Rede von
Dr.
Antje
Vollmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Genau da kann ich nur zustimmen. Ich wäre auch selber noch in meiner weiteren Rede darauf gekommen.
Solche Chancen wie der Umzug kommen natürlich nicht oft. Jeder weiß, daß die äußere Mobilität durch die innere Mobilität ergänzt werden muß. Das ist genau meine Meinung.
Ich wollte aber vorweg noch - wenn ich darf - über die Reformstimmung in den Kommunen berichten. Natürlich weiß jeder, daß es auch da einen äußeren Anlaß gibt, nämlich die Finanznot. Wir von den Grünen hatten eine Anhörung, in der eine regelrechte Aufbruchstimmung, ein Wettbewerb zwischen verschiedensten Modellen, dem Heidelberger Modell, dem Wuppertaler Modell, dem Berliner Modell, dem Frankfurter Modell, stattgefunden hat, die gegenseitig voneinander lernen wollten.
Es war so etwas wie ein Städtewettbewerb in Staatsreform. Genau das brauchen wir. Die Frage ist: Warum kommt das bei Ihnen nicht an?
Es geht uns um eine Revitalisierung und um eine Demokratisierung des öffentlichen Sektors. Wir wollen Bürgerinnen und Bürger, die sich gut bedient fühlen und die gerne zu den staatlichen Stellen kommen. Wir wünschen uns Beschäftigte, die nicht ständig an die Grenzen des Dienstrechts stoßen, wenn sie sich persönlich und verantwortlich einsetzen wollen.
Wir sind der Meinung, der preußische Beamte und die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sind so nicht länger zeitgemäß. Aus den Vertretern der Obrigkeit als Leitbild sind längst Bürger geworden, d. h. wir stellen so etwas fest wie eine „Verbürgerlichung" der Angestellten des öffentlichen Dienstes.
Deswegen sind wir für eine konsequente Entbeamtung. Beamtinnen und Beamte sollen künftig nur noch in hoheitlichen Kernbereichen eingestellt werden, z. B. bei Polizei und Justiz. Unsere Fraktion hat diese Woche einen eigenen Antrag eingebracht. Der geht - das werden Sie sehen - weiter als der der SPD, wobei in Teilen Übereinstimmung besteht.
Wir wollen die Debatte um die Staatsreform: Was muß der Staat tun? Was können wir selbst? Wobei brauchen wir noch Unterstützung? Welche Wettbewerber müssen neu ermöglicht werden? Dabei ist unser bedeutendster Gedanke: Die in den letzten Jahrzehnten entstandenen freien sozialen Bewegungen sind wichtigster Baustein für die Staatsreform. Ihre Erfahrungen aus den vielen freien Bewegungen gilt es mit der öffentlichen Sphäre zu verzahnen. Wir suchen nach genau diesem Nadelöhr, wo die hohe Kompetenz und auch die hohe Professionalität, die sich die Bürgerinnen und Bürger in diesen Bereichen erworben haben, eingespeist wird, und danach, wie der Staat sie zu seiner eigenen Reform nutzbar machen kann.
Wie am Ende des 19. Jahrhunderts die Wohlfahrtsverbände aus der Arbeiterbewegung und aus den christlichen Sozialbewegungen hervorgegangen sind und ihre eigenen Organisationen gegründet haben, u. a. den Paritätischen Wohlfahrtsverband, so müssen auch heute die neu entstandenen Selbsthilfegruppen der Bürgergesellschaft den Verbänden und sozialen Trägern gesetzlich gleichgestellt werden; denn sie leisten für das Gemeinwesen eine ähnlich wichtige und für die Modernisierung des öffentlichen Sektors sogar eine noch wichtigere Funktion.
Das müssen sie, weil für diese Bewegungen die Pionierzeit vorbei ist und weil diese Bewegungen sonst entweder ermüden oder sich selbst zu neuen Sozialbürokratien entwickeln würden, was wir nicht wollen. Das heißt: Wir fordern, daß sie als Wettbewerber bei den öffentlichen Leistungen eine faire Chance haben und daß sie bei dem, was sie an Beratung und Unterstützung brauchen, durch die öffentliche Hand unterstützt werden.
Unser zweiter Grundgedanke besagt: Keine Regierung der Welt kann Staat und Verwaltung reformieren, wenn sie nicht selbst Reformbereitschaft demonstriert. Das war übrigens ein Grund, warum ich so entschieden auch für die Reform des Bundestages und unserer eigenen Organisation plädiert habe. Ich meine, wir müssen uns ein Stückchen selber legitimieren, wenn wir diese Reform auch bei den öffentlichen Verwaltungen und beim öffentlichen Dienstrecht vornehmen wollen.
Wie Otto Schily schon gesagt hat, ist die Chance des Umzugs riesengroß.
Wir haben aber noch einen anderen konkreten Vorschlag: Wir möchten gern eine Musterbehörde oder am besten zwei Musterbehörden haben. Deswegen schlagen wir dem Innenministerium von Herrn Kanther
und dem Zukunftsministerium von Herrn Rüttgers vor, miteinander in einen kreativen Wettbewerb einzutreten, damit diese beiden Wege - der Weg Kanther, der Weg Rüttgers - miteinander wetteifern. Dann wollen wir sehen, was sie an Modellen für Re-
Dr. Antje Vollmer
formen des öffentlichen Sektors zustande bekommen - gerade auch auf der Bundesebene -, an denen die anderen Ministerien ablesen können, wie so etwas geht.
Ich finde, das wäre ein schöner Streit zweier Schulen.
Unser dritter Grundgedanke befaßt sich in engerem Sinne mit der Modernisierung des Dienstleistungsbetriebs Staat und mit der Reform des öffentlichen Dienstrechts. Ich habe nicht mehr die Zeit, das alles aufzuführen. Sie können das aus unserem Antrag ersehen; vieles entspricht dem, was Sie auch bei der SPD finden: mehr Selbstbestimmung, mehr Verantwortung für die Beschäftigten, weniger Hierarchien, Führungsebenen auf Zeit, gleicher Anteil für die Frauen, besonders für die Führungspositionen, und - neu bei uns - die Einführung einer „Bürgercharta", d. h. ein Verbraucherschutz für die Verbraucher der Dienstleistungen der öffentlichen Hände. Ich glaube, daß das richtig ist und daß das, jedenfalls aus unserer Grünen-Tradition,
auch eine Konsequenz dessen ist, was wir früher gefordert haben, nämlich mehr Bürgerrechte. Dazu gehört auch ein Akteneinsichtsrecht.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Unsere Parole für die Reform des Staates lautet deshalb: Vater Staat wird pensioniert; die Bürgergesellschaft hilft sich fortan selbst.