Rede von
Dr.
Heidi
Knake-Werner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Gott sei Dank ist ja nun die Welt wieder in Ordnung. Als ich nämlich vorhin Herrn Minister Blüm gehört habe, dachte ich: Irgendwie ist heute hier ein bißchen verkehrte Welt. Der Minister Blüm hält eine flammende Rede, formuliert flammende Appelle zugunsten der nationalen Entsenderichtlinie und rennt damit bei den meisten hier Anwesenden offene Türen ein. Er kämpft für die Tarifautonomie und wird von den Arbeitgeberverbänden in die Pfanne gehauen. Ich dachte, daß ich vielem, was der Minister hier vorgetragen hat, eigentlich zustimmen kann. Ich finde es nur blöde, daß ich all das, was er hier gesagt hat, in seinem Gesetzentwurf nicht wiederfinde.
Deshalb will ich jetzt zu dem Gesetzentwurf etwas sagen. In der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum SPD-Antrag sprach sich - das ist hier schon erwähnt worden - die Mehrheit der dort anwesenden Sachverständigen für eine nationale Entsenderichtlinie aus, und zwar aus unterschiedlichen Motiven. Die einen waren eher aus wettbewerbspolitischen Gründen dafür, sie möchten die Wettbewerbsverzerrungen für Unternehmen auf dem gemeinsamen europäischen Markt abschaffen; bei den anderen stand eher die sozialpolitische Zielsetzung im Vordergrund. Daß ich mich zu letzteren rechne, wird Sie vielleicht nicht überraschen.
Uns geht es vor allem darum, die Rechte der Beschäftigten zu sichern, die entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ausbeutung zu schützen und Sozialdumping zu vermeiden. Dies wurde übrigens vom Ausschuß für soziale Angelegenheiten, Beschäftigung und Arbeitsumwelt des Europäischen Parlaments als das vom sozialen Gesichtspunkt her wichtigste Ziel einer Entsenderichtlinie bezeichnet.
Dazu ist der auf dem Tisch liegende Gesetzentwurf der Bundesregierung ungeeignet. Richtig gefällt mir an ihm eigentlich nur der Verzicht auf eine Schwellenfrist. Die Schutzregelungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen vom ersten Tag an gelten. Das ist ja immerhin ein gewisser Schritt.
Dr. Heidi Knake-Werner
Ihr Gesetzentwurf krankt aber vor allem an drei Dingen. Erstens beschränkt er sich auf das Baugewerbe, anstatt für alle entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gelten. Zweitens soll sich der Lohnschutz nur auf die untersten Lohngruppen erstrecken, also nicht auf alle Lohngruppen. Drittens wollen Sie die Regelung auf zwei Jahre befristen; das finde ich genauso dusselig, wie es Frau Buntenbach schon verdeutlicht hat.
Sicherlich ist hauptsächlich die Baubranche betroffen. Unbestritten ist auch, daß die Probleme hier am drängendsten sind. Aber die unmenschliche Konkurrenz um Arbeitsplätze durch Lohndumping, fehlende soziale Absicherung und mangelhaften Arbeitsschutz ist eben nicht auf die Bauwirtschaft begrenzt, sondern betrifft auch viele andere Bereiche.
Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf noch nicht einmal alle am Bau arbeitenden Kollegen in die Regelung einbeziehen. - Jetzt hätte ich fast auch „Kolleginnen" gesagt, aber das trifft ja in der Regel nicht zu, leider.
Für Baunebenberufe wie z. B. Maler und Fliesenleger soll die Regelung ebensowenig gelten wie für die Metallberufe, die im Baubereich auch zuhauf vertreten sind. Damit schaffen Sie am Bau gleich drei Klassen von Arbeitnehmern, nämlich die nach Tarif entlohnten inländischen, die mit dem Mindestentgelt entlohnten entsandten Kollegen aus anderen EU-Staaten und diejenigen entsandten Kollegen, die leider nicht das Glück haben, in den Wirkungsbereich des vorliegenden Gesetzentwurfs einbezogen zu sein. Sie werden weiterhin zu Hungerlöhnen von fünf, sechs oder sieben Mark schuften müssen.
Entgegen Ihrer eigenen Zielsetzung, gespaltene Arbeitsmärkte und die aus ihnen resultierenden sozialen Spannungen zu vermeiden, bleiben Sie auf halbem Wege stehen und begrenzen den Wirkungskreis des Gesetzes auf das Bauhauptgewerbe.
Damit ist klar, daß Sie Ihr eigenes Ziel schon verfehlt haben, bevor Sie überhaupt begonnen haben. Allerdings ist auch eine branchenübergreifende Regelung natürlich nicht der Weisheit letzter Schluß. Sie könnte die Situation allenfalls entschärfen, weil selbst minimale Arbeitsbedingungen häufig auch dann nicht eingehalten werden, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland gesetzlich gleichgestellt sind.
Das Beispiel der Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer aus den osteuropäischen Ländern, hier schon häufig genannt, zeigt dies immer wieder deutlich.
Die sozialen Dienste der Wohlfahrtsverbände und Beratungsstellen wie z. B. der polnische Sozialrat geben über die erbärmlichen Bedingungen, unter denen hier zum Teil gearbeitet wird, drastische Schilderungen ab.
Ein wirksamer Schutz gegen schlechte Arbeitsbedingungen und die teilweise unmenschliche Konkurrenz um Arbeitsplätze wird nur möglich, wenn die Beschäftigten selbst in den Mittelpunkt gerückt werden.
Es muß vor allem geklärt werden, wie die Rechte der vorübergehend entsandten arbeitenden Menschen garantiert werden können. Hierzu zählen neben Beratungsangeboten für die Beschäftigten und der Möglichkeit der Verbandsklage der Gewerkschaften auch Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Unternehmen. Ohne Sanktionen wird es nicht gehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wieso sind wir überhaupt in diese Situation gekommen, daß wir hier heute diese Frage beraten müssen? Wir beraten sie, weil Sie bei den Maastrichter Verträgen die Freizügigkeit von Kapital, Waren und Dienstleistungen geschaffen haben, wie Frau Babel soeben nachdrücklich ausgeführt hat.
Aber, Frau Babel, Sie haben leider eines vergessen, nämlich die Gestaltung des europäischen Sozialraums. Das haben Sie bewußt ausgelassen.
Eine nationale Regelung darf nicht hinter die Forderungen zurückfallen, die bereits im Entwurf der EU-Kommission für eine EU-Richtlinie enthalten sind. Dort wird ein harter Kern von Mindestbedingungen vorgeschlagen, der weit über die Festlegung einer unteren Lohngrenze hinausgeht, wie von Ihnen vorgeschlagen wird.
Ich will jetzt die Punkte dieses harten Kerns gar nicht weiter aufzählen. Sie sind von Frau Buntenbach schon genannt worden. An diesen Punkten wird deutlich, daß es nicht nur um Entlohnung geht, sondern daß es auch um Arbeitsbedingungen geht, daß es um Arbeitszeiten, Ruhezeiten, Nachtschicht, Schichtarbeit, Schutzmaßnahmen, Gesundheitsschutz usw. geht.
Sie hingegen verweigern sogar dem Minimalkonsens - gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsort - Ihre Zustimmung, weil Sie den Lohnschutz nur auf die untersten Lohngruppen begrenzen.
Dennoch bin ich schon der Meinung, daß wir, bevor es zu einer europaweiten Entsenderichtlinie kommt, ein nationales Gesetz brauchen.
Wie Sie aber zu der Annahme kommen, daß sich das europäische Lohnniveau in nur zwei Jahren so angeglichen haben wird, daß die Lohnunterschiede eine Regelung überflüssig machen, ist mir vollkommen unklar. Ich betone noch einmal: Ich finde eine Begrenzung bis 1997 völlig verfehlt.
Zum Abschluß noch folgende Bemerkung: Es ist schon eine Ironie der Geschichte, daß Sie mit Ihrem Gesetzentwurf so ziemlich zwischen alle Stühle geraten. Nachdem Sie sich auf Druck der Bauwirtschaft dazu entschlossen haben, diese Regulierung vorzuschlagen, obwohl Sie sich ja sonst eigentlich eher in Deregulierungsmaßnahmen „bewähren", werden Sie von den Arbeitgeberverbänden ausgebremst. Ausgerechnet die verweisen dann auch noch auf die Tarifautonomie und wollen damit Ihr Gesetz zu Fall
Dr. Heidi Knake-Werner
bringen. Das ist wirklich ungeheuerlich verwirrend, wenn man sich das genau anschaut.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls, Herr Minister - und das meine ich ganz ernst -: Bleiben Sie stark, und schaffen Sie mit uns ein vernünftiges Gesetz!
Danke schön.