Rede von
Karl
Lamers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte beginnt gut, wie ich finde. Ich stelle fest, Kollege Fischer: Zu dem, was der Kollege Schloten unter Bezugnahme auf Ihren Kollegen Trittin gesagt hat, haben Sie kein Wort gesagt. Es ist in der Tat schwierig, dazu etwas zu sagen. Ich kannte dieses Zitat nicht.
Es ist hervorragend und beweist ein weiteres Mal, wie inkonsistent Ihre Position ist.
Im übrigen kann ich es mir auch nicht ersparen zu sagen, Herr Kollege Schloten: Das gilt auch für Ihre eigene Fraktion. Ich bin sehr gespannt, was Ihre Kollegin Wieczorek-Zeul gleich zu diesem Punkt sagen wird.
Ich will zunächst eines aufgreifen. Hier bitte ich darum, daß wir doch versuchen mögen, uns auf eine Meinung zu einigen. Es ist in der Reaktion auf die französischen Tests zum Teil eine moralische Überheblichkeit zum Ausdruck gekommen, die mir Sorgen macht.
Sie ist Ausdruck eines totalen Un- und Mißverständnisses in bezug auf das französische Selbstverständnis. Dazu gehört beispielsweise die Vorstellung, der französische Staat könne, solle, werde vor Greenpeace auf die Knie fallen. Das hat er nicht getan; ich füge hinzu: Gottlob hat er es nicht getan.
Diese Vorstellung muß uns weit über diesen Anlaß hinaus Sorgen machen. Wer legitimiert wen zu solchen Aktionen, wie Greenpeace sie durchführt? - Ich glaube, daß dies, auch das eine oder andere, was in dieser Debatte zum Ausdruck gekommen ist, ein Anlaß sein muß, die kulturelle Kommunikation zwischen Deutschland und Frankreich zu intensivieren. Denn - das sage ich ganz deutlich - so gut und hervorragend die Kommunikation auf der politischen Ebene klappt, so sehr macht mir doch das Nachlassen der Kommunikation auf der Ebene darunter oder darüber - wie Sie wollen - gewisse Sorgen. Deswegen, glaube ich, sollten wir alles dafür tun, daß diese Kommunikation intensiviert wird. Das ist nicht nur eine Sache der Regierung. Sie kann Weichen stellen und Anstöße geben. Das ist zwar nicht nur eine Sache von Parlamentariern; es ist aber insbesondere eine Sache von Parlamentariern. Ich hoffe, daß wir uns insofern jedenfalls weitgehend einig sind.
Nun zu dem französischen Angebot. Zunächst muß man klären, was nicht angeboten worden ist. Denn wir neigen immer dazu, Fragen zu beantworten, die gar nicht gestellt worden sind.
Es ist nicht die Frage gestellt worden, ob wir einen Finger am Knopf haben wollen. Natürlich ist sie überhaupt nicht gestellt worden. Wir dürfen es nicht, wir wollen es nicht, und selbst wenn wir es wollten, könnten wir es nicht. Also ist diese Frage absolut
Karl Lamers
irrelevant. All Ihre Rhetorik, Kollege Volmer, ist völlig unangebracht und zielt absolut ins Leere.
Zweitens. Es ist auch nicht der Vorschlag gemacht worden - Juppé hat das ganz klar gesagt -, den amerikanischen Nuklearschirm durch einen französischen zu ersetzen. Diese Frage ist nicht gestellt worden, ausdrücklich nicht. Sie werden es nicht schaffen, wieder eine Politik des Als-Ob zu betreiben und von dem wahren Sachverhalt und den eigentlichen Fragen abzulenken. Die Frage ist nicht: Soll Deutschland einen Finger am Knopf haben, ein Mitentscheidungsrecht bekommen? Soll der amerikanische Nuklearschirm durch den französischen ersetzt werden?
Worum geht es? Es geht einmal um die Frage, welche Rolle das Nukleare heute überhaupt noch in der grundlegend veränderten Welt spielt. Wir haben als Reaktion auf das französische Angebot eine Alternative. Wir können sagen: Wir wollen das Nukleare nicht. Oder wir sagen: Wir wollen bei der Gestaltung des Nuklearen mitwirken. Das erste, meine Damen und Herren, hätte mit Sicherheit überhaupt keine Aussicht auf Erfolg. Darin sind wir uns im Zweifel auch einig. Wenn es keine Aussicht auf Erfolg hat - und ich füge hinzu, ich bin auch nicht der Meinung, daß eine solche Position richtig wäre -, dann ist es ganz logisch und zwingend zu sagen: Also müssen wir über die Rolle des Nuklearen miteinander reden.
Es kann doch gar kein Zweifel sein, wir alle, alle Europäer sind doch allein von der Existenz dieser Waffen mitbetroffen. Deswegen muß es doch unser Interesse sein, daß wir bei der Gestaltung der Rolle dieser Waffen mitwirken, daß wir mit den Franzosen über die Doktrin reden, daß wir mit ihnen über die Einsatzplanung reden. Es kann doch gar kein Zweifel sein, daß dies in unserem Interesse ist, gerade auch dann, wenn es um Abrüstung und Nonproliferation geht. Wer nicht mitwirkt, entscheidet auch nicht mit über die Politik. Es ist doch unser vitales Interesse, daß wir dabei mitwirken, nicht bei der Entscheidung über den Einsatz, aber über die Gestaltung der nuklearen Strategie Frankreichs.
Vor allen Dingen müssen wir natürlich eines sagen - das sage ich allerdings auch mit Bestimmtheit -: Das Nukleare kann nur im Rahmen einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik und einer gemeinsamen europäischen Verteidigung eine Rolle spielen. Darauf müssen wir den allergrößten Wert legen. Das tun wir doch auch. Wir sind doch diejenigen, die das immer wieder fordern. Dann können die Franzosen sagen: Ihr könnt nicht so tun, als gäbe es das Nukleare von zwei Hauptbeteiligten, nämlich Frankreich und Großbritannien, gar nicht. - Umgekehrt müssen wir aber auch sagen: Ja, wir müssen aber eben auch über den Rahmen reden und nicht nur über das Nukleare.
Jetzt füge ich eines mit aller Bestimmtheit hinzu: Durch den französischen Nukleartest und die Reaktionen auf diesen sind die Aussichten auf eine gemeinsame Position mit Frankreich in den Fragen der Verteidigung und der Sicherheitspolitik generell besser geworden. Wie immer man die ursprünglichen Motive beurteilen mag: Frankreich hat erkannt, daß eine solche, eine große, eine schwierige, eine nukleare Politik nicht ohne die europäische Rückendekkung denkbar ist.
Wenn es so ist, dann wäre es fatal, wenn wir diese Chance nicht nutzten, denn jedermann weiß, daß sich Frankreich aus durchaus verständlichen, aber für uns nicht akzeptablen Gründen bei der Entwicklung einer wirklich handlungsfähigen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik schwertut, die letzten Endes die Abkehr vom Konsensprinzip und darüber hinaus erste Ansätze für die Einführung des Mehrheitsprinzips bedeuten würde. Ich finde, dieses französische Angebot ist gerade in diesem Kontext, auf diesem Hintergrund, den ich dargestellt habe, von ganz außerordentlich großer Bedeutung. Es wäre falsch, so zu tun, als sei das nur ein Ablenkungsmanöver.
Ich darf daran erinnern, daß das Angebot gar nicht neu ist. Schon Präsident Mitterrand hat es auch öffentlich sehr deutlich gesagt. Wir haben so getan, als hätten wir gar nichts gehört. Das tun wir manchmal gerne, wenn uns etwas unangenehm ist. Aber wir können der Frage nicht ausweichen, und wir sollten ihr nicht ausweichen.
Die Chancen sind besser geworden. Ich füge hinzu: Die dringende Notwendigkeit einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, einer gemeinsamen Verteidigung Europas ist nun mehr als hinlänglich bewiesen, nicht zuletzt durch die schrecklichen Ereignisse im früheren Jugoslawien.