Lieber Kollege Penner, das ist mir selbstverständlich überdeutlich, und dazu will ich gleich im Nachgang noch etwas sagen. Sie werden sich wundern, Herr Kollege, was ich dazu zu sagen habe.
Wenn wir dieses Thema jetzt angehen, dann müssen wir, glaube ich, aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Wir müssen alles tun, um neue Fehler im Vorfeld zu vermeiden. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß, wenn wir in diesem Punkt weiterkommen wollen, Mut notwendig ist, daß wirklich von uns allen ein hohes Maß an Mut und auch Risikobereitschaft gefordert wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich gerade „Fehler" gesagt habe, so glaube ich, Herr Kollege Körper, daß es uns keinen Schritt weiterbringt, wenn Sie in Ihren Antrag hineinschreiben, die Bundesregierung habe sich Versäumnisse anzurechnen, sie tue in diesem Bereich nicht, was sie tun sollte, und auf die Länder, auf die Kommunen verweisen. Kollege Schmidt-Jortzig hat Ihnen am Beispiel Schleswig-Holsteins - man könnte sofort drei weitere nennen - deutlich gemacht, daß diese Diskussion überhaupt nichts bringt. Sie ist zu punktuell. Wir sind, meine ich, in dieser Frage alle im gleichen Boot. Wir sollten uns dieser großen Aufgabe gemeinsam stellen und solche parteipolitischen Kinkerlitzchen, wie Sie sie in den Antrag hineingeschrieben haben, in Zukunft lassen. Das bringt die Bürger nur dazu, daß sie sich mit Grausen von all dem abwenden, was wir hier tun.
Meine Damen und Herren, Mut und Ehrlichkeit - lassen Sie mich dies mit großen Ernst sagen - sind notwendig. Dabei müssen wir uns alle eingestehen, daß wir in den 80er Jahren mit der Reform der Verwaltung nicht das erreicht haben, was wir eigentlich alle gemeinsam erreichen wollten.
Dietmar Schlee
Wenn vorhin wieder davon die Rede war, daß Aufgabenkritik notwendig sei, dann sage ich: Dies ist in den Gemeinden, in den Ländern und bis zu einem gewissen Grade auch im Bund in den 80er Jahren gemacht worden. Es hat uns nicht weit genug gebracht, das müssen wir einfach zugestehen.
Oder: Wenn vorhin Kostentransparenz in der öffentlichen Verwaltung gefordert wurde, so klingt das ganz hervorragend. Eine Vielzahl von Modellen ist auf den Weg gebracht worden. Der Durchbruch ist auch in diesem Bereich nicht erreicht worden.
Oder: Es sind neue Informationstechniken eingeführt worden, um die Verwaltung schlanker, leistungsfähiger, bürgernäher zu machen. Aber unter dem Strich ist alles - das muß man selbstkritisch feststellen - Stückwerk geblieben. Deshalb müssen wir versuchen, zu einem neuen Ansatz zu kommen.
Meine Damen und Herren, wenn wir in der Vergangenheit zu kurz gesprungen sind, dann liegt das natürlich auch daran - ich will das ganz offen ansprechen -, daß der Leidensdruck offensichtlich nicht groß genug gewesen ist.
Heute ist das anders. Natürlich geht es auch um das Geld, geht es um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das macht die Diskussion um diesen Wirtschaftsstandort schlaglichtartig deutlich. Es geht aber heute viel mehr als in den 80er Jahren darum, daß der Bürger mehr Freiraum haben will, daß er weg will von der Gängelung.
Wir alle sind verpflichtet, dem Willen des Bürgers, soweit das irgendwie geht, zu entsprechen. Ich nehme das auf, was der Kollege Penner vorhin, an mich gerichtet, gefragt hat: Deshalb brauchen wir entschiedenere Schritte als in den 80er Jahren. Es sind - es hat gar keinen Sinn, darüber hinwegzudiskutieren - strukturelle Änderungen notwendig. Ich will Ihnen einige konkrete Beispiele nennen.
Wir müssen bei uns selbst beginnen. Wir alle - das ist ein Teil der Selbsterkenntnis - haben die Verwaltung zu dem gemacht, was sie heute ist. Wir haben ihr die Arbeitsstrukturen, die sie heute hat, qua Gesetz geschaffen. Deshalb hat es gar keinen Sinn und ist total falsch, irgend etwas auf die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes abladen zu wollen; das ist einfach daneben. Das müssen wir uns eingestehen. Wir müssen bei uns beginnen!
Das heißt, wir müssen mit der Deregulierung beginnen. Der Vorschriftendschungel muß durchforstet werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen in Zukunft nur noch das an Vorschriften produzieren, was unabweisbar nötig ist. Das will der Bürger von uns und nicht irgendwelche hehren Diskussionen über Aufgabenkritik oder über Managementmethoden. Das machen wir nun schon seit vielen Jahren.
Das heißt auch: Wir brauchen weniger und einfachere Gesetze - Gesetze, die die Verwaltung handhaben kann. Wir müssen der Verwaltung wieder größere Ermessensspielräume einräumen, die sie eigenverantwortlich ausfüllen kann und für objektive und unbestechliche Regelungen nutzen kann. Das ist ein Ansatz, der uns weiterbringen würde.
Herr Kollege Körper, es führt kein Weg daran vorbei, alles Schönreden nützt hier nichts: Wir müssen bei der Gesetzgebung in Kenntnis der Folgekosten und auch der strukturellen Konsequenzen für die Verwaltung entscheiden. Es muß transparent gemacht werden, welche Auswirkungen eine Regelung bis hinunter in die Gemeinde, in den Betrieb, bis zum einzelnen Bürger hat. Wenn wir einem Handwerksbetrieb eine neue Statistik abverlangen, dann möchte ich wissen, wieviele Arbeitsstunden dies beim Handwerker beansprucht. Wenn ich dies nicht weiß, bin ich in Zukunft nicht mehr bereit, solchen Gesetzen zuzustimmen.
Ich will abwägen können. Das wäre, glaube ich, ein Schritt in die richtige Richtung.
Wir sollten einen Schritt weitergehen - ich weiß wohl, wie schwer das ist -: Wir sollten auch überlegen - auch wenn dies methodisch nicht einfach sein wird -, uns im Sinne eines Controllings der eigenen Arbeit jedes Jahr einen Bericht darüber vorlegen zu lassen, welche Kostenfolgen die verabschiedeten Gesetze haben. Es wäre interessant, am Ende eines Jahres zu wissen: Haben wir mehr Kosten in der Wirtschaft und in der Verwaltung, auch was die Verwaltung bei den Ländern und Gemeinden angeht, produziert? Das wäre ein Ansatz, der uns weiterbringen würde.
Ich meine, wir müssen auch zu befristeten Gesetzen und Verordnungen kommen.
Das automatische Außerkrafttreten von Gesetzen und Verordnungen kehrt die Beweislast um und wirkt in die Richtung, wie ich sie eben beschrieben habe.
Ein zweiter Punkt. Herr Kollege Körper, wenn wir das Haushaltsrecht flexibler gestalten und handhaben, kann die Wirtschaft, kann vor allem die Verwaltung wirtschaftlicher handeln. Ich will einige Beispiele nennen: Gegen das Phänomen des Dezemberfiebers, das wir seit 20 Jahren immer wieder beschreiben, hilft nur die Übertragbarkeit von Mitteln.
Dietmar Schlee
Andere Beispiele sind: mehr gegenseitige Deckungsfähigkeit, die Zusammenfassung von Haushaltstiteln oder gar die Schaffung von sogenannten Globaltiteln. Nur so kommen wir weg vom kameralistischen, am Jährlichkeitsprinzip orientierten Denken und zwingen zu Kostendenken, zu Kostenverantwortung, zu Wirtschaftlichkeit.
Aber diese Forderungen können wir nicht nur an die Gemeinden und an die Länder richten. Voraussetzung ist, daß wir als Parlament, als Haushaltsgesetzgeber, unsere Aufgabe neu verstehen. Wir üben unser Kontrollrecht nicht dann effizient aus, wenn wir im Haushalt jede Ausgabe und jeden Zweck minutiös festlegen. Viel wichtiger ist es, Ziele zu formulieren, der Verwaltung einen flexiblen Haushaltsvollzug zuzugestehen und dann über die Ergebnisse im Sinne eines Controllings zu reden. Das zu implantieren könnte uns innerhalb weniger Jahre ganz entscheidend voranbringen.
Ein dritter Punkt. Wer neue und unkonventionelle Wege gehen will, muß Risiken eingehen. Deshalb brauchen wir Experimentierklauseln. In vielen Bereichen werden Experimente notwendig sein. Wer aber eine Experimentierklausel in ein Gesetz aufnimmt, muß für das Risiko, das er damit eingeht, natürlich auch die politische Verantwortung tragen.
Aber wenn wir vorankommen wollen, Herr Kollege Körper, wenn wir nicht nur über Aufgabenkritik und über Dinge sprechen wollen, über die wir immer schon geredet haben, dann müssen wir uns auf solche Experimentierklauseln verständigen.
Ein vierter Punkt. Wir müssen den Staat wieder auf die Kernbereiche staatlichen Handelns zurückführen. Es muß Ballast abgeworfen werden.
Lassen Sie uns die Diskussion über die Privatisierung offen führen. Sie sollten sich nicht im Vorfeld ideologisch festlegen. Es wird an der einen oder anderen Stelle neue Möglichkeiten geben. Man kann in vielen Bereichen natürlich auch darüber reden, ob die Privatisierung etwas bringt. An diesem Beispiel kann man besonders deutlich machen, daß wir gemeinsam an die Lösung dieser Probleme heran müssen.
Wenn ich von Kernbereichen rede, gehört dazu natürlich auch die Selbstbeschränkung der Politik bei der Formulierung neuer Anforderungen an staatliches Handeln.
Ein fünfter Punkt - Herr Kollege Schily, der weg mußte, wollte mich zu diesem Punkt eigentlich etwas fragen, hat mir das aber schon vorher übermacht -, den ich mit großem Ernst anspreche: Wir müssen den Berlin-Umzug nutzen, um die Ministerien von Vollzugsaufgaben zu entlasten. Es ist meine feste Überzeugung: Leitungsaufgaben sind im Ministerium zu
erfüllen, Vollzugsaufgaben in den nachgeordneten Behörden.
Dann können wir auch innerhalb der Behörden eine schlankere Struktur erreichen und - ich will das nur zu bedenken geben; ich weiß, daß viele völlig anderer Meinung sind - vielleicht eine Hierarchieebene, z. B. die Ebene der Unterabteilungsleiter in den Ministerien, herausnehmen. Lassen Sie uns darüber diskutieren. Ich will unterstreichen, was vorhin gesagt wurde: Wir als Bund müssen auch in bezug auf die Ministerien vorangehen, wenn wir in den Ländern und den Gemeinden glaubwürdig sein wollen.
Sechster Punkt. Wir brauchen einen vernetzteren Ansatz, als wir ihn heute haben. Es reicht nicht aus, wenn wir nur eine Körperschaft betrachten. Wir müssen die Zusammenhänge sowohl in der Rechtssetzung als auch beim Vollzug zwischen EU, Bund, Ländern und Gemeinden im Auge behalten. Ich unterstreiche die Einbeziehung der EU. Wenn wir in unsere Reformüberlegungen die Europäische Union und all das, was sie anrichtet - ich sage das einmal so salopp -, nicht mit einbeziehen, dann werden wir sicherlich der Aufgabe nicht gerecht, die uns gestellt ist.
Siebter Punkt. Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir - das ist vorher angeklungen; ich glaube, Sie, Herr Körper, haben es gesagt; der Kollege Oswald hat es ebenfalls gesagt - natürlich die Mitarbeiter im öffentlichen Bereich einbinden. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Wir dürfen dem öffentlichen Sektor nicht nur Reformen von außen aufdrängen. Wir müssen in den Verwaltungen selbst einen Innovationsprozeß in Gang setzen. Das ist ja schon einmal in einem Bundesland - ich will den Namen nicht nennen - in den 80er Jahren gemacht worden. Es sind 70 Modellprojekte in die Verwaltung hineingetragen, mit der Verwaltung erarbeitet worden. Das hat den Schwung, die Dinge zu reformieren, entscheidend gefördert.