Rede von
Dr.
Alfred
Dregger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat, auf das sich verschiedene Kollegen verschiedener Fraktionen heute bezogen haben.
Es sind Sätze, die ich in der letzen Atomdebatte am 16. Februar 1995 gesprochen habe:
Kein Staatsmann, der bei Verstand ist und ein Minimum an Verantwortung empfindet, wird nach den Erfahrungen von Hiroschima, Nagasaki, aber auch Tschernobyl Atomwaffen einsetzen. Atomwaffen sind keine Waffen des militärischen Sieges, keine Waffen der Schlacht, sie gehören erst recht nicht auf des Gefechtsfeld, und auf eigenem Territorium sind sie Selbstmordwaffen. Es darf daher keine militärische Strategie und keine militärische Doktrin mehr geben, die, und sei es als Ultima ratio, den Einsatz von Atomwaffen vorsieht.
Meine Damen und Herren, Gott sei Dank liegen die ersten und bis dahin letzten Atomwaffeneinsätze lange zurück. Ich bin überzeugt: Wenn eine Atomwaffe in den letzten Jahren, wo auch immer auf der Welt, eingesetzt worden wäre, dann gäbe es niemanden mehr, der an der Richtigkeit der Sätze zweifeln würde, die ich eben vorgetragen habe.
Dr. Alfred Dregger
Die Notwendigkeit einer Minimalabschreckung bleibt aber bestehen. Denn wir dürfen uns den Gaddafis und anderen Leuten, die nicht gewillt sind, sich an die Völkerrechtsordnung zu halten, nicht ausliefern.
Diese Minimalabschreckung muß unter internationaler Kontrolle erfolgen, durchgeführt durch die klassischen Atommächte, die sich auf diese Aufgabe vorbereiten müssen.
Aber bis wir dieses Ziel einmal erreicht haben werden, werden noch lange Jahre vergehen. Wir leben vorerst in einer Welt voller Waffen und auch voller Atomwaffen. Wir dürfen uns nicht allein auf unser Fernziel konzentrieren, sondern wir müssen uns fragen: Was können wir denn tun, um diese Gefahren für unser Volk zu reduzieren?
Ich bin der Meinung, daß wir dazu Verbündete brauchen. Wir haben sie ja in der NATO. Dazu gehört, daß wir uns unterrichten, wie denn der Stand der Gefahrenlage ist. Es wurde vorhin kritisiert, daß wir der Nuklearen Planungsgruppe der NATO angehören. Das ist für uns lebensnotwendig. In dieser nuklearen Planungsgruppe werden wir informiert; dort werden wir konsultiert. Wir erhalten so die Möglichkeit, unsere spezifisch deutschen Sicherheitsinteressen bei denen zur Sprache zu bringen, die am Drükker sitzen. Das setzt auf unserer Seite Einfühlungsvermögen, Sachverstand, Gesprächsbereitschaft, Vertrauen und Vertraulichkeit voraus. Mit apodiktischen Forderungen, wie die Grünen sie in ihrem Antrag erhoben haben, geht das nicht.
Was uns gegenüber den USA und Großbritannien seit langem gelungen ist, sollte uns jetzt auch Frankreich gegenüber gelingen, das bisher zu einer vergleichbaren Lösung nicht bereit war. Wie wertvoll das für uns sein würde, sei am Beispiel der Hades - Sie kennen dieses Problem - erläutert. Diese Kurzstreckenrakete wurde noch unter der Präsidentschaft von Mitterrand produziert, eine Rakete, die wegen ihrer geringen Reichweite von weniger als 450 km nur Deutschland und die anderen unmittelbaren Nachbarn Frankreichs treffen könnte, nicht einen potentiellen Angreifer. Die Kurzstreckenraketen sind daher für uns noch gefährlicher als die Mittel- und Langstreckenraketen.
Deshalb haben wir in Gesprächen mit Frankreich gegen diese Kurzstreckensysteme Front gemacht. Das Ergebnis: Ihre Zahl wurde verringert; sie wurden in die Depots verbannt; Truppen für die Betreibung dieses Systems wurden nicht mehr aufgestellt. Das war ein Erfolg, wenn auch kein vollständiger.
Wir Deutschen haben ein Interesse daran, daß der neue Präsident seinen Vorgänger in diesem Punkt bestätigt und - was noch besser wäre - diese Kurzstreckensysteme vollständig beseitigen ließe. All das setzt aber voraus, daß wir die von Frankreich angebotene Zusammenarbeit nicht ausschlagen, daß wir intensiv miteinander sprechen.
Mein Vorschlag ist: Die von Frankreich angebotene Zusammenarbeit mit Deutschland und den anderen europäischen Verbündeten sollte in einer europäischen nuklearen Planungsgruppe institutionalisiert werden. Das könnte und sollte ein Thema für die Regierungskonferenz zur Überprüfung des Maastrichter Vertrages sein.
Im übrigen empfehle ich, Frankreich in dieser Diskussion in einer Weise zu behandeln, wie unser engster und wichtigster Verbündeter in Europa es erwarten kann.
Das bedeutet, alle Forderungen, die wir an Frankreich richten, sollten wir auch an die USA, Großbritannien und Rußland richten. Daß sich Frankreich ferner ohne Einschränkung bereit erklärt hat, 1996 ein umfassendes Teststoppabkommen abzuschließen, sollten wir nachdrücklich begrüßen.
Ich appelliere an die anderen Atomwaffenstaaten, diesem guten Beispiel Frankreichs zu folgen.
An der Position Deutschlands - der Herr Staatsminister hat es vorhin dankenswerterweise klargestellt - sollte sich im übrigen nichts ändern. Wir haben auf Atomwaffen verbindlich verzichtet und streben weder Mitbesitz noch Verfügungsgewalt über diese Waffen an. Es liegt aber im existentiellen Interesse Deutschlands, auf die Atomwaffen seiner Verbündeten, auf deren Einsatzdoktrin und auf deren Zielplanung Einfluß zu nehmen - auf die französischen nicht weniger als auf die amerikanischen und britischen, auf die Deutschland seit langem im Rahmen der Planungsgruppe der NATO Einfluß nehmen kann und Einfluß nimmt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn wir realistisch und ohne Aufregung unsere nationalen Interessen und unser Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens prüfen, könnten wir zu einer Übereinstimmung kommen, zu einer Lösung dieser Probleme mit Frankreich und damit zu einer Stärkung in Deutschland und auch in Europa.
Danke.