Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegenstand der heutigen Debatte ist u. a. der Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung. Wir haben vor längerer Zeit diesen Antrag vorgelegt, weil wir bei der Bundesregierung auf diesem Gebiet erheblichen Handlungsbedarf sehen. Genau betrachtet beschränken sich die Überlegungen der Bundesregierung nämlich auf das Dienstrecht. Eine Reform der Verwaltung hingegen wird bisher weitgehend ausgeklammert. Aber darum geht es eigentlich. Es geht um eine effizientere Organisation und ein modernes Management, um Kostentransparenz und Aufgabenkritik. Es geht auch um das Dienstrecht, das ist aber nicht der zentrale Punkt. Ein Reformansatz, der sich ausschließlich von der Frage des Personalabbaus leiten läßt, zielt in die völlig falsche Richtung.
Die Aufgabenkritik wird in unserem Papier zentral genannt. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende hat uns dafür auch schon gelobt. Ich fürchte allerdings, daß wir hier sehr unterschiedliche Ausgangspunkte haben, denn das Ziel der Koalition ist offensichtlich die effektive Verschlankung des Staates nach dem Subsidiaritätsprinzip. Der Staat soll sich nach Ihrer Vorstellung prinzipiell auf hoheitliche Kernaufgaben konzentrieren. Sie sind damit meines Erachtens mehr oder weniger auf dem Wege zum Nachtwächterstaat des vorigen Jahrhunderts. Offensichtlich finden Sie dabei Unterstützung auch beim Deutschen Industrie-
und Handelstag, der den drastischen Abbau aller Sozialversicherungsleistungen auf das Niveau einer Basisabsicherung gefordert hat.
Das ist nicht unser Ziel. Wir wollen nicht den Rückzug des Staates, der wichtige sozialstaatliche Aufgaben preisgibt, sondern den effizienten Staat, der seine Aufgaben selbst oder in Kooperation mit Privaten erfüllen kann. Wir wollen einen Staat, der sich bei zentralen sozialen und gesellschaftlichen Problemen seiner Verantwortung stellt. Seine besondere Verantwortung liegt in dem Gemeinwohl.
Zum unantastbaren Kern der Staatsaufgaben gehören nach unserer Auffassung seine sozialen Schutzfunktionen. Der Staat muß Freiheit und Sicherheit gewährleisten, er muß sozial und ökologisch verantwortlich handeln, um Arbeit für alle, soziale Gerechtigkeit und den Schutz von Umwelt und Natur herzustellen.
- Lieber Erwin Marschewski, wo die Unterschiede liegen, sage ich Dir gleich noch. - Der Staat ist verpflichtet - das ist ein wichtiger Punkt -, auch den Zugang zu Bildung und Kultur und beispielsweise auch die Medienvielfalt zu gewährleisten. Das sind für uns Kernaufgaben des Staates. Für diese Aufgaben behält der Staat die Letztverantwortung, auch wenn er sie Privaten ganz oder teilweise überläßt. Es geht nicht darum, daß der Staat alles selbst erledigen muß. Er trägt aber Verantwortung, daß diese Aufgaben im Interesse der Bürgerinnen und Bürger optimal erledigt werden. Deshalb ist es wichtig, daß Privatisierungen gegebenenfalls durch Entprivatisierungen auch rückgängig gemacht werden können und rückgängig gemacht werden, wenn sich herausstellt, daß die in sie gesetzten Erwartungen enttäuscht werden.
Umfang und Komplexität der staatlichen Aufgaben nehmen zu. Gleichzeitig stoßen wir an harte finanzielle Grenzen. Wir müssen, um handlungsfähiger
Fritz Rudolf Körper
zu sein, die Verwaltung modernisieren. Wenn der Bundesinnenminister seine Aufgaben ernst nähme, müßte er eigentlich auf der Ebene der Bundesregierung beginnen, bei den Bundesministerien.
Den Ministerien kommt im Politikprozeß eine aktive Rolle zu. Ihnen obliegt die Lösung von Zukunftsproblemen. Wir schlagen deshalb vor, die Führungs-, Beratungs- und Gestaltungsfunktion der Ministerien von den ausführenden Verwaltungsaufgaben deutlicher zu trennen und letztere Oberbehörden zu übertragen.
Vor Jahren gab es beim Bundesinnenminister eine Projektgruppe „Regierungs- und Verwaltungsreform", die eine Trennung von politischen und administrativ-fachlichen Aufgaben vorgeschlagen hat. Ich bemerke mit Interesse, daß heute wenigstens einige der Vorschläge zum Dienstrecht wieder herausgeholt werden. Allerdings bleibt das weit hinter einer wirklichen Reform zurück.
In der Diskussion stark umstritten ist die Einführung einer zeitlichen begrenzten Vergabe von Führungsfunktionen. Diese Diskussion ist mir eigentlich unverständlich. Der Haupteinwand, Führungsfunktionen würden dann weniger nach Sachkompetenz und mehr nach Parteibuch vergeben, ist oberflächlich. Zum einen ist auch das heutige Dienstrecht keine Sperre gegen Ämterpatronage, wie man das bei der Bundesregierung sieht. Zum anderen muß es gerade unser gemeinsames Ziel sein, qualifizierte Führungskräfte zu gewinnen, damit die Leistungs-
und Innovationsfähigkeit der Verwaltung gestärkt wird.
Führungsfunktionen müssen ausgeschrieben werden. Dieses Verfahren gewährleistet nämlich eine höhere Transparenz als das heutige Verfahren der Stellenbesetzung. Führungspositionen auf Zeit - das ist eine Frage, die uns noch beschäftigen wird. Die Entscheidung muß nach sorgfältiger Abwägung getroffen werden.
Mit der von der Bundesregierung beabsichtigten Einführung einer Erprobungszeit in Führungsfunktionen können lediglich Fehlbesetzungen - und nur solche, die sich innerhalb des Erprobungszeitraums zeigen - korrigiert werden. Eine Erhöhung der Leistungs- und Innovationsfähigkeit der Verwaltung ist bei einer solchen Maßnahme kaum zu erwarten.
Wir von der SPD-Bundestagsfraktion halten am Berufsbeamtentum fest. Unser öffentlicher Dienst braucht das Beamtenethos. Wir brauchen Beschäftigte, die Stetigkeit der Aufgabenerfüllung, Unbestechlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Zuverlässigkeit unseres öffentlichen Dienstes auf dem Boden der Verfassung gewährleisten.
Andererseits ist es ein verbreiteter Fehler, den öffentlichen Dienst mit dem Berufsbeamtentum gleichzusetzen.
Heute gewährleisten Beamte und Angestellte und Arbeiter seine Funktionsfähigkeit.
Wir sind der Auffassung, daß Beamte nicht überall dort verwendet werden müssen, wo sie heute verwendet werden. Sie sollten nur im Kernbereich der staatlichen Tätigkeit eingesetzt werden.
Wir wollen nicht die Abschaffung des Berufsbeamtentums, sondern seine Weiterentwicklung.
Sie von der Union und von der F.D.P. versuchen immer wieder, die Diskussion auf ein solches Gleis zu schieben. Aber Sie selbst sind angreifbarer, als Sie es sich eingestehen wollen. Wenn der stellvertretende Fraktionsvorsitzende hier im Bundestag erklärt: „Der Staat hat sich prinzipiell auf die hoheitlichen Kernaufgaben zu konzentrieren", so wollen Sie nicht nur eine Beschränkung des Beamtenstatus auf den hoheitlichen Kernbereich, wie auch wir es wollen. Vielmehr gehen Sie weit über dieses Ziel hinaus. Denn Sie wollen staatliche Aufgaben außerhalb des Kernbereiches abschaffen.
Das ist im Ergebnis eine radikale Methode, die Zahl der Beamten zu beschränken: indem man ihnen einfach die Aufgaben wegnimmt.
Das, lieber Erwin Marschewski, ist der eigentliche Unterschied zwischen euch und uns. Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir keinen ausschließlich auf hoheitliche Kernaufgaben beschränkten Minimalstaat.
Ziel der Modernisierung ist die leistungsfähige und bürgernahe öffentliche Verwaltung, die ihre Aufgaben rechtmäßig, wirtschaftlich, sozial und umweltverträglich erfüllen kann. Ein wesentlicher Aspekt der Modernisierung ist zudem die Stärkung der Dienstleistungs- und Kundenorientierung. Dazu brauchen wir eine effizientere Organisation und moderneres Management, mehr Kostentransparenz und die Beschränkung auf solche Aufgaben, die der Staat - und nur der Staat - besser erledigen kann als andere.
Das Reformgebäude kann nicht nach einem starren, zentral ausgearbeiteten Plan errichtet werden. An dem Bau sind vielmehr öffentliche Arbeitgeber, Gewerkschaften und Beschäftigte zu beteiligen. Entscheidend ist, daß begonnen wird; das Weitere wird ein fortwährender Prozeß sein. Einer der ersten Schritte muß eine Vereinbarung mit den Gewerkschaften über die Grundsätze dieser Reform sein. Eine Reform gegen die Beschäftigten wird nicht möglich sein.
Fritz Rudolf Körper
Das hier ist keine Theorie; es gibt z. B. im kommunalen Bereich schon sehr viele praktische Beispiele, die zeigen, wie es gehen kann. Auch in den Bundesländern wurde ein Reformprozeß in Gang gesetzt. Nur die Bundesregierung zögert noch. Die von ihr eingesetzte Kommission ist nach meiner Auffassung überflüssig und hat nur den Effekt, daß die Einleitung der Reform vermieden oder in fernere Zukunft hinausgeschoben wird.
Die Reform muß sich der Tatsache stellen, daß in unserer komplexen Welt hierarchische Strukturen nicht zufriedenstellend funktionieren. Deshalb muß verstärkt auf Selbstorganisation und dezentralisierte Verantwortung gesetzt werden. Eine weitere- Tatsache ist, daß die Verwaltung heute ihre eigenen Kosten nicht kennt. Wer die eigenen Kosten nicht kennt, kann nicht sparsam wirtschaften.
Er kann Leistungen und Kosten nicht vergleichen, um zu entscheiden, wer eine Aufgabe in welcher Weise wahrnehmen soll. Wenn es an Leistungs- und Kostenberechnungen fehlt, wird privatisiert, ohne zu prüfen, ob die Verwaltung eine Leistung nicht unter gleichen Bedingungen besser und/oder kostengünstiger erbringen könnte. Um solche Mängel abzustellen, brauchen wir neue Formen des betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens.
Tatsache ist auch, daß in den Verwaltungen möglichst nach dem Prinzip verfahren wird: neue Aufgabe, neues Personal. Diese Praxis läßt sich nur dadurch einschränken, daß die Entscheidung über Personal-, Finanz-, Organisationsfragen in dezentralisierte Arbeitseinheiten verlagert wird.
Aufgaben- und Ausgabenverantwortung müssen in einer Hand liegen. Der Handlungsspielraum einzelner Arbeitseinheiten wird durch die Zuweisung globaler Budgets erweitert. Im Rahmen zentral festgelegter und überwachter Regeln können sie dann Personal einstellen, Planstellen verlagern, Stellen bewerten, Finanzmittel innerhalb einer Abteilung oder eines Bereiches umwidmen, eingesparte Beträge ganz oder teilweise für andere Betriebszwecke verwenden.
Tatsache ist, daß die Aufgabenkritik in den Verwaltungen heute zu kurz kommt. Diese Aufgabenkritik muß intensiviert werden. Es muß ständig geprüft werden, ob staatliche Aufgaben weiterhin wahrgenommen werden sollen, ob sie besser anderen Stellen übertragen werden oder ob ihr Vollzug effizienter gestaltet werden kann.
Ich will ein letztes Beispiel für den Reformbedarf nennen: Das Personalmanagement in unseren öffentlichen Verwaltungen ist schlichtweg schlecht.
Die Routine der Stellenbesetzungen verdient in der Regel diese Bezeichnung nicht. Aber vergessen dürfen wir nicht: Das wichtigste Kapital unseres öffentlichen Dienstes sind die Beschäftigten.
Von ihrem Engagement und ihren Leistungen hängt es ab, wie die Verwaltung funktioniert. Was jedes Wirtschaftsunternehmen weiß und beherzigt, ist in der öffentlichen Verwaltung noch lange keine Selbstverständlichkeit. Wir brauchen eine Personalentwicklungsplanung auf der Grundlage eines reformierten Beurteilungswesens, eines flexibleren Laufbahnrechtes, verbunden mit Konzepten zur Fort- und Weiterbildung. Gerade die Fort- und Weiterbildung der Beschäftigten muß eine zukünftige zentrale Aufgabe werden.
Die Koalition führt seit Jahren ausschließlich eine ideologische Debatte über „Markt oder Staat",
„Privatisierung" und „Abbau des Staates" und verkennt dabei völlig das vorrangige Ziel, den Staat durch eine Modernisierung der Verwaltung handlungsfähiger zu machen.
Es ist erschreckend - sehen Sie sich doch einmal die einschlägigen Umfragen an! -, wie wenig die Bürgerinnen und Bürger dem Staat und der Politik heute noch zutrauen. Ich sage: Das ist erschreckend, weil unsere Demokratie von der grundsätzlichen Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger lebt, den Politikern ein Mandat zu übertragen. Nach einer jüngsten Befragung des Instituts für Entwicklungsplanung und Strukturforschung an der Universität Hannover glauben z. B. nur noch 7 % der Jugendlichen an die Kompetenz der Verantwortlichen in der Politik. Gerade diese Distanz der Jugend zur konkreten Politik ist für mich sehr beunruhigend.
Dieser Befund hat sicher verschiedene Ursachen. Aber wenn eine Bundesregierung und wenn Regierungsparteien über Jahre hinweg erklären, der Staat müsse sich nach dem Subsidiaritätsprinzip gesundschrumpfen, und überhaupt, die Wirtschaft und Gesellschaft seien gefordert, ihre Probleme primär selbst zu lösen, so kann eine solche Bewußtseinsentwicklung bei Jugendlichen, aber auch Erwachsenen nicht weiter verwundern. Wer sich für unzuständig erklärt, darf sich nicht wundern, wenn er für inkompetent gehalten wird.
Meine Damen und Herren, die Modernisierung von Staat und Verwaltung ist eine entscheidende politische Gestaltungsaufgabe der 90er Jahre. Ich
Fritz Rudolf Körper
wage die Behauptung, daß der Staats- und Politikverdrossenheit vieler Bürgerinnen und Bürger nur begegnet werden kann, wenn es uns gelingt, diese Aufgabe gemeinsam zu meistern.
Schönen Dank.