Rede von
Heidemarie
Wieczorek-Zeul
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist im Deutschen Bundestag vielleicht die letzte Chance vor dem angekündigten neuen französischen Atomtest, die französische
Regierung aufzufordern, auf diesen Test und auf eine solche Testreihe im Interesse der Menschen zu verzichten, weil Massenvernichtungswaffen nicht mehr getestet, nicht mehr „verfeinert" und nicht mehr neu entwickelt werden dürfen, sondern weil das Ziel sein muß, endlich von Atomwaffen wegzukommen und das Ziel der atomaren Abrüstung wirklich zu erreichen.
Die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion haben bisher in diesem Haus eine Entscheidung über die Ablehnung dieser Tests und eine entsprechende Aufforderung an Frankreich verweigert. Sie haben das mit Mitteln der Geschäftsordnung getan. Ich fordere Sie deshalb auf: Stimmen Sie heute unserem Antrag hier zu. Wer das nicht tut - ich sage das auch an die Adresse der Bundesregierung, die auf den Gipfeln immer wieder geschwiegen hat -, der muß sich sagen lassen: Er ist mitverantwortlich, wenn ein solcher Test in den nächsten Stunden oder Tagen tatsächlich passiert.
Wir appellieren an die französische Regierung, keine weiteren Atomtests durchzuführen. Es gibt Beschlüsse des Europaparlaments, der OSZE, der Internationalen Atomenergie-Organisation und des Südpazifik-Forums. Alle diese Beschlüsse machen deutlich, daß es notwendig ist, jetzt von der atomaren Aufrüstung wegzukommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bombe, die jetzt in einem zweiten Versuch getestet werden soll, hat die zehnfache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Die Bedenken vieler Wissenschaftler wegen des Austritts hochgefährlicher Nuklide, wegen der möglichen atomaren Gefährdung bis hin an die Küsten Japans und Australiens liegen doch auf dem Tisch. Jetzt möchte ich den Kollegen der CDU/CSUFraktion vorhalten: Sechs Wochen nach der Beschlußfassung über den Nichtweiterverbreitungsvertrag, in dem sich die Regierungen, die über Atomwaffen verfügen, verpflichtet haben, keine Tests mehr durchzuführen, führt die französische Regierung einen solchen Test zum erstenmal durch, testet das, was Alfred Dregger „Selbstmordwaffen" genannt hat.
Wir haben 48 000 atomare Sprengköpfe. Wir haben sie bereits heute. Ihre Abrüstung bedeutet erhebliche Probleme und Gefährdungen. Allein schon die Abrüstung ist gefährlich. Dann ist es doch an der Zeit, endlich dafür zu sorgen, daß mit diesem Wahnsinn der Entwicklung neuer Atomwaffen Schluß gemacht wird.
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Ich muß sagen: Es ist doch ein absurder Punkt, zu sagen, das sei wegen Europa notwendig. Das muß man sich doch auf der Zunge zergehen lassen.
Die französische Regierung verhindert, daß Fachleute der Europäischen Kommission wirklich alle Elemente des Testgeländes untersuchen können, behindert damit die Beurteilungsfähigkeit der Europäischen Kommission nach dem Euratom-Vertrag. Wer das tut, der handelt nicht für Europa, sondern trägt dazu bei, daß in Europa eine Spaltung, eine Verlangsamung des Prozesses der europäischen Einigung einsetzt und der gefährdet die weitere europäische Einigung. Das ist das, was offensichtlich die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und F.D.P. nicht kapieren.
Es ist so: Die Ankündigung für das nächste Jahr, ein vollständiges Atomtestabkommen zu verwirklichen, ist wichtig und notwendig. Aber was dabei auch erwähnt werden muß, ist die Gefahr bei dem Test dieser neuen Waffen. Jetzt komme ich zu dem, was Herr Lamers gesagt hat. Hinter dem französischen Konzept steckt doch die Vorstellung, daß man im Blick auf regionale Konflikte die Atomwaffe zu einer normalen Waffe gegen angeblich neue Gefahren machen will oder sie als solche begreifen will. Aber wer regionale Konflikte und Kriege - Herr Lamers hat es hier gesagt, er hat das Beispiel Irak angeführt - mit Atomwaffen als führbar erklärt, ermutigt all die Staaten, die bisher mit dem Druck des Nichtweiterverbreitungsvertrages vom Besitz von Atomwaffen ferngehalten wurden und ferngehalten werden mußten.
Wie zynisch müssen eigentlich die Menschen im Südpazifik die Ankündigung des endgültigen Stopps für nächstes Jahr empfinden, wenn ihre Region jetzt zum militärischen Exerzierfeld für weitere Atomtests gemacht wird? Frankreich schadet damit schwer seinem Ansehen in der dortigen Region. Was müssen die Menschen im Südpazifik empfinden? Einer von ihnen, der Ihnen das sagen kann, auch Ihnen, die Sie alles nur vom Schreibtisch her wissen, ist heute hier im Deutschen Bundestag. Er sitzt auf der Tribüne. Das ist Gabriel Tetiarahi. Er ist Präsident von Hiti Tau, des Zusammenschlusses der Nicht-Regierungsorganisationen der Maori auf Tahiti. Seine Organisation engagiert sich seit Jahren dafür, daß in seiner Heimat endlich keine Atomtests mehr durchgeführt werden. Ich sage Ihnen: Er kann auf unsere Unterstützung rechnen.
Ich hoffe, daß Sie alle, die Sie auch für Heimat sind, ein Wort dazu sagen. Wir begrüßen ihn hier im Deutschen Bundestag. 19 Vertreter und Vertreterinnen von Polynesien haben mit unserer Unterstützung eine Menschenrechtsbeschwerde gegen die französische Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingebracht wegen Verletzung des Rechtes auf Leben und Gesundheit sowie wegen rassischer Diskriminierung.
Die Europäische Menschenrechtskommission hat diese Klage als zulässig erklärt, die Verhandlungen auf den 27. November dieses Jahres festgelegt und die französische Regierung aufgefordert, bis zum 20. Oktober Stellung zu beziehen. Der Respekt vor rechtsstaatlichen Verfahren und Institutionen gebietet es, daß die französische Regierung auf Atomwaffentests verzichtet. Der Menschenrechtsgerichtshof steht auf französischem Boden in Straßburg.
Ich habe schon gesagt: Ich halte es für einen durchsichtigen Versuch, in dieser Situation zu behaupten, es gehe darum, den französischen Atomschirm für Europa oder Deutschland auszuweiten. Es wird doch in einer Situation, in der sich Chirac in Europa in Schwierigkeiten befindet, der Versuch gemacht Mitverantwortung und Legitimation durch die Nachbarländer - auch der Bundesrepublik Deutschland - für die Atomtests herbeizuorganisieren. Dem sollten wir eine ganz klare Absage gegenüberstellen.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie klar und unmißverständlich die Europäisierung französischer Atomwaffen zurückweist. Wir haben in unserem Antrag, den wir heute zur Abstimmung stellen, gesagt: Deutschland hat auch nach der Vereinigung völkerrechtlich verbindlich auf Entwicklung, Produktion, Erwerb und Verfügung von Atomwaffen verzichtet. Das ist mit eine der Säulen deutscher Außenpolitik in den letzten Jahrzehnten.
Diese Verpflichtung wollen wir heute in der Debatte im Deutschen Bundestag bekräftigen und klarstellen, daß Deutschland eine Teilhabe an Atomwaffen auch auf indirektem Weg ablehnt.
Wir fordern Sie auf: Stimmen Sie mit, machen Sie diese Position deutscher Außenpolitik im Deutschen Bundestag erneut deutlich, und bekräftigen Sie sie.
Es hat vorhin schon eine Rolle gespielt: Die Bundesregierung muß auch klar Position beziehen, wie sie sich die Entwicklung einer europäischen Militärpolitik vorstellt - Verteidigung ist der falsche Ausdruck -, ob sie eine solche Militärpolitik mit Atomwaffen will oder nicht. Herr Lamers, der Begriff „Gestaltung von Nuklearem" war verräterisch.
Es geht nicht darum, daß wir die Nuklearwaffen in Europa in einem europäischen Maßstab gestalten sollen. Die Frage ist vielmehr: Wollen Sie, daß sie abgerüstet werden? Das ist das, was in diesem Haus heute deutlich gemacht werden muß.
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Die Bundesregierung vertritt in diesen Fragen offensichtlich unterschiedliche Positionen. Es ist schon genannt worden: Kinkel sagte: interessant, Rühe meinte, der NATO-Schutzschirm reiche aus, und Herr Lamers machte die Öffnung gegenüber dieser europäischen Atomstreitmacht deutlich.
Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie in dieser Frage keine klare Position beziehen, dann setzen Sie und auch die Bundesregierung sich dem Verdacht aus, daß ein Teil der wahnsinnigen Milliardenkosten - Sie beteiligen sich sogar daran - eines französischen Atomprogramms auf den deutschen Steuerzahler abgewälzt wird.
Wir müssen auch einmal über solche Konsequenzen reden. Ich halte das Ganze für unverantwortlich. Auch da wirft Herr Lamers Nebel - Herr Lamers, vielleicht wäre es ganz gut, Sie hörten zu -, denn er sagt: Wir wollen doch, daß sich Frankreich äußert. Mit Verlaub: Wenn Frankreich im Rahmen der NATO entsprechende Informationen über seine nukleare Perspektive und den Umfang seines Potentials gibt - das hat es bisher verweigert -, dann wird es niemanden stören. Die Zielplanung gibt es gar nicht, weder in Frankreich noch in der NATO. Das ist ein Teil des Problems, das seit dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes in bezug auf die Atomwaffen existiert.
Herr Lamers deutet hier an, daß es nicht nur um eine indirekte Teilhabe an Atomwaffen, sondern auch um eine direkte Gestaltung Deutschlands in einer europäischen Atomstreitmacht geht. Das ist heute nicht ausgeräumt worden - im Gegenteil: Es ist noch deutlicher geworden.
Es geht um den Grundsatz: Wie wollen wir gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik gestalten? Das bisherige französische Verhalten im Rahmen der Atomtests hat der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik geschadet. Es hat die erste gemeinsame Aktion, nämlich die Forderung nach Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, erschüttert, und es hat im Vorfeld der Regierungskonferenz, der Reformkonferenz zu Maastricht, die Ausgangsbedingungen für gemeinsame Positionen erschwert.
Wir wollen - Sie werden es nicht sagen; ich sage es für meine Fraktion und, ich meine, für die Opposition insgesamt -, daß die Europäische Union Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik praktiziert. Wir wollen aber auch, daß sie ein Motor nicht nur der Abrüstung insgesamt, sondern auch weltweiter atomarer Abrüstung wird und sich gemeinsam für Atomteststopps engagiert.
Eine Atomstreitmacht Europa als atomare Supermacht: Welches Signal wäre das für die Welt? Es wäre ein Signal dafür, daß es um atomare Aufrüstung und nicht um Abrüstung geht. Es wäre ein Signal dafür, daß die Spirale erneut in diese Richtung angedreht wird.
Das Gebot der Stunde ist aber, die Selbstmordwaffen, die Atomwaffen, die Massenvernichtungswaffen zu ächten, zu verschrotten und Schritte in diese Richtung zu beginnen. Ich möchte, daß in der heutigen Debatte klargemacht wird, wie die Position der Bundesregierung zu all diesen Fragen ist. Herr Lamers hat die Perspektive „europäische Atomstreitmacht" aufgemacht. Ich will wissen, wie die F.D.P. zu diesen Fragen steht. Was sagt die Bundesregierung, was sagt Helmut Kohl zu diesen Fragen?
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.