Rede von
Gerald
Häfner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich wäre der Meinung gewesen, daß dieses Thema eine längere Debatte vertragen hätte,
und dies nicht nur wegen des bevorstehenden Jahrestages der deutschen Einheit, sondern auch deshalb, weil ich meine, ein solcher Gesetzentwurf, wie er uns heute vorliegt, verdient, zu sehr viel besserer Zeit als am Freitag nachmittag vor leerem Hause erörtert zu werden.
Denn nur wenig ist lehrreicher im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit einer Diktatur, mit unserer gemeinsamen Vergangenheit, aber auch in bezug auf unser oft recht verschiedenes Demokratieverständnis als dieser Gesetzentwurf.
Gerald Häfner
- Ich bedanke mich übrigens, meine Damen und Herren von der PDS, für den Beifall von Ihrer Seite. Aber Sie werden von jetzt an wenig Anlaß zum Klatschen haben. Mir geht nämlich bei Ihrem Gesetzentwurf wirklich der Hut hoch.
Ich will zuvor aber noch ein paar Worte zu Ihrem heute ebenfalls zur Debatte stehenden Antrag sagen. Von den Themen her ist darin meines Erachtens viel Richtiges angesprochen, etwa was die wirtschaftliche Situation in den neuen Bundesländern betrifft, was Arbeitsplätze, Mieten, das Problem der Rückgabe vor Entschädigung und vieles andere mehr angeht. Der Antrag liest sich allerdings wie ein Wunschzettel, und zwar ein völlig ungedeckter. Besonders sein Finanzierungsteil ist schlichtweg abenteuerlich. Ich empfehle den geschätzten Kollegen, die das noch nicht getan haben, wirklich, dies in humorgetränkten Stunden nachzulesen. Es ist ein Wunschzettel, der Machbares und überhaupt nicht Machbares völlig durcheinander einfach auflistet. So kann man keine Politik machen, und so tut man vor allen Dingen den Menschen in den neuen Bundesländern keinen Gefallen. Nötig sind vielmehr erstens die Wahrheit und zweitens konkrete realisierbare Vorschläge.
Noch schlimmer aber ist Ihr Gesetzentwurf zur Beendigung der Strafverfolgung usw., der uns heute vorliegt. Hier läßt die PDS tatsächlich plötzlich die Maske fallen.
Da ist mit der demokratischen Reputierlichkeit endgültig Schluß, der Lack blättert ab, und zum Vorschein kommt die häßliche Fratze der Parteigänger des alten totalitären Regimes.
Ich habe einen vergleichbaren Gesetzentwurf wirklich noch nicht gesehen. Ich finde, er ist ein starkes Stück.
Die Frage des Umgangs mit der Vergangenheit, gerade mit totalitärer Vergangenheit, ist für mich in eminentem Maße eine Demokratiefrage. Denn dabei geht es auch darum, ob wir aus den Fehlern lernen. Dies gilt z. B. für die Frage, wie es möglich war, daß Hunderttausende, Millionen in diesem System unterdrückt und terrorisiert, aber auch wie es möglich war, daß ebenso viele zu Bütteln des Systems werden konnten, mitgemacht und große Schuld auf sich geladen haben. Mir geht es nicht um Rache, es geht auch nicht um Vergeltung. Es geht nur darum, aufzuarbeiten, wie das geschehen ist
und warum es so war, damit so etwas in Zukunft nie mehr geschieht, damit endlich vielleicht auch mehr Zivilcourage möglich ist, damit Menschen widerstehen, wenn sie erneut zu Bütteln eines totalitären Systems gemacht werden.
Sie aber, meine Damen und Herren von der PDS, schlagen sich nicht auf die Seite des Rechtsstaats und der Demokratie, auch nicht auf die der Opfer,
sondern Sie schlagen sich auf die Seite der Täter. Sie stilisieren Täter zu Opfern und vergessen dabei die wirklichen Opfer. Hunderttausende haben in den Gefängnissen gesessen,
haben wirklich übelste Verfolgungsmaßnahmen und Bespitzelung erleiden müssen, haben ihren Beruf nicht ausüben können. Wo waren Sie denn da? Sie haben geschwiegen, Sie haben mitgemacht. Sie haben ja sogar ganz bewußt das Erbe der alten SED angetreten.
- Heute, Herr Zwerenz, fällt es Ihren Leuten leicht, sich hinzustellen und gegen „Verfolgung" anzugehen, wo es in Wahrheit um nichts anderes geht als um rechtsstaatliche Verfahren.
- Ich wußte, daß Sie laut werden würden. Aber das ist keine demokratische Methode. Sie haben sich in dieser Debatte mit dem Mittel der Kurzintervention ohnehin mehrfach die Gelegenheit verschafft, hier zu reden. Auch ich möchte jetzt reden können und bitte um Ihre Aufmerksamkeit.
Sie haben in diesem Gesetzentwurf geschrieben:
§ 1
Bürger der DDR, die in Ausübung hoheitlicher Aufgaben für die DDR und ihre Behörden tätig wurden, werden mit Inkrafttreten dieses Gesetzes für diese Tätigkeiten nicht mehr strafrechtlich verfolgt.
Darin ist alles enthalten: Darin ist der Mord enthalten,
darin ist der Stasi-Oberst enthalten oder der Wahlfälscher - -
- Selbstverständlich! Soll ich Ihnen einmal sagen, welche Regelung Sie bei Mord vorgesehen haben? Der Mord, der von einem westdeutschen Agenten der DDR-Staatssicherheit hier im Westen begangen wurde, wird nach Ihrem Gesetzentwurf natürlich weiter verfolgt. Der Mord aber, der von einem Bürger der DDR im Auftrag der Staatssicherheit begangen
Gerald Häfner
wurde, wird nach Ihrem Willen zukünftig straffrei gestellt.
- Das ist wirklich unglaublich, kompletter Irrsinn. Ein solcher Vorschlag auf dem Tisch dieses Hauses hätte es meines Erachtens verdient, hier zu bester Fernsehzeit erörtert zu werden,
damit allen einmal deutlich wird, welches Verhältnis zu Rechtsstaat und Demokratie und Gesetzen bei Teilen dieses Hauses vorliegt.
Es ist wirklich leicht, im DDR-System mitzuschwimmen und sich hinterher über angebliche Verfolgung wegen des eigenen Verhaltens zu beschweren. Sorgen Sie doch mit uns dafür, daß alle Verantwortlichen, Herr Gysi eingeschlossen, Gelegenheit haben, sich vor Gericht in einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren zu verantworten! Jeder hat dabei die Gelegenheit, seine Gesichtspunkte vorzutragen. Sorgen Sie dafür, daß vor allen Dingen die Opfer nun endlich zu ihrem Recht kommen und daß nicht in so unverschämter Weise, wie Sie das tun, die alten Täter zu Opfern stilisiert und die wahren Opfer dabei mit Füßen getreten werden!
Ich danke Ihnen.