Rede von
Dr.
Friedbert
Pflüger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Voigt! Die
Dr. Friedbert Pflüger
Bemerkung, daß sich der Bundeskanzler nicht genügend um das deutsch-französische Verhältnis gekümmert habe, ist nun wirklich eine Lachnummer. Das wissen Sie selbst am allerbesten.
Es gibt keinen Politiker in Deutschland, der sich mehr um das deutsch-französische Verhältnis gekümmert hat als Helmut Kohl. Ich glaube, wenn Sie sich einmal in der Bevölkerung umhören, und wenn Sie vor allen Dingen in Frankreich nachfragen, wer mehr für die deutsch-französischen Beziehungen getan hat: die CDU/CSU, Karl Lamers, Herr Schockenhoff, Herr Seiters und viele andere oder Frau Wieczorek-Zeul mit ihrer Mission vor kurzem oder der SPDBundesvorstand, der nach Ihren Worten gar nicht mehr über Außenpolitik diskutiert, dann, glaube ich, werden die Leute ganz klar wissen, wer in letzter Zeit mehr für die deutsch-französischen Beziehungen getan hat.
Herr Kollege Meyer, ich fand Ihre Intervention sehr interessant, aber doch im Kern falsch. Wir wehren uns als Union keineswegs gegen die Besorgnisse von Menschen auf der Straße über Atomtests. Wir sind auch nicht gegen sachliche Kritik an den Tests oder, wie Herr Voigt eben gesagt hat, dagegen, mit Frankreich Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Natürlich gehört das zu einer Freundschaft dazu. Wir sind aber gegen eine völlig maßlose Kampagne, gegen die Beschimpfung des französischen Präsidenten, gegen die dauerhafte Beschädigung der deutsch-französischen Beziehungen dadurch, daß die Franzosen ständig beschimpft und in die Ecke gestellt werden.
Bei aller Kritik, die man an der französischen Position äußern kann und die eben noch einmal von der Bundesregierung geäußert worden ist, sollten wir uns doch die ganze französische Position ansehen. Ich finde, wir sollten gegenüber Frankreich ein bißchen fairer sein. Wenn wir nämlich die französische Position unter Chirac einmal mit der unter Mitterrand vergleichen, dann ergibt sich ein klarer Fortschritt. Das will ich begründen.
- Das wissen Sie vielleicht gar nicht, Herr Kollege: Herr Mitterrand hat 86mal Tests auf Fangataufa und Mururoa durchführen lassen - 86mal! -, im übrigen zum großen Teil in der Hochphase der Entspannungspolitik. Herr Chirac hat acht Tests angekündigt. Wahrscheinlich werden es etwas weniger werden. Herr Mitterrand hat ein einseitiges Moratorium verkündet, das jederzeit aufkündbar ist. Herr Chirac sagt das erste Mal: Ich bin ohne jedes Wenn und Aber bereit, einem weltweit gültigen Atomteststoppabkommen beizutreten. Herr Mitterrand hat nie auf
sogenannte Minitests verzichtet, also auf Atomwaffenversuche unterhalb einer bestimmten Kilotonnenanzahl. Herr Chirac sagt ganz eindeutig: Keine Minitests.
Sogar ein Kritiker von Atomtests wie Harald Müller von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung hat, obwohl er die Tests kritisiert, gesagt: Chirac hat am Genfer Verhandlungstisch eine ganz entscheidende Konzession gemacht und das Tor für einen wirklichen Atomteststoppvertrag im nächsten Jahr weit aufgestoßen. Ich finde es unfair, daß diese französische Position, die ein Fortschritt ist und die dazu führen wird, daß wir im nächsten Jahr zu einem Ende aller Atomtests kommen, von Ihnen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird. Das gehört mit auf den Tisch und in die Debatte.
Ich möchte auf einige der Gegenargumente, die von Ihnen genannt worden sind, eingehen. Das erste Gegenargument, Herr Kollege Voigt, lautet, das, was die Franzosen machen, sei alles nur Taktik. Ich finde, das ist wirklich nicht haltbar.
- Auch wenn es irgend jemand anders gesagt hat, ist es nicht haltbar.
Giscard hat als Präsident bereits in den 70er Jahren von der erweiterten Abschreckung gesprochen; das haben Sie erwähnt. Er hat schon immer eine europäische Funktion der Force de frappe eingeräumt. Mitterrand hat Anfang 1992 davon gesprochen, daß wir über eine europäische Doktrin für die britischen und französischen Nuklearwaffen reden sollten. Im Januar dieses Jahres, also lange vor den Atomtests und der schwierigen Situation für Frankreich, hat Juppé, damals Außenminister, von der „dissuasion concertée", also der konzertierten Abschreckung oder Abratung, gesprochen. Im Februar 1994 heißt es im Weißbuch Frankreichs: „Ohne Kernwaffen ist Europas Verteidigungsautonomie nicht möglich."
Das heißt, die Behauptung, die Franzosen hätten erst nach der Kritik an den Tests aus taktischen Gründen eine Argumentation nachgeschoben, ist nicht haltbar. Die Franzosen haben diese Angebote vorher gemacht. Es ist an uns, die Frage zu stellen, ob wir diese Angebote ernsthaft genug diskutiert und geprüft haben.
Ich füge hinzu: Selbst wenn, Herr Voigt, die französischen Avancen hinsichtlich einer europäischen nuklearen Komponente nur taktischer Natur wären oder einem Lernprozeß in den letzten Monaten entsprochen hätten, sollten wir, meine ich, die Franzosen beim Wort nehmen und mit ihnen darüber reden - und zwar aus unserem Sicherheitsinteresse, Herr Kollege Schäfer, und nicht nur aus Höflichkeit gegenüber Frankreich.
Dr. Friedbert Pflüger
Ein zweiter Punkt ist hier immer wieder angesprochen worden, vor allem auch von dem Kollegen Volmer. Es heißt, wir würden auf kaltem Wege versuchen, Deutschland zur Atommacht werden zu lassen. Sie haben von einer „atomaren Waffenbrüderschaft" mit Frankreich gesprochen. Herr Kollege Volmer, es gibt in diesem Haus nicht einen einzigen Politiker - jedenfalls habe ich keinen einzigen kennengelernt -, der dafür wäre, den deutschen Verzicht auf ABCWaffen in Frage zu stellen.
Wir wollen keinen deutschen Finger am Knopf. Nehmen Sie das doch bitte zur Kenntnis!
Gerade wenn man ein nicht nuklearer Staat ist, hat man in einer Welt, in der es - ob Sie es wollen oder nicht - noch Tausende von nuklearen Waffen gibt und in der die Gefahr der Weiterverbreitung nicht ab-, sondern zunimmt, ein besonderes Interesse daran, nuklearen Schutz zu haben und auch - das füge ich hinzu - mitsprechen zu können.
Worum geht es bei dieser konzertierten Abschrekkung eigentlich? Es geht darum, daß Frankreich - das ist die entscheidende Neuerung, Herr Kollege Voigt - das erste Mal anbietet, seine Nuklearwaffen - bisher wirklich eine rein nationale, man kann fast sagen: eitel gehütete Domäne - in eine europäische Diskussion einzubringen.
Es ist doch ein Fortschritt für uns alle, wenn wir über die Nukleardoktrin, über die Trägersysteme, über die Art und Weise der Waffen, über das, was Nuklearwaffen heute überhaupt an Bedeutung haben, mitreden können. Das ist doch besser, als daß die Nuklearwaffen einfach da sind, wir aber nicht mitreden können.
Ich fände es gut, wenn wir gegenüber Frankreich die gleichen Möglichkeiten hätten, wie wir sie innerhalb der NATO gegenüber den Vereinigten Staaten haben, nämlich eine Art politischer Mitwirkung. Das bedeutet keine Verfügung; die Letztverfügung wird in Paris bleiben, so wie sie in allen Zeiten, was die amerikanischen Nuklearwaffen angeht, selbstverständlich in Washington geblieben ist.
Ich glaube, wir sollten den Dialog annehmen. Es sind viele Frage zu klären; da gebe ich Ihnen völlig recht. Wir müssen die Franzosen auch bitten, konkreter zu werden, und das tun wir auch. Aber zu sagen, daß wir dafür nicht zur Verfügung stehen,
das schadet unseren Sicherheitsinteressen.