Rede von
Jochen
Welt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schlee, ich war vor zehn Jahren auf einem Seminar zum Thema „Management und Entwicklung in der öffentlichen Verwaltung".
Da habe ich exakt alle die Punkte, die Sie genannt haben, schon gehört. Ich frage mich natürlich, warum diese Aufgaben im Rahmen Ihrer Regierungsverantwortung seit 13 Jahren nicht schon längst erfüllt worden sind.
Der Bundesinnenminister hat am vergangenen Donnerstag den Sachverständigenrat „Schlanker Staat" eingesetzt. Das hört sich gut an; das ist ein modischer Begriff. Doch ist auch Vorsicht geboten; denn nicht alles, was schlank gemacht wird, ist dann anschließend auch noch gesund.
Wir wollen - das sage ich ganz ausdrücklich - einen gesunden Staat, insbesondere was das Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger angeht, und wenn er dann noch schlank ist, dann soll uns das sehr recht sein.
Herr Minister Kanther, der sich heute von dem Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung vertreten läßt,
sprach bei der Konstituierung dieses Gremiums von einer Herkulesaufgabe. Der Minister macht zwar starke Worte, aber er ist nun einmal kein Herkules.
Aber vielleicht will er ja die von dieser Regierung zu verantwortende Bundesverwaltung mit dem berühmten Stall des Königs Augias vergleichen, der von über 1 000 Kühen eingemistet wurde und der als eine Herkulesaufgabe anschließend ausgemistet werden sollte.
Der Unterschied zwischen Herkules und Minister Kanther ist der: Herkules dachte nach, packte an, leitete einen Fluß durch den Stall und mistete ihn dadurch aus. Minister Kanther denkt immer noch nach, packt nicht an und bildet zur Entlastung eine neue
Fachkommission. Deshalb gibt es so gravierende Unterschiede zwischen dem Minister und Herkules. Der Minister ist für eine derartige Aufgabe wie die Reform der öffentlichen Verwaltung offensichtlich nicht ausreichend gerüstet und geeignet.
Meine Damen und Herren, Länder und insbesondere die Gemeinden modernisieren die Verwaltung seit langem. Sie erwarten die Unterstützung des Bundes, sie warten auf veränderte beamtenrechtliche Rahmenbedingungen. In dieser Zeit verkündet der Minister ausschließlich die Einsetzung einer solchen Kommission und verkündet Eckpunkte zur Reform des öffentlichen Dienstrechtes. Auch diese Eckpunkte sind wieder einmal nur Papier, sind wieder einmal nur Absichtserklärungen. Meine Damen und Herren, wir brauchen keine weiße Salbe, wir brauchen eine grundsätzliche Reform des öffentlichen Dienstrechtes. Dies ist das, was not tut.
Weder die Bereitschaft zur Neuordnung des Berufsbeamtentums wird durch die Bundesregierung in Erwägung gezogen noch die für die Reformbemühungen in den Gemeinden so notwendige Streichung der Stellenobergrenzenverordnung für die Beförderungspraxis.
Außerdem ist die Ankündigungspolitik dieser Regierung nicht glaubwürdig und vor allem für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt nicht motivierend. Sie reden, Sie beschreiben Papier, es geschieht nichts.
Wer, wie die Bundesregierung, von einem schlanken Staat spricht, Gemeinden und Länder zu Reformanstrengungen auffordert oder kritisiert, wie wir es gerade von seiten der Koalition gehört haben, selbst aber nichts tut, gleichzeitig aber innerhalb der Amtszeit dieses Bundeskanzlers die Zahl der Minister und Staatssekretäre um 10 % aufstockt, hat den Schlankheitsbegriff eines Sumo-Ringers. Das hat nichts mit schlanker Verwaltung zu tun.
Ohne eine Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes läuft überhaupt nichts. Es muß für sie klar sein, daß die Modernisierung der Verwaltung nicht per se nur ein Stellenkürzungsprogramm für die unteren und mittleren Gehaltsstufen bedeutet. Aber wenn es zum Abbau von Arbeitsplätzen kommt, dann muß deutlich sein, daß nicht nur bei den kleinen Beamten und Angestellten gestrichen wird; es muß deutlich werden, daß hier die Treppe von oben nach unten gefegt wird. Aber die Bundesregierung meint ja eigentlich nur die Privatisierung, wenn sie vom schlanken Staat spricht.
Die Modernisierung von Staat und Verwaltung ist für uns mit der Zukunftssicherung der sozialen und der ökologischen Bedingungen verbunden. Eine Mo-
Jochen Welt
dernisierung, die die soziale Sicherung, die Gerechtigkeit, die Zukunftssicherung unserer Gesellschaft in Gefahr bringt, ist nicht nur keine Modernisierung, sondern der Rückfall in die sozialstaatliche Steinzeit.
Es muß bei allem doch darum gehen, daß sich mit der Privatisierung die so privatisierten Unternehmen nicht ihrer sozialen Aufgaben entledigen, daß sie nur noch für die Gewinne verantwortlich sind. Sie dürfen sich also nicht nur die Rosinen aus dem öffentlichen Kuchen herauspicken und die lästigen übriggebliebenen Aufgaben anderen und hier insbesondere den Gemeinden zuweisen.
Wir haben den Eindruck, daß sich bei dieser Koalition die Frage der Modernisierung des Staates auf eine knallharte Privatisierungsdebatte auf der einen Seite und ein Schönschminken des öffentlichen Dienstrechts auf der anderen Seite reduziert.
Wir Sozialdemokraten gehen hier pragmatisch und ohne ideologische Scheuklappen in die Diskussion. Wir sagen dort ja zur Privatisierung, wo der staatliche Vorsorgeauftrag nicht aufgegeben wird, wo Private besser, effizienter und kostengünstiger arbeiten können, wo nicht Monopole des Staates durch private Monopole ersetzt werden.
Wir bauen im Gegensatz zu Ihnen keine Luftschlösser. Es gibt in sozialdemokratisch verantworteten Gemeinden gute Beispiele für eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Privaten und Gemeinden. Schicken Sie diese Sachverständigenkommission doch einmal über die Dörfer und in die Städte! Da gibt es Eckdaten gratis bei Kulturbetrieben, bei Ver-
und Entsorgungsgesellschaften für Strom, Fernwärme oder Wasser.
Während der Bund sich also, was seinen Aufgabenkatalog angeht, auf die Privatisierung reduziert, ansonsten die Modernisierung des Staates und der Verwaltung ausklammert und ein wenig am öffentlichen Dienstrecht herumfrisiert, gibt es Modernisierungsbestrebungen in den Gemeinden schon in großer Zahl. Diese sollte man nach unserer Einschätzung unterstützen.
Nach einer Befragung des Deutschen Städtetages haben ca. 80 % aller Städte und Gemeinden Modernisierungsmaßnahmen eingeleitet, geplant oder zum Teil abgeschlossen. Der Schwerpunkt der Modernisierungsaktivitäten konzentriert sich auf die Bereiche Haushalt, Rechnungswesen, Personal und Organisation, kommunale Beteiligungssteuerung und das Verhältnis zwischen Rat und Verwaltung.
Die Mehrzahl der Städte geht davon aus, daß der Modernisierungsprozeß zwischen drei und fünf Jahren dauern wird. Es gibt also in den Städten und Gemeinden einen großen Reformeifer, der dem Prozeß der Modernisierung in den Gemeinden sehr viel Schwung verliehen hat. Die Finanznot der Gemeinden ist dabei ein wesentlicher, vom Ergebnis her aber nicht immer sinnvoller Antrieb.
Man muß nämlich wissen, daß dieser Druck der steigenden Haushaltsdefizite auch eine große Gefahr für die Reorganisationsmaßnahmen darstellt. Einerseits gibt es einen Bedarf an hohen Investitionen z. B. für Ausbildung und Technik, andererseits hofft man auf schnelle Kosteneinsparungen.
Mit diesen Kosteneinsparungen ist natürlich erst mittel- und langfristig zu rechnen. Die vielfältigen Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen gehen aber oft mit einem massiven Personalabbau einher - bei einzelnen Gemeinden von 20, 30 und mehr Prozent mit erheblichen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt -, aber vor allen Dingen auch mit der sich entwickelnden starken Eigendynamik zur Neuverteilung der Aufgaben in den Gemeinden.
Von daher geht es uns Sozialdemokraten nicht nur darum, jetzt den Bund zu mehr Aktivitäten bei der Modernisierung in den eigenen Behörden und in den eigenen Ministerien aufzufordern. Nein, es geht uns auch darum, daß die anderen Gebietskörperschaften unterstützt werden, daß ihnen geholfen wird und daß ihnen bei ihren Modernisierungsabsichten nicht noch weitere Steine in den Weg gelegt werden.
Wir fordern daher auch die Reform der Gemeindefinanzen im Rahmen des Finanzausgleichs. Was nützen modernisierte Verwaltungen in den Gemeinden, wenn sie durch eine verfehlte Gemeindefinanzpolitik ausgetrocknet werden? Sollen wir dann in den Gemeinden die Defizite nur besser verwalten? Es macht doch keinen Sinn, wenn die Gemeinden erst modernisiert werden, um sie dann aus finanziellen Gründen vor die Hunde gehen zu lassen.
Nein, wir müssen gewährleisten, daß der Staat auch in Zukunft seine soziale Schutzfunktion gegenüber den Bürgern wahrnehmen kann. Dabei hilft sicherlich eine Modernisierung der Verwaltung. Aber wir brauchen auch eine Stärkung der verfassungsmäßig gewollten Selbstverwaltung der Gemeinden.
Wir benötigen auch die finanziellen Rahmenbedingungen. Wir benötigen für die Gemeinden eine finanzielle Entlastung und eine Gemeindefinanzreform, die ihren Namen verdient. Nur so kann der Staat das wahrnehmen, was seine Aufgabe ist: die Wahrung und Förderung der Grundrechte sowie die Abwehr von Gefahren gegenüber Staat und Bürgern.