Rede von
Volker
Jung
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war ein langer und steiniger Weg vom Kohlekompromiß 1991 bis zu diesem Gesetzentwurf zur Umstellung der Steinkohleverstromung - Herr Schauerte, Sie haben nur einen Teil davon im Bundestag miterlebt -, der mit harten Vereinbarungen, mit wiederholten Wortbrüchen der Bundesregierung, mit Verunsicherung der Bergleute, Protesten und Demonstrationen, erneuten Vereinbarungen und neuen Verunsicherungen bis hin zur Resignation gepflastert war. Am Ende ist ein Torso herausgekommen, der den Anforderungen, die an die Planungssicherheit bei allen Beteiligten zu stellen sind, absolut nicht genügt.
Wir nehmen zur Kenntnis, daß mit dem Gesetzentwurf, der nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, den in unseren Augen bewährten Kohlepfennig für verfassungswidrig zu erklären, notwendig geworden ist, wenigstens die Finanzierungszusage des Artikelgesetzes für das Jahr 1996 eingelöst wird.
Auch haben wir zur Kenntnis genommen, daß der Bundesfinanzminister die Finanzierungszusagen des Artikelgesetzes in der mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 1998 berücksichtigt hat. Das hat zwar keine Gesetzeskraft, schafft aber ein Minimum an Planungssicherheit für drei Jahre. Auf dieser Grundlage werden wenigstens kurzfristige Kohleverträge abgeschlossen werden können. Wenn einige bis heute gezögert haben, solche Verträge abzuschließen, dann hat das etwas mit dem Willensbildungsprozeß, den Sie zu verantworten haben, zu tun.
Wir nehmen schließlich zur Kenntnis, daß es gelungen ist, die Übertragbarkeit der Mittel aus den jährlichen Finanzplafonds von einem zum anderen Jahr sicherzustellen. Anders könnten die Fondsmittel nämlich nicht ausgeschöpft werden. Außerdem könnten - was noch wichtiger ist - die Kostensenkungspotentiale, auf die wir alle so viel Wert legen und die in einer zeitlichen und mengenmäßigen Flexibilität der Steinkohlelieferungen über das Abrechnungsjahr hinaus liegen, nicht genutzt werden.
Die Bundesregierung hat diesen Grundsatz in ihrer Gegenäußerung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates akzeptiert. Das ist gut so. Wir werden in dem weiteren parlamentarischen Verfahren allerdings darauf dringen, daß dieser Grundsatz in das Gesetz eingefügt wird.
Sie halten sich mit Ihrem Gesetzentwurf aber nicht an die Verpflichtung aus den Konsensgesprächen in diesem Frühjahr: daß die gesetzlichen Finanzierungszusagen bis zum Jahr 2000 vollständig erfüllt werden, wenn es nicht gelingt - das ist ausdrücklich so betont worden -, eine einvernehmliche Lösung zur Degression der Kohlehilfen bis zum Jahr 2005 zu finden. Sie stellen in der mittelfristigen Finanzplanung für die Kohleverstromung im Jahr 1999 nicht mehr 7 Milliarden DM, wie das im Artikelgesetz verankert ist, sondern nur noch 6 Milliarden DM ein. Ich kann Sie nur in aller Form darauf hinweisen, daß das weder mit den betroffenen Landesregierungen noch mit uns irgendwann einmal besprochen, geschweige denn vereinbart worden ist.
In der vergangenen Woche hat sich Herr Rexrodt im Wirtschaftsausschuß zu der Frage, ob die Bundesregierung noch zu dieser Verpflichtung steht, die in den Konsensgesprächen immerhin von zwei Bundesministern, Herrn Rexrodt und Frau Merkel, sowie von den Ministerpräsidenten von Sachsen und Bayern, Herrn Biedenkopf und Herrn Stoiber, und zusätzlich von vier Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. unterschrieben worden ist, sehr sibyllinisch ausgedrückt.
Auf dem Gewerkschaftstag der IG Bergbau und Energie am letzten Sonntag hat Herr Rexrodt zu einem Spitzengespräch eingeladen, um über eine Degression der Verstromungshilfen schon ab dem Jahr 1999 oder, wie er es sagt, über einen „kontrollierten Sinkflug" zu verhandeln. Offensichtlich versteht er nicht allzuviel vom Fliegen. Sonst würde er nämlich wissen: Wenn man im Sinkflug überzieht, dann gerät man unversehens in einen unkontrollierten Sturzflug, und dann bleiben nur noch Schrott und Leichen übrig.
Diese Politik ist doch geradezu eine Aufforderung an die Verantwortlichen in der Stromwirtschaft, keine langfristigen Bezugsverträge mehr abzuschließen, abnehmende Bezugsmengen zu kontrahieren und sich allenfalls für die Zukunft Optionen offenzuhalten. Um im Bild zu bleiben: Es ist die Aufforderung, die Schwimmwesten anzulegen.
Dies werden wir nicht mitmachen. Wir unterstützen die IG Bergbau und Energie in ihrer Forderung, eine sichere Finanzierung der Kohleverstromung bis zum Jahr 2005 zu gewährleisten, wie es in der Kohlerunde von 1991 vereinbart wurde, und eine verläßliche Langfristperspektive zu eröffnen.
Die jährlichen Finanzplafonds - das ist ja der eigentliche Inhalt der Plafondsregelung - bergen gegenüber dem bisherigen System ohnehin ganz erhebliche Risiken, die voll vom Bergbau getragen werden müssen. Dazu gehört das Risiko jährlicher Haushaltsbeschlüsse, dazu gehört das Währungsrisiko, und dazu gehört auch das Weltmarktpreisrisiko.
Volker Jung
Die beiden letzten Risiken wiegen besonders schwer, weil sie vom Bergbau überhaupt nicht und von der nationalen Politik allenfalls in engen Grenzen beeinflußt werden können.
In gewisser Weise wird hier das Verhältnis von Politik und Wirtschaft auf den Kopf gestellt. Während es früher darum ging, daß der Staat dem heimischen Steinkohlebergbau im Interesse der Versorgungssicherheit die Risiken teilweise abgenommen und damit die Planungssicherheit geschaffen hat, werden dem Bergbau jetzt alle Risiken aufgeladen
und Planungssicherheit allenfalls für den Staat geschaffen.
Das ist ein Paradoxon sondergleichen, meine Damen und Herren, das nur dadurch zu erklären ist, daß die Regierungskoalition keinen Wert mehr auf Versorgungssicherheit legt, jedenfalls so lange nicht, wie die internationale Versorgung läuft. Bei drohenden Versorgungskrisen - auch das haben wir in den vergangenen Jahren erlebt; ich erinnere an den Golfkrieg oder die Unterbrechung von russischen Gaslieferungen durch die Ukraine - wurden dann regelmäßig diese Position revidiert, und zwar so lange, bis die Krise abgewendet war. Das ist eine reine Schönwetterpolitik. Das hat mit einer verantwortlichen und vorsorgenden Energiepolitik nichts zu tun.
Darum sind die Vorschläge der beiden Wirtschaftsminister aus Bayern und Sachsen, der Herren Wiesheu und Schommer, die den heimischen Steinkohlebergbau auf einen vernachlässigbaren Rest zusammenschrumpfen lassen oder ganz zum Erliegen bringen wollen, für uns
völlig inakzeptabel. Sie sind volkswirtschaftlich nicht nur unsinnig, sie sind auch unsolidarisch gegenüber den Ländern Nordrhein-Westfalen und Saarland, die ja seit Jahren einen erfolgreichen sozial- und regionalverträglichen Strukturwandel in den Revieren betreiben - das kann man ja auch nicht leugnen -,
der ohne Brüche nur dann fortgesetzt werden kann, wenn er mit langem Atem und klaren Rahmenbedingungen durch die Politik - auch und gerade des Bundes - betrieben wird.
Es wäre ja auch ein Stück Versorgungssicherheit, meine Damen und Herren, wenn Sie eine konsequente Energieeinsparpolitik betrieben; denn jede eingesparte Tonne 01, jeder eingesparte Kubikmeter Gas verringert unsere heute wieder sehr deutlich ansteigende Importabhängigkeit. Aber Sie haben keine müde Mark zusätzlich in den Haushalt eingestellt, um Energiesparen und erneuerbare Energiequellen zu fördern. Damit wird übrigens auch die Ankündigung von Bundeskanzler Kohl auf dem Berliner Klimagipfel, die Kohlendioxidemissionen bis zum Jahr 2005 um 25 % zu reduzieren, zu einer reinen Sprechblase degradiert.
Sie scheinen nach wie vor zu glauben, meine Damen und Herren, daß Sie die entstehende Energielücke mit dem Zubau von Kernenergie schließen können. Da machen Sie aber die Rechnung ohne den Wirt, nämlich ohne die Stromwirtschaft, die - das hat sie immer wieder erklärt - bei den vorhandenen Überkapazitäten und vor allen Dingen bei der unübersehbaren Akzeptanzkrise in unserem Land kein einziges Kernkraftwerk ersetzen, geschweige denn hinzuhauen wird.
Meine Damen und Herren, wenn wir den begonnenen Konsensprozeß, unabhängig davon, daß die zweite Runde gescheitert ist, im Grundsatz aufrechterhalten wollen - dafür haben Sie sich, wenigstens einige von Ihnen, ausgesprochen; dafür spreche auch ich mich aus, in welcher institutionellen Form man sich das auch immer vorstellen kann -, dann werden Sie nicht einseitig Ihre Optionen durchdrükken können, die unsere Optionen erledigen. Diesen Punkt haben Sie offensichtlich noch nicht gelernt. Ein solcher Konsensprozeß läßt sich erst dann wieder einfädeln, wenn Sie zu einem fairen Dialog zurückkehren über die klimapolitische Herausforderung, über Energieeinsparung und erneuerbare Energiequellen, über die Sicherheit unserer Energieversorgung und nicht zuletzt über den Beitrag der heimischen Steinkohle zu diesem Projekt.
Schönen Dank.