß er damit zusätzliche Hindernisse für eine demokratische Entwicklung aufstellt oder neue gefährliche Konflikte provoziert, wem nicht einleuchtet, daß Konfliktvorbeugung politisch und ökonomisch sinnvoller ist als die Vorbereitung auf ihre militärische Bekämpfung, der betreibt die falsche Politik.
Ein letztes Beispiel will ich aufführen: die bevorstehende Reise des Bundeskanzlers nach China. Auf Ihrem Programm, Herr Bundeskanzler, steht, wenn ich richtig informiert bin, der Besuch einer chinesischen Militäreinheit. Sie wissen, welche Rolle das Militär bei der Niederschlagung der Demokratiebewegung gespielt hat. Sie wissen, daß wichtige Vertreter dieser Bewegung, die seit Ihrem letzten Besuch in Peking freigelassen worden waren, inzwischen längst wieder inhaftiert sind.
Wir verlangen nicht, daß Sie diese Reise absagen oder verschieben, wir verlangen keinen Boykott. Führen Sie die Gespräche, auch über wirtschaftliche Zusammenarbeit. Aber fordern Sie zugleich rechtsstaatliche Schritte. Fragen Sie beispielsweise nach Chen Ziming, dem Dissidenten, besuchen Sie seine mutige Frau, die kürzlich zum wiederholten Male festgenommen und verhört wurde. Fragen Sie nach Wei Jingsheng, der 13 Jahre in Haft war und nach seiner vorübergehenden Freilassung seit weit über einem Jahr an einem unbekannten Ort festgehalten wird. Verlangen Sie, ihn zu sehen. Und schließlich: Sagen Sie Ihren Besuch beim chinesischen Militär ab.