Rede von
Ulrich
Irmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es trifft sich gut, daß ich als Redner folge, nachdem die Kollegin Wieczorek-Zeul
die F.D.P. aufgefordert hat, zu sagen, was sie von der ganzen Sache hält. Ich will Ihnen das zunächst einmal mitteilen. Offensichtlich sind Ihnen in der Wirklichkeit die politischen Gegner abhanden gekommen; denn sowohl Sie als auch der Kollege Volmer haben sich krampfhaft bemüht, Popanze aufzubauen, von denen bisher weit und breit überhaupt nichts zu sehen war.
Im Antrag der Grünen ist zu lesen: „Atomstreitmacht unter Kontrolle der Europäischen Union". Sie, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, haben eben von Europa als „atomarer Supermacht" geschwafelt.
Ich muß wirklich fragen: Wo sind wir eigentlich? Welche Begriffswelt wird hier aus der Luft gegriffen und als dicke Blase aufgebaut? Angeblich soll dann ein wirkungsvoller Knall erfolgen, wenn Sie mit Ihren Worten auf diese Blase zielen. Aber Sie werden merken, daß nur eitel Luft darin gewesen ist.
Frau Wieczorek-Zeul, ich verstehe auch nicht, daß Sie die Koalition, die Bundesregierung anmahnen, zu den französischen Atomtests ganz klar Stellung zu nehmen. Das ist wieder und wieder geschehen. Mein Parteivorsitzender Wolfgang Gerhardt hat von dieser Stelle aus mehrfach ganz eindeutig gesagt, daß er diese französischen Atomtests nicht für richtig halten kann. Der Bundesaußenminister hat das für meine Partei erklärt. Der Bundeskanzler hat das erklärt. Werden richtige Erklärungen dadurch noch richtiger, daß man sie ständig wiederholt? Im Gegenteil, sie schleifen sich dann doch ab. Ich wiederhole nur ganz kurz: Es bleibt bei unseren früheren Aussagen in diesem Punkt.
Ich befürchte, daß sich die Franzosen selbst damit international keinen Gefallen getan haben, weil der Schaden, den sie für ihr Ansehen angerichtet haben,
Ulrich Irmer
sehr wahrscheinlich größer als der Nutzen ist, den sie aus den wissenschaftlichen Versuchen ziehen. Aber das ändert nichts an der Kritik, die wir angebracht haben und weiterhin anbringen.
Meine Damen und Herren, bei aller Berechtigung von Kritik kommt es ja nun auch ein bißchen auf den Ton an. Es kommt auch darauf an, welcher Methoden man sich bedient, um eine Kritik zum Ausdruck zu bringen,
und ob man der Ernsthaftigkeit des Themas angemessen reagiert. Sie aber haben mit clownesken und auf die Kirmes gehörenden Aktionen das Thema im Grunde ins Lächerliche gezogen.
Frau Wieczorek-Zeul, daß Sie bei dem Versuch, nach Mururoa zu kommen, auf dem falschen Dampfer saßen, kann niemanden erstaunen; denn Sie sitzen gewöhnlich auf dem falschen Dampfer.
Wenn hier wirklich bis zum Boykott des Champagners und ähnlichen witzigen Aktionen versucht wird, das Thema ins Aktionistische und Lächerliche zu ziehen, dann muß ich hier anmahnen, daß das Thema zu ernst ist, als daß man derartige Späße damit treibt.
Aber es ist ohnehin leider Gottes so: Gewisse „Gutmenschen", die da jammernd durch die Lande ziehen, sind in aller Regel noch schwerer als die ausgemachten Schurken zu ertragen. Manchmal allerdings fällt beides in der gleichen Person zusammen, und dann ist es gänzlich unerträglich.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich möchte Ihnen folgendes vorhalten: Sie verlangen von uns, daß wir hier einem Antrag zustimmen, in dem in der Verurteilung - das ist Ihr Vokabular - überhaupt nicht zwischen Frankreich und der Volksrepublik China differenziert wird. In Ziffer 2 Ihrer Resolution schreiben Sie: „Der Deutsche Bundestag verurteilt den chinesischen Atombomben-Test ... " Und in Ziffer 3 heißt es: „Der Deutsche Bundestag verurteilt die Wiederaufnahme der französischen Atomwaffentests ... " Wenn Sie nicht zwischen China,
das nach wie vor systematisch Menschenrechte mit Füßen tritt und in dessen Inneren es ganz schrecklich aussieht - fragen Sie nur die Kolleginnen, die gerade auf der Weltfrauenkonferenz in Peking gewesen sind -, und einem Freund und engsten Partner differenzieren, sondern hier beide gleichermaßen auf die Anklagebank setzen, dann können Sie von uns nicht
erwarten, daß wir einer solchen Resolution zustimmen. So geht man nicht mit Freunden um!
Bei aller Kritik an den Atomwaffentests sollte hier deutlich unterstrichen werden: Frankreich ist und bleibt unser engster und wichtigster Partner in der Europäischen Union.
Deshalb werden wir unsere französischen Freunde gegen unsachgemäße, überzogene und Schmähkritik jederzeit in Schutz nehmen, und darauf müssen sie sich verlassen können.
Was die Kernwaffen insgesamt anbetrifft, so sage ich noch einmal an die Adresse der jammernden „Gutmenschen": Wer liebt denn Atomwaffen? Wenn Herr Dregger gesagt hat, das seien Selbstmordwaffen, dann ist das ja richtig; es ist ja Teufelszeug. Aber ich kann es doch nicht aus der Welt herausbeten. Es ist doch nun einmal vorhanden.
Solange unberechenbare Länder, für die die Namen Al-Gaddafi, Saddam Hussein oder Kim Jong II stehen, entweder jetzt oder möglicherweise in Zukunft über Nuklearwaffen verfügen, wäre mir - das muß ich ganz deutlich sagen - nicht wohl, wenn ich wüßte, daß es keine berechenbaren Staaten und Bündnisse mehr gäbe, die gleichfalls über solche Waffen verfügen. Ansonsten wären wir nämlich diesen Verbrechern gegenüber in einer Weise erpreßbar, die kein Mensch politisch verantworten kann.
Es hilft doch nichts, wir arbeiten doch alle angestrengt für nukleare Abrüstung. Was ist denn das Ziel? Was ist denn schon erreicht worden? START I, hoffentlich demnächst START II; die Kurzstreckenwaffen sind verschwunden. Wir haben in dieser Richtung seit dem Wegfall des Ost-West-Konflikts erhebliche Erfolge erzielt. Wir müssen weiterarbeiten. Aber es geht doch nicht, daß wir uns einfach eine schöne Welt zusammenbeten und dann eine Jammerleier anstimmen und sagen: Das ist alles Teufelszeug; das muß weg. Es muß weg, aber kontrolliert und in vernünftiger und berechenbarer Weise.
Meine Damen und Herren, eines muß klar sein: Es handelt sich bei den französischen Überlegungen, die jetzt angestellt worden sind, nicht um konkrete Angebote. Wir erwarten durchaus solche Angebote. Wenn sie denn kommen, sollten wir darüber reden. Herr Lamers hat hier überzeugend ausgeführt, daß es ganz selbstverständlich ist, daß wir, wenn diese Waffen bei unseren Partnern in der Europäischen Union vorhanden sind, auch sehr gerne darüber konsultiert werden möchten, wie die Nuklearstrategie aussieht. Oder ziehen Sie es vor, daß die Franzosen und die Briten diese Entscheidungen für sich allein treffen, ohne uns zu informieren oder nach unserer Meinung zu fragen? Das halte ich einfach nicht für eine angemessene Partnerschaft.
Ulrich Irmer
Es ist weiterhin völlig klar: Es bleibt bei den völkerrechtlich eindeutigen und verbindlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik. Wir wollen keine Atomwaffen, wir wollen keine Verfügungsgewalt. Daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben.
Herr Volmer hat versucht, das hier in Frage zu stellen. Aber das ist doch im Zwei-plus-Vier-Vertrag und in anderen völkerrechtlichen, verbindlichen Erklärungen ganz klar festgezurrt. Deshalb brauchen wir das auch nicht in das Grundgesetz zu schreiben. Ich habe zwar nichts dagegen - das Grundgesetz könnte hier mit Zweidrittelmehrheit geändert werden -, aber die völkerrechtlichen Verpflichtungen sind von uns einseitig nicht aufzugeben. Insofern ist durch sie eine viel bessere Garantie gegeben, als wenn das alles im Grundgesetz stünde, obwohl ich gerne bereit bin, darüber zu reden.
Meine Damen und Herren, es muß auch klar sein: Wenn von Konsultationen in der Europäischen Union über die Nuklearpotentiale, die zwei der Partner besitzen, die Rede ist, dann darf die Diskussion sich nicht auf Deutschland als dritten Partner, der hinzugezogen wird, beschränken, sondern dann müssen alle Partner der Gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik mit einbezogen werden. Sonst bestünde die Gefahr, daß wir in einem ganz anderen Sinne plötzlich zu einem „Kerneuropa" kämen, wo nur noch ein Kern von Staaten über die Kernwaffenpotentiale beraten würde. Das darf nicht sein.
Herr Lamers hat ja dankenswerterweise seinen Vorstoß von damals zum Kerneuropa zurückgezogen bzw. stark modifiziert.
Herr Lamers, Sie haben dadurch zwar konstruktive Anstöße gegeben - ich will das gar nicht bestreiten -, aber in der Beschränkung auf diese Vokabel hat das natürlich Irritationen ausgelöst.
Meine Damen und Herren, die Äußerungen, die Premierminister Juppé in engem Zusammenhang mit dem ersten Test dieser Reihe getan hat, waren natürlich vom Zeitpunkt her, sagen wir einmal: mißverständlich. Denn es konnte der Eindruck entstehen, als ob die deutsche Öffentlichkeit beschwichtigt werden sollte. Ich halte das nicht für sonderlich glücklich.
Ich betone noch einmal: Unsere Position zu den Tests ist klar, aber wir lassen es nicht zu, daß die enge deutsch-französische Freundschaft durch die Art des Protestes, durch die Art der Resolution, die Sie uns hier vorschlagen, in Zweifel gezogen oder gar gestört wird.
Ich sage noch eines: Wenn die Franzosen derartige Überlegungen anstellen, ist das insofern, wie Herr Kinkel gesagt hat, interessant, da es ihre Bereitschaft unterstreicht, durchaus in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, in Fragen der gemeinsamen Verteidigung mit uns zusammen die gemeinsame europäische Politik zu gestalten.
Ich danke Ihnen.