Rede von
Leyla
Onur
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Bundesminister, Sie mußten noch extra eine Sondersitzung des Sozialministerrats im Dezember einberufen, um dann mit einem Kompromiß auf den Markt zu gehen, weil Sie immer noch auf eine Mehrheit gehofft haben. Aber Sie sehen, das Ergebnis ist doch so, wie es ist. Das hilft nun alles nichts. Wir haben keine europäische Entsenderichtlinie. Wir haben sie bis heute nicht.
Deshalb müssen wir jetzt selbstverständlich hier gemeinsam eine nationale Regelung beschließen, die sich natürlich an den Vorgaben der europäischen Entsenderichtlinie orientieren sollte.
In bezug auf Ihren Vorschlag, Herr Minister, komme ich jetzt auf einige Punkte zu sprechen. Selbstverständlich verstehe ich - nein, ich kann es nur nachvollziehen, verstehen tue ich es nicht -, daß Sie unter dem Druck, einen Erfolg heimbringen zu müssen, in Europa natürlich zu jedem Kompromiß bereit waren und deswegen auch den Anwendungsbereich auf die Baubranche beschränken wollten, in der Hoffnung, dann eine Mehrheit zu bekommen.
Ich verstehe auch nicht, daß Sie sich nun auch bei der nationalen Regelung mit diesem eingeschränkten Anwendungsbereich begnügen. Denn Sie wissen doch eigentlich, daß nicht nur die Baubranche betroffen ist. Wie ich gerade sehe, ist es noch viel schlimmer: Es geht nur noch um das Bauhauptgewerbe und nicht einmal mehr um das ganze Baugewerbe; das ist ja der Kompromiß des Kompromisses. In der Erläuterung zu § 1 Abs. 1 begründen Sie die Einschränkung des Anwendungsbereiches auf die Baubranche folgendermaßen:
Im Baubereich sind innerhalb des europäischen Binnenmarktes sehr erhebliche Unterschiede im Lohn-Niveau zu beobachten.
Sie belegen das mit Zahlen, die mir sehr bekannt vorkamen, als ich sie zum erstenmal in Ihrem Entwurf gelesen habe. Und siehe da: Beim Nachlesen in dem von mir schon genannten Kommissionsdokument aus dem Jahre 1991 stoße ich genau auf diese Zahlen, und zwar präzise auf Seite 5 in einer Tabelle 2. Da werden nämlich diese Zahlen sozusagen im Vergleich aufgelistet. Damit es nicht so auffällt, haben Sie in diesem Fall nur die höchsten Tariflöhne genannt und nicht die hier ebenfalls genannten niedrigsten Tariflöhne. Das mag so gehen.
Nur haben Sie uns die Tabelle 1 vorenthalten. In dieser Tabelle 1 sind nämlich ebenfalls Tariflöhne zwischen den Ländern verglichen, und zwar nicht nur auf die Baubranche, sondern auf viele verschiedene Branchen bezogen: Industrie insgesamt, Bergbau, produzierendes Gewerbe, Metallverarbeitung, Nahrungsmittelindustrie, Textilindustrie usw. Wenn Sie diese Tabelle einmal genau anschauen, werden Sie feststellen, daß das Lohngefälle nicht nur bei der Baubranche dramatisch ist, sondern auch auf andere Branchen zutrifft. Also fällt doch Ihre Argumentation - weil es in der Baubranche dieses Lohngefälle gebe, müsse man nur für die Baubranche ein solches Ent-
Leyla Onur
sendegesetz schaffen - wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
- Ich weiß, daß er nicht durfte.
Er wollte vielleicht. Ich habe vorhin schon den guten Willen gelobt. Vielleicht wollte der Bundesminister anders; aber er durfte ja nicht anders. Er mußte sogar nach dem Kompromiß eines Kompromisses zustimmen.
Das war der erste Punkt. In diesem Zusammenhang kommen wir auch auf die interessante Geltungsdauer des Gesetzes, das auf zwei Jahre befristet ist. Auch da bemühen Sie dieses Zahlenwerk der europäischen Kommission. Da heißt es nämlich in der Erläuterung zu § 1 Abs. 1 Ihres Entwurfs:
Da das unterschiedliche europäische Lohnniveau jedoch kein auf Dauer unveränderliches Merkmal der Baubranche darstellt und somit nur innerhalb eines überschaubaren Zeitraums eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann, ist das Gesetz in seiner Geltungsdauer auf zwei Jahre befristet.
- Frau Babel, hören Sie mir doch bitte freundlicherweise erst einmal zu.
Die Zahlen, auf die sich der Entwurf in der Argumentation stützt, stammen wohlgemerkt aus dem Jahr 1990.
Wenn 'dieses Problem wirklich innerhalb von zwei Jahren zu erledigen wäre, sozusagen verschwinden würde, dann hätte es das längst getan; denn die Zahlen sind von 1990. Spätestens 1992 oder 1993 hätte es das Problem nicht mehr geben dürfen. Es ist aber genau das Gegenteil der Fall: Die Schere ist weiter auseinandergegangen. Wer glaubt, in absehbarer Zeit sei es möglich, die Löhne in den anderen EU-Staaten denen in der Bundesrepublik anzugleichen, der ist total unrealistisch; er ist ein Illusionist.
Also kann nur umgekehrt ein Schuh daraus werden. Wenn Sie sagen, das Problem sei nach zwei Jahren gelöst, müssen sie doch im Hinterkopf haben, die Löhne in Deutschland auf portugiesisches Niveau herunterdrücken zu wollen.
Eine andere Erklärung gibt es für mich nicht.
Kommen wir zu einem weiteren Punkt. Wir hatten vorhin schon die Diskussion: Mindestlohn kontra Ortsüblichkeit. Übrigens geht es gar nicht um den Mindestlohn kontra etwas, da dieses als ein Paket zu sehen ist. Wenn Sie, verehrter Herr Bundesminister, hier sagen: „Nur Allgemeinverbindlichkeit geht,
Ortsüblichkeit ist nicht richtig, ist falsch" - das sage ich ganz vorsichtig -, stellen Sie damit die verehrten Kollegen Ihrer Partei, aber auch der F.D.P., die im Europäischen Parlament an diesem Gesetzentwurf, nämlich der Entsenderichtlinie, mitgewirkt haben, als Deppen dar. Denn es waren gerade die deutschen Abgeordneten - übrigens aller Couleurs -, die darauf gestoßen sind, daß der Vorschlag der Kommission nicht ausreicht, weil er die deutsche und auch die dänische Situation nicht trifft und weil auf dem Weg zur Mindestlohn- und Allgemeinverbindlichkeitserklärung das Ziel - hinsichtlich des Ziels sind wir uns völlig einig: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsort - nicht erreichbar ist. Deswegen sind die deutschen Abgeordneten aller Couleurs im Europäischen Parlament auf den Vorschlag gekommen, die Ortsüblichkeit in Form eines Änderungsantrags einzubringen.
In der Tat - wie vorhin schon ausgeführt worden ist - ist das von der Kommission akzeptiert worden. Die Kommission hat verstanden, daß das ein Lösungsweg ist - kein Königsweg, aber ein vernünftiger Lösungsweg. Ich begreife nicht: Warum lassen Sie die verehrten Kollegen der CDU/CSU und der F.D.P., die im Europäischen Parlament mitgewirkt und ja dazu gesagt haben, eigentlich so im Regen stehen? Sie bezeichnen sie geradezu als Deppen, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen.
Verehrter Herr Bundesminister, ohne auf die anderen zu kritisierenden Punkte einzugehen - das hat der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes in trefflicher Weise getan; das brauche ich nicht zu wiederholen; Sie haben das selbstverständlich gelesen -, möchte ich Sie bitten, sich im Interesse der kleinen und mittleren Betriebe, der inländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und insbesondere der bisher noch ausgebeuteten entsandten Arbeitnehmer mit uns an einen Tisch zu setzen und unseren Vorschlag als Grundlage zu nehmen; denn er ist in der Tat europakonform.
Vielen Dank.