Rede von
Karsten D.
Voigt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte ist äußerst interessant - weniger, weil die Franzosen eine neue Nuklearpolitik oder Nuklearstrategie verkündet hätten; bisher haben sie nur einen Begriff in die Debatte geworfen. Sie ist viel interessanter wegen der deutschen Reaktion, weil hier im Parlament sichtbar wird, welche Hoffnungen die einen und welche Befürchtungen die anderen haben.
Da möchte ich Herrn Dregger an das erinnern, was Sie in der Debatte über Hades und Pluton angesprochen haben. Damals haben die Franzosen den
Kanten D. Voigt
Begriff der „dissuasion elargie" in die Debatte geworfen. Dann gab es auf Regierungsebene Arbeitsgruppen, dann gab es Arbeitsgruppen zwischen den Parteien, auch zwischen der Sozialistischen Partei Frankreichs und der Sozialdemokratischen Partei, und alle haben wir geprüft, was sich an der französischen Politik ändern würde, welche Hoffnungen, welche Gefahren es gibt, ob sie uns endlich über ihre Absichten genau informieren würden, wie uns bisher die Amerikaner informieren. Was kam heraus? Heiße Luft!
Bei allem Respekt vor den verschiedenen Äußerungen, die hier gefallen sind, muß man erst einmal feststellen, was in Frankreich wirklich gemeint ist. Man sollte nicht auf eine klassische Art französischer Diplomatie hereinfallen, daß, wenn man sich in einer internationalen Krisensituation befindet - in diesem Falle die Nichtakzeptanz der Nukleartests -, eine diplomatische Bewegung gemacht wird, die dann wieder versickert. Dann haben sie sich alle aufgeregt, die einen etwas befürchtet und die anderen etwas gehofft. Gewesen ist aber nichts.
Da unterscheide ich mich grundsätzlich nicht in dem Wollen einer deutschfranzösischen Zusammenarbeit, aber in der Art, wie ich mit so etwas umgehe, von meinem Kollegen Karl Lamers, der immer, wenn jemand in Paris hustet, in Bonn Schnupfen bekommt. Ich glaube, diese Art und Weise darf man auch im Umgang mit einem so seriösen Partner, wie es eine alte diplomatische Schule in Paris ist, nicht betreiben.
Es ist wahr, die deutsch-französische Freundschaft ist bei uns so etwas wie eine zweite Staatsraison. Sie ist die Voraussetzung für den Aufbau Europas, für die Vertiefung und Erweiterung der Integration und natürlich auch für die Osterweiterung. Ohne die deutschfranzösische Zusammenarbeit funktioniert in Europa nichts.
Ich möchte aber einfach darauf hinweisen, daß diese deutsch-französische Zusammenarbeit in den letzten Jahren gelitten hat, und zwar nicht, weil die SPD-Fraktion oder einzelne Abgeordnete aus ihr gegen Nukleartests protestieren, sondern weil schlicht und ergreifend die Bundesregierung Versäumnisse zu verzeichnen hat, die sie nicht beseitigt hat.
Es hat Meinungsverschiedenheiten beim GATT gegeben. Es gibt sie bei der institutionellen Weiterentwicklung der Europäischen Union, bei der Osterweiterung, bei der Finanzierung der Europäischen Union und bei bestimmten Punkten der Balkanpolitik. Das alles hat diese Bundesregierung schleifen lassen. Das ist nicht behoben worden.
Ich möchte noch einmal daran erinnern, wie der französische Botschafter Scheer demonstrativ öffentlich in das Auswärtige Amt einbestellt worden ist. Das ist ein Umgang, der sich unter Partnern in dieser Form nicht gehört.
Es macht mich besorgt, daß diese Bundesregierung, die immer von der deutschfranzösischen Freundschaft redet - der Bundeskanzler am allermeisten -, in den letzten Jahren die deutsch-französische Beziehung in der Sache, in der Substanz hat schleifen lassen und daß deshalb in wachsendem Maße Entfremdung zu verzeichnen ist und auch die Gefahr der Umorientierung besteht. Die französische Zusammenarbeit mit den Amerikanern und den Briten z. B. ist auch ein Zeichen dafür, daß sich dieser Bundeskanzler und diese Bundesregierung zuwenig um Paris gekümmert haben. Der Bundesaußenminister ist ausgesprochen selten dort gewesen.
- Ich glaube, ich bin in den letzten Jahren häufiger in Paris gewesen als der Bundesaußenminister. Die Bundesregierung redet von der deutsch-französischen Zusammenarbeit, aber sie tut wenig.
Dazu gehört übrigens auch die Frage der Nukleartests. Der französische Präsidentschaftskandidat Chirac
- ich bin schon bei der Sache - hat bereits während seines Präsidentschaftswahlkampfs gesagt, daß er, im Unterschied zu dem Kandidaten der französischen Sozialisten, die Nukleartests wieder aufnehmen wolle. Warum hat diese Bundesregierung ihm nicht schon während des Wahlkampfes signalisiert, daß nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus allen anderen europäischen Staaten ein solcher Protest kommen würde?
Indem die Bundesregierung hier nichts getan hat und nicht frühzeitig gewarnt hat, hat sie eine Krise in den deutsch-französischen Beziehungen und in den Beziehungen Frankreichs zu Europa mit provoziert.
Durch Wegducken, Wegtauchen und Aussitzen löst man solche Probleme nicht.
Es ist also viel Porzellan zerschlagen worden. Trotzdem sollten wir diese Debatte auch als Chance begreifen, als Chance, endlich die deutsch-französischen Beziehungen wieder zu bereinigen und durch neue Aktivitäten auch zu festigen.
Ich bin z. B. der Meinung, daß wir in den deutschfranzösischen Beziehungen versuchen sollten, den Elysee-Vertrag zu ergänzen oder zumindest darüber zu beraten, wie er ergänzt werden soll. Es ist beispielsweise unerträglich, daß es dort nur eine Zusammenarbeit zwischen den Regierungen gibt. Warum gibt es dort keine Zusammenarbeit zwischen den Parlamenten? Diese muß im Vertrag mit vereinbart werden. Hier fehlen entsprechende Initiativen der Regierungskoalition und der Bundesregierung.
Karsten D. Voigt
Wir erleben in der gegenwärtigen Debatte, daß deutsche und französische Intellektuelle die Probleme der Nuklearwaffen, aber auch die Probleme in Bosnien und andere Fragen Osteuropas unterschiedlich wahrnehmen. Es gibt also offensichtlich trotz aller Gemeinsamkeit einen Unterschied in der politischen Kultur. Warum wird so wenig für den deutschfranzösischen kulturellen Austausch getan und der Dialog zwischen diesen Eliten nicht intensiviert?
Deutsche und Franzosen, das sind Freunde, die in Wirklichkeit kulturell und politisch weniger miteinander verkehren als Deutsche und Amerikaner. Aber auch dort haben die Kontakte abgenommen. Auf der Bevölkerungsebene läuft das gut, aber bei den politischen Eliten sind zunehmend Entfremdungserscheinungen zu verzeichnen.
Zu den deutsch-französischen Beziehungen gehört aber auch, daß man sich darüber klar ist, wo man unterschiedlicher Meinung ist. Das ist z. B. bei den Nukleartests der Fall. Ich habe eben schon gesagt, wir hätten den Franzosen frühzeitig bereits im Wahlkampf sagen sollen, daß wir gegen diese Waffen sind.
Nun zum französischen Angebot. Ich habe in den letzten Wochen - zum Teil waren einige Kollegen aus anderen Fraktionen beteiligt - mit französischen Abgeordneten geredet und gefragt, was im Angebot steht. Ich habe eigentlich nur herausgehört, daß sie gesagt haben, man müßte prüfen, ob vielleicht später einmal etwas in der Substanz sein könnte. Daß die Franzosen ihre Nuklearpolitik ändern würden, habe ich nicht festgestellt. Herr Dregger, man kann ja über eine europäische nukleare Planungsgruppe reden. Aber warum gehen die Franzosen nicht in die Nukleare Planungsgruppe der NATO?
Aber lassen wir diesen Punkt beiseite. Reden wir einmal über die Idee der europäischen nuklearen Planungsgruppe; sie ist über 20 Jahre alt. Warum hat denn diese Bundesregierung, wenn sie meint, das sei richtig - darüber gibt es hier im Parlament unterschiedliche Auffassungen -, die Franzosen bisher nicht dazu bewegt? Entweder hat sie es nicht versucht, oder sie hat sie nicht bewegen können.
Realität ist, daß beides zutrifft. In den vergangenen Jahren ist mit den Franzosen weder über deren Nuklearpolitik intensiv geredet worden, noch gibt es in informellen Gesprächen irgendeinen Ansatzpunkt dafür, daß die Franzosen ihre Nuklearpolitik ändern wollen.
Die Franzosen denken überhaupt nicht daran, ihre nationale Verfügung über Nuklearwaffen aufzugeben. Das ist für sie - ich sage das einmal so - noch ein viel stärkeres Symbol als für uns die Bundesbank. Die Force de frappe ist für die Franzosen das Symbol der nationalen Souveränität.
Ich bin gegen eine deutsche Mitverfügung über diese französischen Nuklearwaffen. Aber ich glaube auch, die Konservativen, die meinen, sie bekämen irgendeine Mitverfügung, werden schlicht und ergreifend in der bitteren Realität eines anderen belehrt werden. Es wird keine europäische Verfügung über französische Nuklearwaffen geben. Es wird erst recht keine deutsche Mitverfügung über Nuklearwaffen geben. Das ist auch gut so.
Also sollten wir mit den Franzosen darüber reden, wie sie sich in der Sache nicht nur rhetorisch, sondern in Zukunft europäischer verhalten. Es ist doch einfach die Realität, daß sie jetzt eine europäische Geste machen, aber vorher die Nukleartests ohne europäische Einbeziehung durchgeführt haben. Es gibt also einen tatsächlichen Ablauf, der faktisch nicht proeuropäisch ist, und eine Rhetorik, die proeuropäisch ist.
Jetzt wäre es doch die Aufgabe einer einigermaßen handlungsfähigen Bundesregierung, zu dem französischen Partner zu gehen, besonders wenn man bilaterale Beziehungen sehr pflegen will, und zu sagen: „Jetzt habt ihr eine europäische Rhetorik vorgeführt. Ihr habt aber eine andere Handlung durchgeführt. Ihr habt euch im europäischen Kontext auch anders verhalten. Ihr habt das Echo gespürt. Was wollt ihr denn nun eigentlich?"
Herr Schäfer, wo haben Sie denn heute in Ihrer Rede gesagt, in welcher Hinsicht sich die Franzosen ändern? Sie haben gesagt: Wir brauchen die amerikanischen Nuklearwaffen. Wir brauchen deshalb nicht ergänzend die Franzosen. Darin stimme ich mit Ihnen überein. Aber eigentlich wäre es doch Ihre Aufgabe gewesen, zu sagen: „Nach dieser französischen - das ist schon ein paar Wochen her - Initiative haben wir als Bundesregierung auf der Ebene des Bundeskanzlers, des Verteidigungsministers und des Außenministers die Franzosen konsultiert. Dabei ist dies und jenes herausgekommen. Dort gibt es eine Änderung der französischen Politik." Fehlanzeige! Da gibt es nichts.
Jetzt reden hier Herr Lamers und Herr Dregger groß von einer möglichen Änderung der französischen Politik. Hier sagt der Staatsminister, er sehe keine Änderung in der französischen Politik. Was stimmt denn nun? Entweder sagt man ganz offen, aus Paris kommt heiße Luft - dann, finde ich, ist es richtig, daß man damit höflich umgeht; dann soll man sich dann aber weder aufregen noch etwas hoffen -, oder es stimmt, was Herr Dregger und Herr Lamers sagen: Ja, es gibt erste Anzeichen einer möglichen künftigen Änderung. Dann würde ich gerne von der Bundesregierung wissen, welche Anzeichen es denn wirklich gibt und was sich verändert hat. Bisher hat sich in der Sache nichts verändert.
Ich habe am Anfang gesagt, daß die Debatte im Bundestag fast interessanter ist als das französische Angebot. Denn es passiert folgendes - das ist die Außenwirkung dieser Debatte -: Leute im Ausland, be-
Karsten D. Voigt
sonders im europäischen Ausland, fangen auf Grund dieser Debatte in Deutschland an zu fragen: Will ein Teil der deutschen Konservativen in Wirklichkeit auf Dauer gesehen nicht eine Mitverfügung?
Warum schweigt die Bundesregierung bei den Nukleartests?
Sie ist jetzt nicht nur weniger über die französischen Nukleartests besorgt, die wir alle ablehnen, sondern sie fragen sich gleichzeitig: Ist dort ein geheimes Spiel im Gange, weil dort keine klaren Äußerungen kommen? Deshalb werden Verdächte bei unseren Nachbarn groß. Dann, Herr Schäfer, haben Sie beides zusammen: keine Substanz im französischen Angebot und das Mißtrauen unserer anderer europäischen Partner.